Umweltpolitik vor neuen Herausforderungen
- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrte Frau Professorin Hornberg,
sehr geehrte Ratsmitglieder und Mitglieder der Geschäftsstelle,
sehr geehrte wissenschaftlich Mitarbeitende des SRU,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
heute vor 50 Jahren trat der SRU zum ersten Mal zusammen.
Seitdem ist er mit seinen Gutachten und Stellungnahmen eine feste Größe in der Umweltpolitik – vorausschauend, treffsicher, unabhängig und nicht selten unbequem.
Zu diesem Jubiläum gratuliere ich Ihnen ganz herzlich – auch im Namen von Bundesministerin Steffi Lemke, die ich heute hier vertrete und die Ihnen die allerbesten Grüße ausrichten lässt.
"Umweltpolitik vor neuen Herausforderungen" – so lautet der Titel dieser Rede.
Einige der Herausforderungen ähneln denen der 70er Jahre, in denen der SRU seine Arbeit aufnahm. Damals prägte die Ölkrise den Alltag und das politische Handeln. Der Begriff der Stagflation machte erstmals die Runde.
Der SRU verfasste sein erstes Sondergutachten zum Thema "Auto und Umwelt" und forderte, das Verkehrssystem insgesamt umweltfreundlich und weniger autozentriert zu gestalten. Manche Dinge ändern sich offenbar nur sehr langsam. Die Klimakrise, der Verlust an Biodiversität, das Müllproblem stehen exemplarisch für die multiplen Umweltprobleme, die es zu lösen gilt. Zudem stehen wir vor einer neuen Dimension politischer Herausforderungen.
Es herrscht Krieg in Europa. Der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist ein Angriff auf Demokratie und Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Toleranz. Er ist vor allem eine humanitäre, daneben aber auch eine ökologische Katastrophe. Dem stellt sich die Bundesregierung entschieden entgegen. Mittlerweile sind Spuren des Krieges auch hierzulande zu spüren: Energie und Rohstoffe werden teurer oder fehlen ganz. Güter sind nicht mehr beliebig verfügbar, Lieferketten funktionieren nicht mehr reibungslos. Gleichzeitig sind unsere Wirtschaft und Gesellschaft zermürbt von den Jahren der Pandemie.
Die Krisen legen Verwundbarkeiten offen, die wir viel zu lange ignoriert haben:
- unsere Abhängigkeit von billiger, fossiler Energie – nicht nur aus Russland.
- Schwierigkeiten bei der Versorgung, weil wir uns zu leichtfertig auf eine für uns günstige globale Arbeitsteilung verlassen haben.
- Die Gefahr von Pandemien, weil wir Menschen immer weiter in die Lebensräume von Tieren und Pflanzen vordringen und es Krankheitserregern so immer leichter machen.
Mit den Herausforderungen wächst die Sorge, dass das alles nicht mehr zu bewältigen sei. Das setzt Politik unter Druck. Schon werden die ersten Stimmen laut, es gebe doch jetzt wirklich wichtigeres zu tun, als Schweinswale oder Schwarzmilane zu retten. Und es gibt diejenigen, die angesichts einer ungewissen Zukunft die Antworten der Vergangenheit wieder aus der Schublade ziehen. Sie sind nicht die Mehrheit, aber sie verschaffen sich Gehör. Auf den ersten Blick scheint der Rollback vielleicht die einfachste Lösung. Er verspricht vermeintliche Sicherheit in Zeiten großer Unsicherheit. Aber Stromerzeugung mit Atomkraft, intensive Landwirtschaft unter hohem Pestizideinsatz, Verbrennung fossiler Energieträger – all das hat sich schon einmal als Sackgasse erwiesen. Viele der Probleme, die wir gerade lösen müssen, sind dadurch verursacht.
Deswegen ist es wichtig, die umwelt- und klimapolitischen Vorhaben, die wir uns als Bundesregierung vorgenommen haben, weiter konsequent zu verfolgen. Nicht indem wir die Zeichen der Zeit ignorieren, sondern indem wir klug reagieren. Den Weg anpassen, aber Kurs halten beim sozial-ökologischen Umbau. Das schulden wir auch den Vielen, die uns auffordern, jetzt umso entschlossener die sozial-ökologische Transformation anzugehen:
- den jungen Menschen, nicht nur bei Fridays for Future, die um ihre Lebensgrundlagen bangen,
- den Unternehmensleitungen, die sich einen klaren Rahmen für Innovationen wünschen,
- den Beschäftigten, die gute und zukunftssicherer Arbeitsplätze brauchen und
- allen, die sich eine lebenswerte Zukunft für ihre Kinder und Enkel wünschen.
Mir ist wichtig, dass wir in einer Situation sich überlagernder Krisen diese nicht gegeneinander ausspielen.
Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist nicht höher oder geringer zu bewerten als die Bekämpfung der Klimakrise oder die Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen. Energieversorgung, Klimaschutz, ein schonender Umgang mit Ressourcen und der Erhalt der Artenvielfalt müssen zusammen gedacht werden. Bei allen geht es um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen, unserer Sicherheit und unseres Wohlstands.
Für eine Umweltpolitik in Krisenzeiten halte ich drei Dinge für entscheidend:
- zu wissen, wo wir hinwollen – also ein klares, politisches Programm
- dieses zu diskutieren und zu erklären – das heißt: eine offene und transparente Kommunikation und
- zu wissen, was nötig ist – also eine Politik, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fußt.
Die besten Lösungen sind und bleiben die, die auf mehrere Krisen gleichzeitig eine Antwort geben. Deswegen setzen wir uns als BMUV dafür ein, genau solche Lösungen voran zu bringen. In diesem Sinne wird das BMUV in den nächsten Jahren ein klares politisches Programm verfolgen. Ein Programm, das die großen Krisen zusammen denkt und bekämpft. Ein paar Beispiele möchte ich Ihnen nennen:
Mein erstes Beispiel:
Der natürliche Klimaschutz, den Moore, Auen, Wälder und Gewässer leisten. Dieser schützt Pflanzen und Tiere genauso wie das Klima. Natürlicher Klimaschutz kann zur Anpassung an die Klimakrise beitragen, weil dadurch der Wasserhaushalt reguliert wird und lokale Wertschöpfung ermöglicht wird. Es ist ein Riesenerfolg, dass für den Natürlichen Klimaschutz bis 2026 vier Milliarden Euro bereitgestellt werden.
Zweitens: Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft:
Alle globalen Krisen im Umweltbereich, die Klima-, die Biodiversitäts-, und die Verschmutzungskrise, haben unmittelbar mit der Art und Weise zu tun, wie wir Ressourcen gewinnen, verarbeiten und in Produkten verwenden. Die Überführung der bislang weitgehend linear organisierten Wirtschaft in eine Kreislaufwirtschaft ist damit ein wichtiger Schlüssel für die Lösung der großen Umweltkrisen. Sie ist auch eine Antwort auf die große Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von ausländischen Rohstoffen und komplexen Lieferketten. Dazu gehört, Primärrohstoffe überall dort, wo es möglich ist, durch Sekundärrohstoffe zu ersetzen und Rohstoffe insgesamt sparsamer einzusetzen. Das BMUV wird dafür eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie erarbeiten.
Klar ist: Die Kreislaufwirtschaft muss zukünftig über die Vermeidung und Verwertung von Abfällen hinausgehen – wo wir in Deutschland bislang den Schwerpunkt gesetzt haben – und viel stärker bereits bei der Produktgestaltung ansetzen. Ein Teil der Lösung ist ein Recht auf Reparatur. Konkrete Maßnahmen dazu hat die Ministerin in einem Aktionsprogramm "Reparieren statt Wegwerfen" zusammengefasst, das gerade mit den anderen Ressorts abgestimmt wird.
Zur Zukunftspolitik gehört – drittens – auch die Vorsorge gegen die Auswirkungen der Klimakrise. Die Erderhitzung ist auch hierzulande angekommen, das wissen wir nicht erst seit der verheerenden Flutkatastrophe des letzten Sommers. Die Weltwetterorganisation warnt, dass die 1,5 Grad Obergrenze schon in den nächsten fünf Jahren gerissen werden könnte, der Weltklimarat beschreibt schonungslos die Folgen. Bisher ist Deutschland darauf nicht ausreichend vorbereitet. Das wollen wir ändern. Mit einem Sofortprogramm Klimaanpassung unterstützt das BMUV Länder und Kommunen dabei, maßgeschneiderte Anpassungsmaßnahmen zu erstellen und umzusetzen.
Parallel arbeitet mein Ministerium an einem Klimaanpassungsgesetz, einer vorsorgenden Klimaanpassungsstrategie und einer dauerhaften, zwischen Bund und Ländern klar geregelten Finanzierung, damit Anpassung in Zukunft systematisch und flächendeckend stattfinden kann. In der Umweltpolitik gibt es eine lange Tradition des Denkens in Zusammenhängen, von der Erfindung der Nachhaltigkeit über den Bericht "Die Grenzen des Wachstums" bis zur Agenda 2030. In dieser Tradition möchte ich den ökologischen Umbau unseres Landes weiter vorantreiben.
Mit Ihnen hier im Saal brauche ich keine Grundsatzdiskussionen darüber zu führen, wie dringend wir handeln müssen, um die großen ökologischen Krisen zu bekämpfen – die Klimakrise, das Aussterben der Arten, die globale Umweltverschmutzung. Sie alle wissen auch um die Bedeutung offener und verständlicher Kommunikation. So wie sich der SRU nicht im Elfenbeinturm einschließen will, so wenig soll und darf die Politik als abgehoben und realitätsfern wahrgenommen werden. Das politische Programm des Bundesumweltministeriums wollen wir als BMUV deshalb erklären und diskutieren. Die Umweltkrisen von heute sind miteinander verwoben, und einige davon sind ziemlich abstrakt.
Anders als die Umweltpolitik im Jahr 1972. Damals ging es um klar umrissene Einzelprobleme:
- Filter gegen Luftverschmutzung aus Industrieschornsteinen,
- Kläranlagen gegen ungeklärte Abwässer, die Flüsse und Seen verdreckten.
Über dieses Stadium sind wir – zum Glück – weit hinaus. Hier wurden in den letzten 50 Jahren teilweise erhebliche Fortschritte gemacht. Die großen ökologischen Krisen unserer Zeit sind weniger sichtbar. Und wenn sie sichtbar werden, ist es eher fünf nach zwölf als fünf vor zwölf. Wir erleben, dass es von Jahr zu Jahr heißer wird und trockener. Dass es im Garten und auf den Feldern weniger summt und brummt, Arten unwiederbringlich verloren gehen. Um dagegen anzukommen, reicht es nicht, nur an einer Stellschraube zu drehen.
Die Lösungen sind komplexer. Aber die gute Nachricht ist: Es gibt sie. Mit dem Erhalt und der Wiederherstellung von Naturräumen, wie Wäldern oder Mooren schaffen wir Senken für Treibhausgase und Lebensräume für viele Arten. Mit mehr Grün in den Städten kühlen wir die Luft, filtern Lärm und Schadstoffe und machen die Städte attraktiver und lebenswerter.
Wenn wir uns weltweit darauf verständigen, die Plastikflut einzudämmen, dann
- sparen wir Ressourcen für die Produktion von immer neuem Plastik,
- schützen wertvolle Lebensräume im Meer
- und verhindern die Entstehung von Mikroplastik, das sich letztlich auch im menschlichen Körper sammelt.
Wenn wir uns als BMUV dafür einsetzen, die Naturzerstörung zu beenden, dann tun wir das nicht nur um der Böden, der Wälder und der Bienen willen. Obwohl das schon Grund genug wäre. Wir tun es auch deshalb, weil wir mit unserer Gesundheit, unserem Wohlstand und Lebensstil von der Natur abhängig sind.
Wir brauchen
- fruchtbare Böden, auf denen unsere Nahrung wachsen kann,
- Insekten, die unsere Pflanzen bestäuben,
- Flussauen, die Wasser speichern und unsere Siedlungen vor Überflutung schützen.
Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Deswegen ist es so wichtig, von einem Zeitalter der Naturzerstörung zu einem Zeitalter der Wiederherstellung der Natur zu kommen. Für eine intakte Umwelt, aber eben auch für eine lebenswerte Zukunft für uns Menschen. Das werden wir als BMUV, das müssen wir alle immer wieder erklären.
Wichtig ist mir dabei – und das ist mein dritter Punkt – dass die Lösungen, auf fundierten, wissenschaftlichen Argumenten basieren. Und da spielen wissenschaftliche Beratung im Allgemeinen und der SRU im Speziellen eine herausragende Rolle. Wir werden alle geflutet mit Informationen, vom ersten Blick auf das Handy am Morgen bis zu den letzten Fernsehnachrichten am Abend. Das hat zweifellos enorme Vorteile. Die Antwort auf viele Fragen des Alltags ist meistens nur einen Klick entfernt. Aber in dieser Flut mischen sich eben auch Fakten und Meinungen, Information und Desinformation. Bei den Entscheidungen, die wir im BMUV treffen, können wir uns nicht nur von einem Tweet, einer Nachricht, einer Sichtweise leiten lassen.
Deswegen bin ich dankbar für den Input aus der Wissenschaft, wie ihn zum Beispiel der SRU regelmäßig liefert. Nicht, um damit eine Blaupause für politisches Handeln zu haben. Politik funktioniert nach anderen Gesetzen als Wissenschaft und wird deshalb wissenschaftliche Empfehlungen selten eins zu eins umsetzen können und wollen. Politik braucht Fakten und Analysen, Folgenabschätzungen und Impulse als Ausgangspunkt. Dann beginnt die Suche nach Kompromissen, die Abwägung, das Ringen um umsetzbare Lösungen. Manches wird vielleicht erst später umgesetzt, manches auch nie. Aber wenn die politischen Entscheidungen auf wissenschaftlicher Evidenz beruhen, können wir sie auch gegen Kritik und Gegenwind verteidigen. Das gehört untrennbar zum politischen Prozess.
Es sind herausfordernde Zeiten. Umso wichtiger ist es, den Kurs der ökologischen Transformation zu halten und nicht denen das Feld zu überlassen, die lautstark die Rolle rückwärts in die Vergangenheit fordern. Deshalb braucht die Politik auch weiterhin Ihre vorausschauenden Ratschläge bei der Suche nach konkreten Lösungen und für die Akzeptanz und Gestaltung unserer politischen Maßnahmen.
Ich danke Ihnen und Ihren Vorgängerinnen und Vorgängern im SRU für die wertvolle Arbeit in den letzten 50 Jahren.
Ich bin gespannt auf Ihre nächsten Gutachten und freue mich sehr auf die weitere Zusammenarbeit!