Der Meeresbeauftragte der Bundesregierung zum Zustand von Nord- und Ostsee

11.09.2023
Sebastian Unger
Der Meeresbeauftragte der Bundesregierung, Sebastian Unger, zeigt sich besorgt über den Zustand der Nord- und Ostsee. Er betont unter anderem die Notwendigkeit, den Ozean als natürlichen CO2-Speicher zu schützen.

Jan-Henrik Hnida (Web.de): Herr Unger, wie steht es um die Nord- und Ostsee?

Sebastian Unger: Nord- und Ostsee sind in keinem guten Zustand. Im Rahmen unserer Zusammenarbeit im Nordost-Atlantik und in der Ostsee werden wir im Herbst umfangreiche Zustandsberichte veröffentlichen. Eins vorweg: Es gibt einzelne positive Entwicklungen, die auch zeigen, dass Schutzmaßnahmen wirken. Die Gesamtlage aber ist besorgniserregend und wir müssen noch deutlich mehr tun.

Die Ostsee ist stellenweise 1,5 Grad zu warm. Wird die Ostsee bald ein totes Meer sein?

In der Ostsee stehen wir vor besonderen Schwierigkeiten. Weil es nur wenig Wasseraustausch gibt, reichern sich Nährstoffeinträge, etwa aus der Landwirtschaft und Abwässern, besonders stark an. Dazu kommen hohe Temperaturen, die zusammen mit den Nährstoffen zu Massenvermehrungen von Algen führen können. Diese sterben dann ab, sinken auf den Grund und führen zu hohem Sauerstoffverbrauch. Das ist wie bei einem See, der umkippt. Dazu wurden in der Ostsee auch zahlreiche Fischbestände so weit heruntergefischt, zum Beispiel Hering und Dorsch, dass die Befischung eingestellt werden musste.

Was hat die Nordsee für Probleme?

Neben Übernutzung ist dort auch die Klimakrise sehr deutlich zu spüren. Wir haben in den Weltmeeren insgesamt, aber auch in unseren Meeren derart hohe Temperaturen, wie wir sie noch nie seit Aufzeichnung der Wetterdaten hatten. Dazu kommen die Auswirkungen von Schifffahrt oder der Öl- und Gasindustrie, also Lärm, Verschmutzung und die Zerstörung von Lebensraum, zudem der verstärkte Ausbau der Offshore-Windenergie.

Ist die Windkraft also ein Problem für den Schutz der Meere?

Der Ausbau der Windkraft stellt den Meeresschutz vor große Herausforderungen. Aber wir brauchen beides: Einerseits den Ausbau der Erneuerbaren Energien, um Klimaschutz und Energiewende voranzutreiben. Andererseits müssen wir darauf achten, dass der Ausbau der Infrastruktur naturverträglich vorangeht und das Ökosystem Meer möglichst wenig beeinflusst.

Wir sollten dabei nicht vergessen, dass die Meere einer unserer Hauptverbündeten im Kampf gegen die Klimakrise sind. Ein Großteil der durch den Menschen verursachten Klimaerhitzung und gut ein Viertel des CO2-Ausstoßes wird von den Meeren bisher noch abgepuffert. Gleichzeitig werden sie immer wärmer und saurer. Um dieses Dilemma aufzulösen, müssen wir den Ausbau der Windkraft möglichst naturverträglich gestalten.

Wie kann das konkret aussehen?

Beim Bau von Offshore-Windkraftanlagen muss Lärm verringert werden. Sonst wird dadurch etwa die sich ohnehin in einem schlechten Zustand befindliche Schweinswalpopulation aus der Nordsee vertrieben. Wichtig ist auch, zu schauen, wie sich die Windenergie auf den Vogelzug auswirkt und entsprechende Schutzmaßnahmen vorzuschreiben. Man kann etwa kurzzeitig Offshore-Windkraftanlagen bei einem erhöhten Aufkommen von durchziehenden Vögeln zielgerichtet abschalten.

Außerdem braucht es Rückzugsräume, in denen sich die Meeresnatur wieder erholen kann. Denn dann hilft sie uns auch und kann sich regenerieren. Etwa durch Seegraswiesen am Meeresboden, die Lebensraum vieler Arten sind und dabei auch dauerhaft CO2 in den Wurzelsystemen binden können. Das sind wichtige Leistungen des Ökosystems, die uns das Meer kostenfrei liefert.

Vor der Insel Rügen soll ein LNG-Terminal für Flüssigerdgas gebaut werden. Ein Bündnis aus Umweltverbänden und Bürgerinitiativen haben bereits mehrmals dagegen protestiert.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat deutlich gemacht, wie verletzlich die bisherige Energieversorgung war. Deswegen hat die Bundesregierung den Aufbau einer LNG-Infrastruktur beschlossen, um die Energie-Sicherheit zu gewährleisten. Aus Sicht des Meeresschutzes würden wir lieber auf diese Eingriffe in die Meeresnatur verzichten. In einer solchen Ausnahmesituation können aber auch schwierige Kompromisse notwendig sein. Nun liegt das Vorhaben zur Prüfung bei den zuständigen Behörden in Mecklenburg-Vorpommern.

Ein weiteres Problem für die Meere ist Plastik.

Derzeit wird ein erster Entwurf für ein internationales Plastikabkommen verhandelt. Deutschland treibt das Vorhaben an. Die Diskussionen haben aber schon gezeigt, dass ein Konsens nicht einfach wird. Einige Länder müssen noch überzeugt werden, denn die Vereinbarung soll den gesamten Lebenszyklus von Plastik abdecken – nicht nur freiwillige Maßnahmen. Denn wir werden uns leider nicht aus dieser Plastikkrise heraus-recyceln können. Auch jeder Einzelne kann viel zur Plastikreduktion beitragen. Am besten ist, auf Plastik verzichten, wo immer es möglich ist.

Angesichts all der Probleme: Helfen Schutzräume den Meeren?

Aus Sicht des Meeresnaturschutzes sind Schutzgebiete – Nationalparks oder große und vernetzte Schutzgebietssysteme – sehr, sehr wichtig. Man kann sich das vorstellen wie eine Bank. Schutzzonen unterstützen die Erholung von Lebensräumen und bedrohten Arten und werfen irgendwann Zinsen ab, nämlich in die Regionen, die außen herumliegen. Ein Beispiel sind "Nullnutzungszonen", in der keine Fischerei mehr stattfindet. Nachdem sich die Fischbestände und die entsprechenden Nahrungsnetze erholt haben, profitieren auch die Fischer von gestärkten Beständen und können diese nachhaltig befischen. Von gesunden Meeren profitieren also alle – Natur, Menschen und insbesondere auch die Nutzer.

Wo steht Deutschland gerade bei dem Schutz der biologischen Vielfalt?

Mit unseren 40 Prozent Schutzgebieten liegen wir bereits über dem vorgegebenen 30-Prozent-Ziel, das auf der UN-Biodiversitätskonferenz festgelegt wurde. Wir müssen aber noch besser werden. Denn bei Nullnutzungszonen, wo der strengste Schutz gilt, sind wir noch nicht so weit, wie wir eigentlich sein wollten. Da gibt es bislang nur eine einzige richtige Nullnutzungszone auf der Amrum-Bank, in der auch keine Fischerei stattfinden darf. Fischerei ist jedoch nur ein Bereich. Auch die Schifffahrt oder Sand- und Kiesabbau haben Auswirkungen, die wir uns anschauen müssen.

Was tut Deutschland außerdem für den Schutz der Meere?

Mit der Meeresoffensive bringt die Bundesregierung den Meeresschutz jetzt voran. So haben wir entschieden, dass Deutschland bis auf Weiteres keinen Tiefseebergbau unterstützen wird, der große Risiken für die Meeresumwelt mit sich bringen würde. Ein wichtiger Fokus ist hierbei auch die Verbindung von natürlichem Klimaschutz und Meeresschutz. Im Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz sind insgesamt vier Milliarden Euro dafür vorgesehen, ein Teil davon wird auch in den Meeren für den Erhalt und die Wiederherstellung von Seegras- und Salzwiesen sowie für einen gesunden Meeresboden ausgegeben.

Dort unten schlummert ja noch etwas.

Weitere 100 Millionen Euro gibt es für das Sofortprogramm zur Munitionsbergung. Seit dem Zweiten Weltkrieg rosten 1,6 Millionen Tonnen an versenkter Munition in Nord- und Ostsee vor sich hin. Diese Altlasten sollen nun nach und nach geborgen werden. Und jetzt im September werden wir in New York als einer der ersten Staaten das UN-Abkommen zum Schutz der Hohen See unterzeichnen. Die Hohe See bedeckt fast die halbe Erdoberfläche. Endlich wird dort umfassender Meeresnaturschutz möglich werden.

11.09.2023 | Medienbeitrag Meeresschutz
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