– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Dr. Engels,
Damen und Herren,
vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich über die Gelegenheit, über die Möglichkeiten des Multilateralismus zu sprechen, über gute Beispiele für globale Lösungen.
In krisenhaften Zeiten ist multilaterale Zusammenarbeit wichtiger denn je. Das gilt in geopolitischen Fragen genauso wie bei der Verteidigung unsere Lebensgrundlagen. Diese werden bedroht durch drei globale Umweltkrisen: Die Klimakrise, das Artenaussterben und die Verschmutzungskrise. Diese globalen Herausforderungen erfordern globale Lösungen.
Deshalb ist es umso erfreulicher, dass wir auf internationaler Ebene für die Zukunft unseres Planeten in den letzten Wochen und Monaten wichtige Erfolge errungen haben:
- Im März hat sich die Staatengemeinschaft in New York zum allerersten Mal auf Regeln zum Schutz der Natur auf Hoher See geeinigt.
- Im vergangenen Dezember haben wir in Montreal mit der globalen Vereinbarung für die biologische Vielfalt einen Schutzschirm für die Natur aufgespannt.
- Bereits im Frühjahr letzten Jahres haben wir den Startschuss gesetzt für die Verhandlungen zu einem internationalen Abkommen gegen die Vermüllung der Meere.
- Und zuletzt ist es uns in der G7 Abschlusserklärung im April in Japan gelungen, ein starkes geschlossenes Signal im Kampf gegen das Artensterben, die weltweite Plastikvermüllung und die Klimakrise zu setzen.
Ich finde es sehr ermutigend, dass wir diese globalen Vereinbarungen erreichen konnten. Sie zeigen, dass die Zusammenarbeit zwischen Staaten in der Umweltpolitik funktioniert, trotz aller geopolitischer Spannungen. Es handelt sich dabei um vier wirklich wichtige Meilensteine für den Naturschutz. Darauf möchte ich näher eingehen.
Erstens: Das UN-Hochseeschutzabkommen – ein bahnbrechender Erfolg für den Meeresnaturschutz.
Fast die Hälfte der Erde gehört zur Hohen See – dem Ozean außerhalb der Kontrolle einzelner Staaten. Der Ozean produziert Sauerstoff und speichert Kohlenstoff. Damit ist er von enormer Bedeutung für unser Klima. Er bietet unzähligen Arten ihren Lebensraum. Er sichert Ernährung und Einkommen.
Doch wir Menschen setzen den Ozean massiv unter Druck. Durch Überfischung, Verschmutzung – etwa durch Plastikmüll – und durch die von uns verursachte Klimakrise.
Bisher wird der Zerstörung des Ozeans nur auf etwa einem Prozent der Fläche der Hohen See Einhalt geboten – in einzelnen, verstreuten Schutzgebieten. Das soll sich mit dem Hochseeschutzabkommen ändern.
Das Abkommen schafft erstmals einen Rechtsrahmen dafür, umfassend anerkannte und verbindliche Meeresschutzgebiete auszuweisen. Auch außerhalb von Schutzgebieten sieht das Abkommen verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfungen für alle menschlichen Aktivitäten auf Hoher See vor, die schädliche Auswirkungen auf die marine Artenvielfalt haben können. Die formale Annahme des Abkommens ist für Juni 2023 geplant. Deutschland setzt sich gemeinsam mit den G7 für eine zügige Ratifizierung ein.
Schutzgebiete auf Hoher See sind im Übrigen unverzichtbar, um ein Ziel zu erreichen, das sich die Staatengemeinschaft im vergangenen Dezember auf der Weltnaturkonferenz in Montreal gesetzt hat: 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresfläche sollen bis 2030 unter Schutz gestellt werden.
Mit dem Abkommen von Montreal hat die Staatengemeinschaft beschlossen, Naturzerstörung und Artenaussterben endlich zu stoppen. Das ist eine Trendwende. Neben der Einrichtung von Schutzgebieten haben wir uns dazu verpflichtet, 30 Prozent der geschädigten Naturräume wiederherzustellen.
Das Abkommen von Montreal hat mir und vielen im Naturschutz Engagierten einen großen Motivationsschub gegeben. Entscheidend ist nun, wie die Trendwende tatsächlich umgesetzt wird und wie wir sicherstellen, dass die Ziele erreicht werden. Daher bin ich sehr froh, dass es gelungen ist, konkrete Mechanismen für Monitoring und Kontrolle zu beschließen.
In Deutschland haben wir mit der Umsetzung bereits begonnen. Dazu überarbeiten wir derzeit unsere nationale Biodiversitätsstrategie. Außerdem haben wir das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz beschlossen. Ziel ist es, Ökosysteme zu schützen, zu stärken und wiederherzustellen. Denn intakte Wälder, Auen und Moore bieten nicht nur wichtige Lebensräume für Tiere und Pflanzen – sie können auch Kohlendioxid aus der Atmosphäre binden und langfristig speichern, und sie schützen uns gegen die Folgen der Klimakrise.
Global wird die Umsetzung nur gelingen, wenn wir gemeinsam daran arbeiten. Deshalb unterstützen wir andere Länder bei der Umsetzung der Beschlüsse von Montreal. Beispielsweise mit der NBSAP Accelerator Partnership, in der Länder aus allen Regionen der Welt zusammenarbeiten.
Mein drittes Beispiel: Auch bei der Bekämpfung der Verschmutzungskrise wollen wir als Staatengemeinschaft in Zukunft besser zusammenarbeiten. Dazu haben wir im vergangenen Jahr mit dem Mandat für ein rechtlich verbindliches UN-Abkommen gegen die Plastikvermüllung von Umwelt und Meeren eine wichtige Initiative auf den Weg gebracht.
Deutschland engagiert sich bereits seit Langem auf internationaler Ebene, um zu einem nachhaltigen Management von Kunststoffen zu gelangen und die Vermüllung der Meere zu vermeiden. In den G7 und G20 haben wir das Thema Meere und Plastikmüll 2015 und 2017 erstmals auf die Agenda gesetzt.
Ich freue mich daher besonders, dass wir uns auf dem Treffen der G7-Umweltministerinnen und Umweltminister im April unter japanischer Präsidentschaft ausdrücklich das Ziel gesetzt haben, die weitere Plastikverschmutzung bis 2040 zu beenden. Das wird auch der nächsten Verhandlungsrunde zum Plastikabkommen im Mai in Paris Rückenwind geben.
Und zuletzt: Beim Treffen der G7-Umweltministerinnen und Umweltminister haben wir uns dazu bekannt, die in Montreal beschlossene Vereinbarung zum Schutz der Natur engagiert voranzutreiben. Und wir haben uns darauf verständigt, den Ausbau erneuerbarer Energien zu forcieren.
Es ist nicht immer ganz einfach, im Kreis der G7 und G20 gemeinsame Ziele und Maßnahmen auszuhandeln. Doch das starke Signal der Geschlossenheit im Kampf gegen Artenaussterben, Plastikvermüllung und Klimakrise, das zuletzt von dem G7-Treffen in Japan ausging, hat erneut gezeigt, dass es sich lohnt.
Konstante multilaterale Formate wie die G7 und G20 bieten eine besondere Chance. Der stetige Austausch der stärksten Wirtschafts- und Industrienationen über gemeinsame Ziele, aber auch Differenzen, unterstützt kommende und festigt die Umsetzung bestehender internationaler Vereinbarungen.
Mit dem zuletzt gezeigten Willen zum gemeinsamen Handeln und Mut zur Veränderung müssen wir jetzt weiter an tragfähigen Lösungen arbeiten: Lösungen, die uns für die Zukunft wappnen, nicht für die Kämpfe der Vergangenheit. Lösungen, die mit der Natur funktionieren, nicht gegen sie. Solche Lösungen will ich voranbringen – auch im Kreis der G20.
Ich begrüße es sehr, dass die indische G20-Präsidentschaft in diesem Jahr – mit dem Motto "One Earth, One Family, One Future" – einen starken Umweltfokus gesetzt hat. Unter anderem strebt Indien an, einen "Green Development Pact" zu verabschieden: Er soll Wachstum und Entwicklung mit starken Klimaschutzzielen in Einklang bringen und einen Fahrplan für grüne Entwicklungsmaßnahmen im nächsten Jahrzehnt aufstellen.
Mir ist besonders wichtig, dass wir uns als G20 auf konkrete Beiträge zur Umsetzung des Montrealer Abkommens verständigen. Wir müssen uns klar dafür einsetzen, die Landdegradierung einzudämmen, Ökosysteme wiederherzustellen und die Verschmutzungskrise anzugehen, auch durch ein nachhaltiges Chemikalienmanagement.
Die stärksten Wirtschafts- und Industrienationen tragen eine besondere Verantwortung, die globale Dreifachkrise entschlossen zu bekämpfen und globale Lösungen voranzubringen. Wir brauchen sie, um die globalen Lösungen vorzubereiten.
Vielen Dank.