– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Casdorff,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich will zu Beginn an die Diskussion vorher anschließen: Weil wir über Europa reden und mit der Fußball-EM ein großartiges Ereignis vor uns haben, will ich Ihnen mitteilen, dass wir als Bundesumweltministerium an jeder Spielstätte in Deutschland einen öffentlichen Trinkwasserbrunnen einweihen werden. Ich persönlich schaue da weniger von der Umweltseite her drauf. Ich empfinde es tatsächlich jeden Tag als einen unglaublichen Luxus, einfach an einen Wasserhahn gehen zu können, einfach an einem metallenen Gegenstand an der Wand drehen zu können und dann kommt gut dort gekühltes, sauberes Trinkwasser heraus. Mehr oder weniger zum Nulltarif. Das empfinde ich immer noch als unglaubliches Privileg in unserem Land. Und wir sollten dies wertschätzen.
Aber von der bevorstehenden EM zu dem, wozu sie mich heute eingeladen haben: Umweltschutzpolitik, Verbraucherschutzpolitik auf europäischer Ebene in der nächsten Legislaturperiode.
Ich würde zunächst eine kurze Rückschau wagen. 2019, vor der letzten Europawahl, war die Klimakrise in aller Munde. Fridays for Future erlebte seine Hochzeit. Es gab viele Demonstrationen. Es herrschte Aufbruchsstimmung in Europa. Nach der Wahl wurde dann der European Green Deal ins Leben gerufen – nicht von den Grünen, sondern als zentrales politisches Projekt der Europäischen Union, von der Kommissionspräsidentin und ihrem Kabinett.
Seitdem hat die europäische Kommission gemeinsam mit dem Parlament und dem Europäischen Rat, den Mitgliedsstaaten, an der Umsetzung des Green Deal gearbeitet. Und bemerkenswert daran ist jetzt nicht, dass eine Kommissionspräsidentin, die in ihrem Parteileben der CDU angehört, den Green Deal ins Leben gerufen hat, sondern dass dieser Green Deal für Europa und für die Mitgliedsstaaten ein Paradigmenwechsel gewesen ist.
Zum ersten Mal hat in einer solchen Tiefe und in einer solchen Breite die Verbindung von ökonomischen und ökologischen Faktoren stattgefunden. Das heißt: Umweltpolitik ist das erste Mal ins Zentrum der Wirtschaftspolitik gerückt. Das hat es in dieser Art und Weise vorher nicht gegeben. Wenn ich jetzt als Umweltministerin auf internationaler Ebene in Verhandlungen unterwegs bin, kann man das in jedem einzelnen Meeting handfest spüren, dass Umweltpolitik längst Standortpolitik geworden ist, längst Handelsfaktor im globalen Welthandel geworden ist und natürlich auch einer der wichtigsten Faktoren im europäischen Binnenmarkt und für Unternehmen, die auf dem europäischen Markt agieren, um Wettbewerbsgleichheit und das berühmte Level-Playing-Field zu schaffen.
Heute, 2024, sind wieder Hunderttausende, Millionen Menschen auf der Straße. Sie sind diesmal auf der Straße, um Demokratie, Freiheit und unsere Verfassung zu verteidigen. Sehr leicht erkennbar sind die Themen andere als noch 2019. Ich glaube, wir sollten uns verinnerlichen, woran das liegt. Wir haben eine durch die Corona Pandemie geschwächte Gesellschaft, ich würde sagen, mindestens in allen europäischen Ländern. Diese wurde dann zusätzlich verunsichert durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, durch Energieknappheit und globale Inflation. Dass das eine andere Sichtweise auf verschiedene Prozesse, auf verschiedene Entwicklungen in unserer Gesellschaft und Wirtschaft hervorruft, liegt, glaube ich, in der Natur der Sache, wäre gar nicht vermeidbar gewesen. Aber was wir zusätzlich erleben, ist, dass Rechtsextremisten diese Situation versuchen auszunutzen, um unsere Gesellschaft zu spalten und letzten Endes die Grundlage unserer Verfassung, unserer Gesellschaft und damit auch unserer Wirtschaft in Frage zu stellen, verächtlich zu machen und zu verändern.
Wir haben gegenwärtig krisenhafte, wir haben verunsichernde Zeiten, und deshalb gilt aus meiner Sicht im Jahr 2024 umso mehr, dass wir uns konzentrieren müssen auf das Finden von Lösungen. Nicht auf das Hochjazzen von Problemen, sondern auf die Lösungssuche zwischen den demokratischen Parteien, auch gerne im demokratischen Meinungsstreit. Dies muss aus meiner Sicht im Vordergrund stehen, wenn wir Stabilität, wenn wir Sicherheit wahren wollen, wenn wir Wettbewerbsfähigkeit stärken wollen, wenn wir uns gegen Krisen wappnen wollen und unseren Wohlstand bewahren wollen.
Dafür bleibt aus meiner Sicht die Grundidee des European Green Deal im Kern bestehen. Wir können immer gucken, wo man ihn adaptieren muss, wo man gegebenenfalls Tempo verändern muss, wo man sich auf aktuelle Entwicklungen einstellen muss, auch gemeinsam mit den globalen Partnern. Aber die grüne Transformation, diese Erkenntnis bleibt richtig, ist ein Standortvorteil, sie ist ein Wettbewerbsvorteil.
Ich habe auf meiner Reise mit einer Wirtschaftsdelegation in China im letzten Herbst in jeder einzelnen Debatte spüren können, welchen Bedarf Umwelttechnologie dort auslöst. Wer baut die Kläranlagen der Zukunft auf? Umwelttechnologie existiert bisher in vielen Ländern nicht gleichermaßen, wie sie für uns inzwischen komplett selbstverständlich ist. In diesem Bereich finden Standortwettkämpfe statt. Wir sollten den Green Deal deshalb von der Idee her weiter nutzen und stärken, auch um von importierter Energie unabhängiger zu werden, um brüchigen Lieferketten zu begegnen – und das nach dem russischen Angriffskrieg noch viel stärker, als das zuvor bereits der Fall gewesen ist. Auch, und Sie haben mich hier als Umwelt- und Naturschutz- und Verbraucherschutzministerin eingeladen, um den Risiken, die aus der Umwelt heraus auf uns zulaufen, stärker und stabiler begegnen zu können.
Ich bin mit dem Bundeskanzler kurz nach Neujahr in den Hochwasserregionen in Sachsen-Anhalt unterwegs gewesen. Ich habe in den letzten Jahren viele Dürreregionen besucht. Sich vorzubereiten auf das, was an Umweltveränderung gegenwärtig zu spüren ist, und unsere Gesellschaft resilient zu gestalten, das heißt es für mich, wenn ich sage, Natur- und Klimaschutz ist längst zum Bevölkerungsschutz geworden. Aber das haben wir noch nicht überall verständlich machen können.
Unter Fachleuten ist das völlig unumstritten. Ich will an dieser Stelle neben den vielen Ökologen, auch gerne das Weltwirtschaftsforum in Davos anführen, das die Umweltrisiken seit Jahren zu den größten Herausforderungen in seinem Risikobericht gezählt hat. Oder den aktuellen Bericht der NATO zur Strategischen Vorausschau, der dies ganz genauso sieht. Und deshalb sind wir aus meiner Sicht gut beraten, auf Umwelt- und Naturschutz nicht so zu schauen, wie das in den letzten Jahrzehnten manchmal der Fall gewesen ist. Die Älteren unter Ihnen erinnern sich an die berühmte Mopsfledermaus oder das "Frösche über die Straße tragen". Darum geht es auch, denn Frösche und Mopsfledermäuse sind immer noch wichtig. Aber wir reden hier über das Instabilwerden des globalen Wasserkreislaufes, also des essenziellsten Mittels, auf das wir alle angewiesen sind, bei dem wir null technologieoffen sind. Wir brauchen Wasser schlicht weg, und zwar jeden Tag. Wir reden über das Instabilwerden von Ökosystem und müssen uns darauf besser vorbereiten. Dekarbonisierung, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschutz, das sind vier Antworten auf diese globalen Umweltrisiken, die ich eben benannt habe. Das bildet aus meiner Sicht die Grundlage sowohl für strategische Autonomie als auch für wirtschaftliche Innovation und für langfristige Kosteneffizienz.
Ich muss dennoch konstatieren, dass sich gegenwärtig die kurze, die schnelle Reaktion auf aktuelle Krisen, auf Demonstrationen, auch auf Protest in der Gesellschaft, eher durchsetzt. In den letzten Monaten ist Umweltpolitik in der Europäischen Union massiv unter Druck geraten. Sie durften das alle jüngst am Freitag mit Blick auf die neuesten Vorschläge der EU-Kommission im Agrarbereich konstatieren. Ich glaube, dass man auf aktuelle Entwicklungen reagieren muss, aber dass man deshalb richtige Erkenntnisse nicht grundsätzlich über Bord schmeißen sollte, wenn sie an so existenzielle Ebenen herangehen wie das Erzeugen unserer Grundnahrungsmittel oder eben das Stabilisieren des Wasserhaushaltes.
Das heißt: Bei der Europawahl wird es auch ganz entscheidend darum gehen, wie es mit dem European Green Deal und damit mit der Zukunftsfähigkeit Europas weitergeht. Von woher wird der Green Deal in Frage gestellt? Aus welchen wahltaktischen Gründen wird das Rad versucht zurückzudrehen? Wo gibt es auch das Standvermögen zu sagen, wir müssen Probleme bewältigen, aber deshalb richtige Erkenntnisse nicht unter den Teppich kehren?
Die Weichen sind ja gestellt, denn dafür hat die EU, dafür hat die europäische Kommission in den letzten Jahren gesorgt, mit dem Green Deal. Über 80 Prozent der nationalen Umweltpolitiken werden inzwischen auf europäischer Ebene festgelegt. Umweltschutz ist damit schon lange ein zentrales Element der europäischen Integration und selbstverständlich auch des Welthandels geworden.
Ich möchte ein paar der wichtigsten Initiativen der letzten Jahre erwähnen:
- Das EU Klimagesetz. Ich denke, darüber muss ich hier nicht viel sprechen, aber es wurden infolge der Zielstellung "Treibhausgasneutralität bis 2050“ in der EU, den ersten treibhausgasneutralen Kontinent, viele Rechtsakte angepasst. Der EU Emissionshandel für die Bereiche Gebäude und Verkehr ist wahrscheinlich derjenige, der auf europäischer Ebene am intensivsten diskutiert worden ist.
- Wir haben in der vorherigen Diskussionsrunde gerade einiges über Kreislaufwirtschaft gehört. Ohne Kreislaufwirtschaft ist Treibhausgasneutralität nicht erreichbar. Es ist unmöglich, ohne den Umstieg auf zirkuläres Wirtschaften die Klimaziele zu erreichen. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir am letzten Freitag die EU-Verpackungsverordnung verabschieden konnten, die einerseits die Verpackungsflut, die Müllflut, von der ja die meisten Verbraucherinnen wirklich absolut genervt sind, einschränken wird. Ich habe noch nie ein Gespräch gehabt, wo irgendjemand sagt, wir bräuchten beim Thema Verpackung weniger Tempo, sondern alle sagen: Macht endlich was dagegen! Deshalb ist es gut, dass dieses Gesetz auch mit deutscher Zustimmung erfolgt ist, dass die Regierung dieses Gesetz in Gänze unterstützt. Die Ökodesign-Verordnung wird dafür sorgen, dass künftig fast alle Produkte langlebig, wiederverwendbar und gut recycelbar sind. Auch das europäische Recht auf Reparatur wurde schon erwähnt. Das klingt immer so ein bisschen niedlich, aber damit ist natürlich viel mehr gemeint, als dass Sie eventuell ihre Waschmaschine auch selber reparieren können sollten. Damit ist gemeint, dass Produkte in Zukunft "by design" reparierbar, wiederverwertbar gestaltet werden müssen. Denn eins der größten Hemmnisse für Kreislaufwirtschaft ist, dass die Dinge am Ende als Abfall betrachtet werden. Wenn sie nicht am Anfang des Designs als Rohstoffe betrachtet werden, werden wir nicht in die Kreislaufwirtschaft einsteigen können. Deshalb ist es auch okay, wenn das niedlich klingt, aber deshalb ist es trotzdem einer der größten wirtschaftspolitischen Hebel für die nächsten Jahrzehnte. Ich kann ihnen auch versprechen, dass das keine europäische Diskussion ist, sondern eine internationale.
- Ein weiteres Beispiel für die Reduzierung von Umweltverschmutzung ist die neue Luftqualitäts-Richtlinie. Wir sind hier zum Beispiel mit dem Umstieg auf E-Mobilität in Europa auf einem guten Weg. Wir setzen den Rahmen dafür, dass die Mobilität der Zukunft elektrisch wird, und ich glaube, das ist ein besonders notwendiges Beispiel, bei dem man darauf hinweisen muss, dass Planungssicherheit von der Industrie immer wieder eingefordert wird, auch gerade in Richtung der Umweltseite, in Richtung des Wirtschaftsministeriums. Wir haben geliefert auf europäischer Ebene. Es gibt Planungssicherheit mit dem Ausstieg aus der Verbrennungstechnologie für den Bereich der Privat-PKW bis 2035. Das sollten wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, weil gerade Europawahl ist.
- Die EU, als nächstes Beispiel, schafft mit der Green Claims Initiative Klarheit bei Greenwashing. Sie verbietet irreführende Werbung. Das ist für den Verbraucherschutz ein Riesenvorteil. Die Siegel werden von vielen Verbrauchern beklagt. Wo ist die Sicherheit? Es wird Orientierung gesucht. Deshalb ist diese Initiative eine sehr, sehr notwendige.
- Und aus ganz aktuellem Anlass will ich auch die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur erwähnen, das "restoration law", das morgen auf europäischer Ebene abschließend für die Mitgliedsstaaten beschlossen werden soll und dann am kommenden Montag im Rat der Umweltminister verabschiedet werden wird. Ich habe schon viel über Wasser, Wasserkreisläufe, stabile Ökosysteme gesagt. Ich will hier noch hinzufügen, dass Renaturierung einer der wichtigsten Bestandteile ist, um uns vor Hochwasser, aber auch vor Dürre in Zukunft besser zu schützen.
Der Umweltbereich liefert verlässliche Regelungen, er liefert Leitplatten, er kümmert sich um den Schutz unserer Bevölkerung, saubere Luft, gute Böden, intakte Ökosysteme. Und auch um die menschliche Erholung im Übrigen, ich sage mal so ein bisschen Salopp: Ich habe noch niemanden getroffen, der sich dazu bekennt, seinen Jahresurlaub in Berlin Mitte verbringen zu wollen. Eigentlich alle Menschen, die ich treffe, wollen ans Meer, in die Berge, aufs Wasser. Das heißt, wir brauchen gesunde Ökosysteme auch für uns selber. Aber vor allem ist der European Green Deal ein Innovationsprogramm für soziale und ökologische Marktwirtschaft.
Wir haben die Weichen richtig gestellt. Jetzt kommt es darauf an, Strecke zu machen. Viele Regelungen wurden auf EU-Ebene beschlossen, oft schwer umkämpft, jetzt müssen sie in nationales Recht umgesetzt werden. Wir haben an vielen Stellen erlebt, dass die eigentliche Schwierigkeit erst dann anfängt, wenn Gesetzgebung wirklich bei den Menschen ganz praktisch und handfest ankommt. Wenn Verhaltensänderungen, Investitionen, erforderlich werden. Das heißt, wenn die Diskussion sehr, sehr basal wird. Ich glaube, dass alle demokratischen Kräfte gut beraten sind, dies gemeinsam zu tun. Gerne im demokratischen Meinungsstreit, aber ohne unsere Erkenntnisse grundsätzlich infrage zu stellen.
Wir brauchen auch neue Regelungen für die nächste Legislaturperiode. Ich denke, es liegt auf der Hand, dass wir in der Agrarpolitik verschiedenes zusammenbringen müssen: die Stabilität der landwirtschaftlichen Produktion, die Stabilität der Ökosysteme und die Tatsache, dass Landwirte Geld verdienen können müssen mit ihren Produkten. Ziel einer neuen Gemeinsamen Agrarpolitik muss es sein, das zusammenzubringen. Es muss sich lohnen für Landwirte, umweltgerecht zu wirtschaften. Wir reden darüber seit vielen Jahren. Jetzt kommt es darauf an – auch angesichts der jüngsten Demonstrationen in vielen europäischen Ländern – diesen Knoten endlich zu durchschlagen. Also Regelungen zu machen in Zeiten, wo die Speicher in vielen Ländern voll sind, Preisdruck eines der größten Probleme für Landwirte ist und vor allem die gestiegen Boden- und Pachtpreise auf die Einkommen drücken, das heißt, dass die Agrarprämien teilweise direkt bei den Bodenbesitzern landen. Wir müssen in der Landwirtschaft Vorsorge gegen die Folgen der Klimakrise treffen. Das sind zwei Bereiche, die ich mit meinem Kollegen Cem Özdemir auch in den nächsten Wochen und Monaten weiter vorantreiben will. Der European Green Deal hat das ursprünglich so angelegt, auch für eine zukunftsfähige Landwirtschaft in Europa, und auch das sollten wir gemeinsam weiterentwickeln.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wir kommen in der Diskussion gleich noch auf die nächsten fünf Jahre vertieft zu sprechen, aber ich finde es gut, ich finde es wirklich gut, dass es in diesen krisenhaften Zeiten der Bundesregierung gelungen ist, Fortschritt im Umwelt- und Naturschutz zu organisieren – für die Menschen, für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Daran werde ich weiterarbeiten. Herzlichen Dank!