Rede von Dr. Christiane Rohleder anlässlich der Veranstaltung der Verbraucherzentrale Bundesverband

18.09.2023
Staatssekretärin Dr. Christiane Rohleder hat auf der Veranstaltung "Leben lernen auf dem Lehrplan – Wie steht es um Verbraucherbildung an Deutschlands Schulen" eine Rede gehalten.

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Frau Pop,
Sehr geehrte Frau Senatorin Günther-Wünsch,
Sehr geehrte Damen und Herren,

jeder von uns – ob jung oder alt – ist jeden Tag Verbraucherin oder Verbraucher. Damit einher gehen zahlreiche tägliche Entscheidungen und Handlungen – was wir essen, für oder gegen den Kauf einer Ware, welcher Energieversorger passend ist, welchen Handytarif wir auswählen, ob wir im Internet in die Nutzung unserer Daten einwilligen und so weiter.

Der Verbraucheralltag ist zeitintensiv. Und es ist gar nicht so einfach, die Übersicht zu bewahren, immer das passende Produkt beziehungsweise die passende Dienstleistung auszuwählen und nicht auf irreführende Darstellungen oder windige Versprechen hereinzufallen. Ohne einiges an Wissen ist es schwierig, im Verbraucheralltag "gute" Entscheidungen zu treffen und nicht in Fallen zu tappen. Dabei kann es natürlich individuell sehr unterschiedlich sein, was eine "gute" Entscheidung ist. Deshalb ist es so wichtig, dass Verbraucherkompetenzen vermittelt werden, um sich sicher und selbstbestimmt in der Verbraucherwelt zu bewegen. Und je früher wir mit Verbraucherbildung anfangen, desto besser.

Und das Thema ist heute wichtiger denn je, weil der Verbraucheralltag immer komplexer wird. Das zeigen allein die Stichworte Künstliche Intelligenz, steigende Lebenshaltungskosten, der Einfluss unseres Konsums auf das Klima oder wie eine Kreislaufwirtschaft zu gestalten ist.

Kindheit und Jugend sind prägende Jahre für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, individueller Vorlieben, Abneigungen, Werte, Einstellungen und Haltungen. Es bilden sich Denkmuster und Verhaltensweisen heraus, die uns im weiteren Leben begleiten.

Es sind auch prägende Jahre für unser Konsumverhalten, seinen Stellenwert, was wir schön finden, welche Marken im Gedächtnis bleiben, woran wir uns gewöhnen. Das wissen die Unternehmen natürlich sehr genau. Deshalb sind Kinder und Jugendliche eine lukrative Zielgruppe und werden von der Werbewirtschaft frühzeitig angesprochen. Vor allem im digitalen Raum mit immer mehr personalisierter Werbung und Angeboten. Und gerade im digitalen Raum verbringen Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit.

  • Sie müssen daher zum Beispiel lernen, seriöse von unseriösen Informationen im Netz zu unterscheiden. Welche Informationen sind wahr, welche sind unabhängig, was ist "fake" und manipulativ?
  • Auch ein Grundverständnis von digitalen Geschäftsmodellen wird immer wichtiger. Welche sind fair und welche nutzen marktdominante Stellungen aus, um Daten zu sammeln, mit ausgeklügelten Verfahren in den Bann zu ziehen und Werbung zu streuen?

Aber auch der analoge Alltag hat seine Herausforderungen. Hier werden Kinder zum Beispiel mit Comic- oder Heldenfiguren auf Produktverpackungen gezielt angesprochen.

Die Entwicklung von Verbraucherkompetenzen bei Kindern und Jugendlichen kann auch ein Bewusstsein dafür schaffen, wie nachhaltig das eigene Konsumverhalten ist. Verbraucherbildung ist daher auch ein wichtiger Baustein für die Transformation zu einer nachhaltigen Welt. Denn wer weiß, wie Einwegverpackungen aus Kunststoff unsere Ressourcen verschwenden, unsere Umwelt belasten und Meere verschmutzen, entscheidet sich beim Kaffee-to-go vielleicht für einen Mehrwegbecher. Oder wer über die Fast-Fashion-Industrie und die Arbeits- und Umweltstandards in den Produktionsländern Bescheid weiß, fragt sich eher, ob der nächste Kleidungskauf notwendig ist oder greift zu Second Hand oder tauscht mal Kleider im Freundeskreis.

Schule soll auf das Leben vorbereiten. Und was liegt da näher, als dass Alltagssituationen in der Schule aufgegriffen und eingeordnet werden? Die Vermittlung von Verbraucherkompetenzen an Schulen bietet Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, sich in geschützten Räumen zu informieren und auszuprobieren. Dies unterstützt sie auch dabei, zu selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Menschen zu entwickeln.

Schülerinnen und Schülern macht es auch Spaß, wenn die Lerninhalte einen direkten Bezug zu ihren Alltagserfahrungen herstellen. Viele Schülerinnen und Schüler interessieren sich für Verbraucherthemen. Vielleicht können sich einige von Ihnen noch an die 17-jährige Schülerin Naina erinnern, die tweetete "Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen". So wie Naina geht es vielen Schülerinnen und Schülern. Eine repräsentative Forsa-Umfrage zum Tag der Bildung 2022 , in der 14- bis 21-Jährige befragt wurden, zeigt ein ähnliches Bild. Nur rund 57 Prozent der Befragten gaben an, dass das Schulwissen auch außerhalb der Schule nützlich ist. Das zeigt: Das Interesse von Schülerinnen und Schülern an Verbraucherthemen sollte aufgegriffen und als Chance verstanden werden.

Viele Schulen und zahlreiche engagierte Lehrkräfte integrieren bereits heute auf kreative Weise Verbraucherbildung in den Schulunterricht. Sei es durch Projekttage, Schulausflüge oder Schüler-AGs zu ausgewählten Verbraucherthemen oder durch die Einbindung von Beispielen aus dem Verbraucheralltag in bestehende Schulfächer. Beispielsweise wenn im Matheunterricht die Berechnung des Dreisatzes anhand von Verbraucherthemen vermittelt wird und Schülerinnen und Schüler verstehen, warum die große Packung im Supermarkt nicht immer günstiger ist, sondern der Preis pro Messeinheit zählt.

Bei der jährlichen Auszeichnung der Verbraucherschulen durch den Verbraucherzentrale Bundesverband wird immer wieder deutlich, was motivierte und leidenschaftliche Lehrkräfte alles auf die Beine stellen. Und das neben all den vielen anderen Themen und Aufgaben. Für Ihr herausragendes Engagement gebührt Ihnen Dank und Anerkennung, liebe Lehrkräfte!

Eine aktuelle Befragung des Verbraucherzentrale Bundesverbands zeigt aber auch, dass viele Lehrkräfte in den Schulen noch Handlungsbedarf sehen. Zum Beispiel wünschen sich viele Lehrerinnen und Lehrer passenderes Unterrichtsmaterial und gute Fortbildungsangebote zu Verbraucherthemen.

Mit Maßnahmen wie dem Materialkompass und dem Netzwerk Verbraucherschule leistet beispielsweise der Verbraucherzentrale Bundesverband hier einen wichtigen Beitrag. Ich freue mich, dass wir als Bundesverbraucherschutzministerium dieses Engagement mit der Förderung des Verbraucherzentrale Bundesverbands unterstützen können. Der Materialkompass stellt Lehrenden qualitativ hochwertiges Unterrichtmaterial zur Verfügung, das von Fachexperten geprüft wurde. Das Netzwerk Verbraucherschule bietet Lehrkräften die Möglichkeit der Vernetzung, des Voneinander-Lernens und regelmäßige Online-Fortbildungsmöglichkeiten zu Verbraucherthemen.

Vor nunmehr zehn Jahren hat die Kultusministerkonferenz ihren Beschluss "Verbraucherbildung an Schulen" verabschiedet, der Ausgangspunkt für die strukturelle Entwicklung sein sollte. In vielen Bundesländern wurden seither sichtbare Fortschritte erzielt. Verbraucherbildung wurde beispielsweise in Leitperspektiven, Schulgesetzen, Lehrplänen, Schulprofilen und bei der curricularen Entwicklung aufgegriffen. Diese Entwicklungen bilden eine ganz wesentliche Grundlage, um Verbraucherbildung an Schulen weiterzubringen.

Aus der vzbv-Fokusgruppenbefragung geht aber auch hervor, dass sich Lehrkräfte noch mehr Unterstützung wünschen, um vorhandene Rahmenwerke erfolgreich in den praktischen Schulunterricht zu übertragen. Dabei ist mir persönlich wichtig, dass hier nicht den ohnehin hoch belasteten Lehrkräften einfach noch das "nächste Thema" aufgebürdet wird. Dazu braucht es eine kluge Balance und Priorisierung von Themen in den Curricula. Nur so können Verbraucherthemen flächendeckend in den Unterricht integriert werden und nicht mehr länger nur vom Engagement einzelner Lehrkräfte und Schulen abhängen. Nur so bekommen Verbraucherthemen einen festen Platz an Schulen, anstatt nur ein "add on" oder "nice to have" zu sein, wie das im Moment meist der Fall ist.

Vieles muss dazu gar nicht neu erfunden werden. Teilweise haben Verbraucherthemen bereits Eingang in den Unterricht gefunden, nur nicht unter dem Label Verbraucherbildung. Auch dies sind Ergebnisse der vzbv-Fokusgruppenbefragung von Lehrkräften aller Schulstufen.

Die befragten Lehrkräfte weisen allerdings darauf hin, dass Verbraucherbildung hauptsächlich an Grundschulen, zum Teil in der Sekundarstufe I, aber kaum in der Sekundarstufe II stattfindet. Damit wird ein bedeutender Anteil an Schülerinnen und Schülern nicht erreicht, wenn es darum geht, Verbraucherkompetenzen zu vermitteln.

Insofern ist es auch wichtig hinzuschauen, was es wo schon gibt, wenn wir diskutieren, wie Verbraucherbildung zukünftig vorangetrieben werden soll.

Dazu bedarf es eines kontinuierlichen Austauschs der verschiedenen politischen Ebenen der Bildungs- und Verbraucherpolitik mit der Bildungspraxis, um gemeinsame Fortschritte in der Verbraucherbildung zu erreichen.

Auf Initiative des Bundesverbraucherschutzministeriums hat die Verbraucherschutzministerkonferenz im Juni beschlossen, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Verbraucherbildung einzurichten, in der unterschiedliche Akteurinnen und Akteure aus der Verbraucher- und Bildungspolitik, Wissenschaft, Bildungspraxis, Lehrende und Lernende zusammenkommen sollen. Es soll eine Plattform geschaffen werden, in der erfolgreiche Umsetzungen von Verbraucherbildung sichtbarer gemacht und weiterentwickelt werden. Gleichzeitig sollen auch die zuvor genannten strukturellen und inhaltlichen Bedarfe angegangen werden. Die erste Sitzung ist im Januar nächsten Jahres geplant.

Die heutige Veranstaltung ist mir daher auch ganz wichtig, um von Ihnen zu erfahren, wo Sie Verbesserungsbedarf sehen und was es für gelungene Ansätze gibt, die leuchtende Beispiele sein können. Diese Anregungen können dann auch in der Bund-Länder- Arbeitsgruppe aufgegriffen werden.

Insofern mein ganz herzlicher Dank an den Verbraucherzentrale Bundesverband und die Mitarbeitenden dort und bei uns, dass Sie mit viel Initiative und Leidenschaft das Thema Verbraucherbildung vorantreiben und für die Organisation dieser Veranstaltung.

18.09.2023 | Rede Verbraucherschutz
https://www.bmuv.de/RE10738
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