Apotheken Umschau: Frau Lemke, als Bundesumweltministerin beschäftigen Sie sich täglich mit den Folgen des Klimawandels. Macht Ihnen das manchmal Angst?
Steffi Lemke: Ich bin zum Glück kein besonders ängstlicher Mensch. Aber natürlich schaue ich mit großer Sorge auf die nicht mehr abwendbaren Folgen der globalen Klimakrise. Wir erleben immer häufiger Hitze- und UV-Belastung, Dürre, Starkregen und Hochwasser, aber auch ein weltweites Artensterben. Das alles sind Entwicklungen, die uns massiv bedrohen und auf die wir Antworten finden müssen.
Die Weltgesundheitsorganisation bezeichnet den Klimawandel als größte Gesundheitsgefahr für die Menschheit.
Zu Recht, die Klimakrise macht viele Menschen krank. Nehmen wir zum Beispiel die zunehmende Hitze. Temperaturen von mehr als 35 Grad Celsius sind in Deutschland schon lange keine Seltenheit mehr. Das belastet insbesondere ältere und chronisch kranke Menschen. 2023 gab es 3200 Hitzetote, im Jahr davor waren es 4500. Wir müssen uns an Klimakrise und Hitzewellen anpassen, um unsere Gesundheit zu schützen.
In Frankreich gibt es längst verpflichtende Hitzeschutzpläne, in Deutschland nur Empfehlungen. Greift das nicht zu kurz?
Die Bundesregierung hat Empfehlungen für den Schutz von Risikogruppen in Pflegeheimen und Kliniken entwickelt und als Umweltministerium beraten wir bei der Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit. Aber: Die Kommunen müssen individuell entscheiden können, wie sie sich schützen und auf welche Ereignisse sie sich vorbereiten wollen. Denn die klimabedingten Risiken sind in Deutschland räumlich ungleich verteilt.
Das müssen Sie erklären.
Eine Kommune am Meer steht vor anderen Herausforderungen als ein Dorf in den Bergen oder eine Großstadt. Deshalb brauchen wir passgenaue Lösungen, die nur vor Ort entwickelt werden können. Den Rahmen dafür gibt das Bundes-Klimaanpassungsgesetz vor, das Anfang Juli in Kraft treten wird. Neben regionalen Maßnahmen gibt es aber auch einige, die für ganz Deutschland geregelt werden können, wie die bessere Zugänglichkeit von Trinkwasser im öffentlichen Raum.
Was regelt das neue Gesetz?
Die Länder sind dann verpflichtet, dafür zu sorgen, dass für die Gemeinden und Kreise Konzepte zur Klimaanpassung aufgestellt werden. Es muss also überall vor Ort genau hingeschaut werden: Wie sind wir von den Folgen der Klimakrise betroffen und was können wir dagegen tun? Hitze ist dabei ein wichtiger Aspekt. Ich rechne damit, dass viele Kommunen damit in diesem Jahr beginnen werden. Unabhängig davon müssen wir die Menschen dafür sensibilisieren, auch ihr individuelles Verhalten den Temperaturen anzupassen, vor allem bei Aktivitäten im Freien.
Viele Menschen werden sich draußen zum Public Viewing der Spiele der Fußball-Europameisterschaft treffen.
Ich finde es toll, dass dieses Fußballfest in Deutschland stattfindet. Damit die Menschen unbeschwert feiern können, dürfen wir die Gefahren von Hitze- und UV-Belastung aber nicht aus den Augen verlieren. Ausreichend Wasser trinken ist natürlich wichtig, am besten schon bevor das Durstgefühl einsetzt. In vielen Städten hat der Bund dafür gesorgt, dass zur EM neue Trinkbrunnen aufgestellt werden. Und: An Sonnenschutz denken.
Was tun Sie, um sich bei Hitze abzukühlen? Haben Sie einen Tipp?
Ich lasse kaltes Wasser über Unterarme und Handgelenke laufen. Das ist unglaublich erfrischend. Auch eiskalte Fußbäder sind ein guter Tipp, aber das lässt sich nicht so einfach umsetzen, wenn man viel unterwegs ist. Außerdem habe ich immer eine Trinkflasche mit Wasser dabei. Leitungswasser ist ein guter und umweltverträglicher Durstlöscher.
Abkühlung ist vor allem in den Städten ein Problem. Wird ein gesundes Leben in der Stadt in Zukunft überhaupt noch möglich sein?
Gerade in den Städten werden wir uns anpassen müssen, denn Städte sind nicht nur von Hitze, sondern auch von Starkregenereignissen besonders betroffen: Die besten Voraussetzungen dafür bietet die sogenannte Schwammstadt. Damit gemeint ist eine Stadt, die tatsächlich wie ein Schwamm funktioniert, bei Starkregen viel Wasser aufnehmen und in Dürreperioden wieder abgeben kann. Dafür braucht es mehr Grün in der Stadt, zum Beispiel im Form von Grünanlagen und Schatten spendenden Bäumen oder Dach- und Fassadenbegrünungen. Aber auch Strukturen, über die das Wasser abfließen und sinnvoll gespeichert werden kann, sind erforderlich.
Dank steigender Temperaturen fühlt sich die Tigermücke zunehmend heimisch bei uns. Sie kann etwa das Dengue-Virus übertragen. Worauf müssen wir uns einstellen?
Die Asiatische Tigermücke ist vor allem in Berlin, Baden-Württemberg, Hessen und Thüringen angekommen. Auch die japanische Buschmücke taucht immer wieder in bestimmten Regionen Deutschlands auf. Bislang sind das nur vergleichsweise kleine Populationen. Wir müssen uns aber darauf einstellen, dass sich diese und andere Arten hier fest etablieren und zukünftig Erreger übertragen könnten.
Wie können wir uns schützen?
Wie wir uns auch gegen heimische Mücken schützen: Mit Fliegengittern vor den Fenstern, Mückenschutzspray und langer Kleidung. Wir müssen dabei beachten, dass die Asiatische Tigermücke im Gegensatz zu unseren heimischen Mücken am Tag aktiv ist. Darüber hinaus ist es wichtig, mögliche Brutstätten für Mücken zu vermeiden, beispielsweise indem Regentonnen abgedeckt werden.
Das klingt so, als könnten wir der Ausbreitung dieser Mücken nicht viel entgegensetzen.
Wir beobachten die Entwicklungen genau. Es gibt durchaus Möglichkeiten, gegen diese Mücken vorzugehen. Die Verbreitung der Zecken bereitet schon heute Sorgen. Sie können gefährliche Krankheiten wie Borreliose oder Frühsommer-Meningoenzephalitis – kurz FSME – übertragen. In Deutschland gibt es inzwischen viele FSME-Risikogebiete. In diesen Regionen ist der persönliche Schutz natürlich besonders wichtig und gegebenenfalls die Impfung gegen FSME.
Auch Starkregen und Überschwemmung bedrohen uns. So wie aktuell in Bayern und Baden-Württemberg.
Die Lage in den Katastrophengebieten ist sehr ernst und führt uns mit aller Gewalt vor Augen, dass wir uns gegen die Folgen der Klimakrise besser schützen müssen. Denn: In Deutschland und weltweit werden Starkregen und Hochwasser immer häufiger und heftiger. Meine Gedanken sind bei den Angehörigen der beiden Todesopfer und bei denen des Feuerwehrmanns, der in den Fluten vermisst wird. Das Hab und Gut vieler Bürgerinnen und Bürger wurde zerstört, viele fürchten derzeit um ihre Existenz.
Was brauchen wir, um uns in Zukunft besser gegen solche Katastrophen zu wappnen?
Nach der verheerenden Flut im Ahrtal 2021 haben wir angefangen, den Hochwasserschutz in Deutschland neu zu denken, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Wir brauchen mehr intakte Böden, Moore und natürliche Auenflächen, damit Wasser besser in der Landschaft gespeichert werden kann. In Regionen wie dem Ahrtal werden wahrscheinlich auch künstliche Becken nötig sein, die bei Starkregen Wasser aufnehmen können. Auch natürliche Hochwasserschutzanlagen, etwa Deichrückverlegungen, können die Flusspegel entlasten. Dafür brauchen wir ein neues Hochwasserschutzgesetz. Hier sind wir bereits in intensiven Gesprächen mit den Bundesländern.
Zurzeit beschäftigen die Menschen viele Krisen. Ist der Kampf gegen den Klimawandel in den Hintergrund gerückt?
Das denke ich nicht. Natürlich unterstützen wir die Menschen in der Ukraine und blicken mit Sorge auf die Situation in Nahost. Die Leute haben deswegen aber nicht die Klimakrise aus den Augen verloren. Das könnten wir uns auch gar nicht leisten, angesichts der massiven Gefahren, die von ihr ausgehen. Denn eins ist klar: Wenn weltweit die Lebensräume für Menschen, Tiere und Pflanzen weiter geschädigt werden, nehmen unsere gesellschaftlichen Krisen zu.
Frau Lemke, vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führten S. Schersch und S. Brodkorb
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