Strukturgüte

Neben der Verbesserung der Wasserqualität müssen die Gewässer, ihre Ufer und ihr Umfeld so erhalten bleiben oder wieder gestaltet werden, dass sich in einem möglichst naturnahen Ökosystem die naturraumtypischen Lebensgemeinschaften entwickeln können. Naturnahe Fließgewässer sind durch große Strukturvielfalt und Uneinheitlichkeit des fließenden Wasserkörpers gekennzeichnet. Gewässerabschnitte mit höherer und niedrigerer Fließgeschwindigkeit wechseln einander ab, was die Voraussetzung für eine Besiedlung durch eine artenreiche Flora und Fauna schafft.

Zahlreiche Fließgewässer haben durch Beeinträchtigungen der Abflussdynamik und der Durchgängigkeit einen wesentlichen Teil ihrer Funktion als Lebensader für den Naturhaushalt verloren. Für die Erhaltung oder Regenerierung naturnaher Gewässerstrukturen wurden im Rahmen internationaler Schutzkommissionen wie zum Schutz des Rheins und der Elbe bereits eine Reihe ökologischer Zielvorstellungen erarbeitet.

Die Gewässerstruktur wird bestimmt durch verschiedene Nutzungsansprüche (zum Beispiel Schifffahrt, Wasserkraft, Hochwasserschutz), die sich negativ auf die Gewässerbeschaffenheit auswirken, indem sie die natürliche Vielgestaltigkeit der Lebensräume und die Dynamik der Wasserführung vereinheitlichen, die Durchgängigkeit des Fließgewässers durch Wehre und Staustufen unterbrechen und die Einheit von Fluss und Aue zerstören. Damit treten unter anderem eine Verarmung des ursprünglichen Artenbestandes sowie eine Verschiebung des Artenspektrums ein.

Neben der Wasserqualität werden auch die Lebensbedingungen für Pflanzen und Tiere in und an den Bächen und Flüssen von der Struktur des Gewässers, vom Gewässerbett und der Aue bestimmt. Verbauung, Begradigungen, die Beseitigung von Röhricht und Ufergehölzen und die Nutzung der Auen bis unmittelbar an den Gewässerrand verändern die natürliche Struktur eines Gewässers erheblich.

Gewässerstrukturkarte

Zu den Ursachen für eine naturferne Gewässerstruktur gehören vor allem die vielfältigen Nutzungen der Gewässer und der Flussauen, unter anderem durch Deichbauten, Ausbau für die Schifffahrt, Querbauwerke zur Abflussregulierung und Gewässeraufstaumaßnahmen zur Energiegewinnung.

Die im Dezember 2002 erstmals von der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) gemeinsam mit dem Umweltbundesamt erstellte Gewässerstrukturkarte gibt einen umfassenden Überblick über die von Menschenhand vorgenommenen Eingriffe in die Gewässer in Deutschland.

Es wurden insgesamt 33.000 Kilometer Fließgewässer (ausgenommen künstlich angelegte) untersucht und bewertet. Die Ergebnisse wurden in 7 Stufen – von Klasse 1 (unverändert) bis Klasse 7 (vollständig verändert) – dargestellt. 

KlasseGrad der Beeinträchtigung
1unverändert
2gering verändert
3mäßig verändert
4deutlich verändert
5stark verändert
6sehr stark verändert
7vollständig verändert

Die Gewässerstrukturkarte ist eine wichtige Arbeitshilfe, um die Fließgewässerstruktur weiter zu verbessern und die Vorgaben der am 22. Dezember 2000 in Kraft getretenen Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL 2000/60/EG) zu erfüllen. Bis 2015 sollen die Fließgewässer in den Mitgliedsstaaten insgesamt einen guten ökologischen Zustand erreichen.

Unveränderte (Klasse 1) bis mäßig veränderte (Klasse 3) Bach- und Flussabschnitte finden sich noch im Alpen- und Voralpengebiet, in den Granit- und Gneislandschaften des Bayerischen Waldes, in den Oberlaufabschnitten der Mittelgebirge, in den Heidelandschaften der norddeutschen Tiefebene und den eiszeitgeprägten Landschaften in Mecklenburg-Vorpommern. In diesen Landschaftsräumen sind die naturräumlichen Voraussetzungen wie Boden und Klima oder auch das Relief zum Teil so beschaffen, dass der Gewässerausbau der gewässerbegleitenden Flächen weitgehend unterblieben ist.

Verfahren zur Bewertung der Qualität

Von der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) wurde ein siebenstufiges Verfahren zur Bewertung der ökomorphologischen Qualität des Gewässerbettes, des Uferbereiches und des Umlandes in kleinen und mittelgroßen Fließgewässern entwickelt. Es beinhaltet folgende Haupt- und Einzelparameter:

1. Sohle

  • Laufentwicklung (Laufkrümmung, Längsbänke, besondere Laufstrukturen, Krümmungserosion, Profiltiefe, Uferverbau)
  • Längsprofil (Querbänke, Tiefenvarianz, Querbauwerke, Verrohrungen, Durchlässe, Strömungsdiversität, Strömungsbild, Rückstau)
  • Sohlenstruktur (Substrattyp, Sohlverbau, Substratdiversität, besondere Sohlenstrukturen)

2. Ufer:

  • Uferstruktur (Uferbewuchs, Uferverbau, besondere Uferstrukturen)
  • Querprofil (Profiltyp, Profiltiefe, Breitenvarianz, Breitenerosion)

3. Land:

  • Gewässerumfeld (Uferstreifen, Nutzung der angrenzenden Fläche, besondere Umfeldstrukturen, besondere Belastungen)

Die Bewertung orientiert sich am natürlichen Entwicklungspotential des Fließgewässers – bewertet wird die Ausprägung der Naturnähe beziehungsweise Naturferne der Merkmale in den Gewässerstrecken. Durch Aggregation der Einzelparameter wird die Strukturgüteklasse ermittelt und der Grad der Beeinträchtigung im Verhältnis zum potenziell natürlichen Zustand (Leitbild) beschrieben. Der potentiell natürliche Zustand beinhaltet irreversible Veränderungen natürlichen (zum Beispiel Verlandungsprozesse in Seen) oder anthropogenen Ursprungs (zum Beispiel Auelehmböden in Flussniederungen als Folge der Abholzung), erlaubt jedoch die Entfernung von Einbauwerken.

Stand: 01.08.2012

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