Planetare Belastbarkeitsgrenzen
Der relativ stabile erdgeschichtliche Zustand des seit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 11.000 Jahren herrschenden "Holozäns" ist der bisherige Rahmen natürlicher Lebensbedingungen für die gesamte Zivilisationsgeschichte der Menschheit. Diesen stabilen Zustand zu verlassen, könnte eine nachhaltige Entwicklung gefährden: Armut zu beenden, gesunde Lebensbedingungen zu schaffen, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität zu ermöglichen, Gerechtigkeit und Frieden zu fördern, Lebensqualität und Wohlstand zu erhalten – all dies wird nicht möglich sein, wenn das Fundament fehlt: eine stabile, gesunde Umwelt und eine intakte Natur.
Ein Kreis von etwa 30 internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Johan Rockström vom Stockholm Resilience Centre publizierte im Jahr 2009 den Fachartikel "A safe operating space for humanity" ("Ein sicherer Handlungsraum für die Menschheit"). Die Autorinnen und Autoren formulierten darin für neun zentrale biophysikalische Systeme und Prozesse der Erde sogenannte "planetare Belastbarkeitsgrenzen", die zusammen einen sicheren Handlungsraum definieren.
Werden diese Belastbarkeitsgrenzen überschritten, erhöht sich das Risiko großräumiger, abrupter oder irreversibler Umweltveränderungen ("Kipp-Punkte") und die Widerstandsfähigkeit unseres Planeten, seine Stabilität, wird gefährdet. Vergleichen kann man die planetaren Grenzen mit den Kriterien eines Check-Ups beim Arzt: Wer zum Beispiel zu hohen Blutdruck hat, wird nicht sofort einen Herzinfarkt erleiden. Je höher der Blutdruck aber steigt, und je länger er höher liegt, als der als "gesund" festgelegte Wert, desto höher ist das Risiko. Wenn dazu noch zu hoher Cholesterinspiegel und zu hohes Gewicht kommen, wird die Lage kritisch.
Die neun planetaren Grenzen sind: Klimawandel; Überladung mit neuartigen Substanzen; Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre; Aerosolbelastung der Atmosphäre; Versauerung der Ozeane; Störung der biogeochemischen Kreisläufe; Veränderung in Süßwassersystemen; Veränderung der Landnutzung und Veränderung in der Integrität der Biosphäre.
Nachdem 2009 zunächst nur sieben planetare Belastbarkeitsgrenzen mit Zahlen unterlegt werden konnten, gelang es einem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Ende 2023 erstmals, alle neun Prozesse zu quantifizieren. Dieses "Update" kam auch zu dem Schluss, dass sechs der neun planetaren Grenzen bereits überschritten wurden. Die Autoren der Studie sprechen von einem Weckruf.
Sechs der neun Planetaren Grenzen sind derzeit überschritten. Dies gilt für den Klimawandel; die Überladung mit neuartigen Stoffen; die Veränderung der biogeochemischen Kreisläufe (Stickstoff- und Phosphorkreisläufe); die Veränderung von Süßwassersystemen; die Änderung der Landnutzung und Zustand der Biosphäre. Drei dieser planetaren Grenzen sind dabei schon so weit überschritten, dass der Hochrisikobereich erreicht wurde (Klimawandel, Veränderung der biogeochemischen Kreisläufe und Veränderung in der Integrität der Biosphäre). Nur in drei Fällen befinden wir uns noch im sicheren Bereich: bei der Zunahme der Aerosolbelastung in der Atmosphäre, der Versauerung der Ozeane (bei der die Planetare Grenze allerdings schnell näher rückt) und dem Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre. Der Abbau der stratosphärischen Ozonschicht wurde regional überschritten ("Ozonloch" über der Antarktis). Durch gemeinsame Anstrengungen von Wissenschaft, Politik und Industrie konnte jedoch eine Trendumkehr erreicht werden, und die Ozonschicht baut sich langsam wieder auf. Dieser Umschwung kann direkt auf den Erfolg des Montrealer Protokolls zum Schutz der Ozonschicht (1987) zurückgeführt werden. Mit ihm wurde eine internationale Vereinbarung getroffen, um die Verwendung von fast 100 vom Menschen hergestellten ozonabbauenden Stoffen zu regulieren, darunter Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW).
Die Definition ökologischer planetarer Belastbarkeitsgrenzen basiert einerseits auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, andererseits auf der Anwendung des Vorsorgeprinzips. Das Vorsorgeprinzip verfolgt den Ansatz der Risikovermeidung, die besagt, dass eine Politik oder Maßnahme nicht durchgeführt werden darf, wenn sie der Allgemeinheit oder der Umwelt Schaden zufügen kann und weiterhin kein wissenschaftlicher Konsens zu diesem Thema besteht. Damit soll möglichen Risiken vorgebeugt werden, auch wenn keine vollständige Wissensbasis vorliegt. Es geht also darum, Schäden an der Umwelt zu vermeiden, da außerhalb des durch die planetaren Grenzen definierten sicheren Handlungsrahmens die Aus- und Wechselwirkungen von Umweltschäden unseren derzeitigen Kenntnisstand übersteigen und nicht abzuschätzen sind .
Das Konzept der planetaren Belastbarkeitsgrenzen macht deutlich, dass sich der Klimawandel in eine ganze Reihe riskanter, durch Wechselwirkungen miteinander verbundener Veränderungen im Erdsystem einfügt und somit nicht die einzige gravierende globale Umweltveränderung darstellt. Das Konzept illustriert, dass der menschengemachte Klimawandel zwar "die größte Gesundheitsbedrohung für die Menschheit" darstellt, wie es unter anderem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreibt, eine Fokussierung auf den Klimawandel allein aber für mehr Nachhaltigkeit, für den Erhalt unseres sicheren Handlungsraums nicht ausreicht. Stattdessen ist ein integriertes Verständnis von entscheidender Bedeutung. Ziel ist das Verständnis der Wechselwirkungen der planetarer Grenzen untereinander, insbesondere des Klimas und des Verlusts der Artenvielfalt.
Die starken Veränderungen der Erde – so die These einiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – könnten dazu führen, dass die Erde in eine neue erdgeschichtliche Epoche eintritt: das "Anthropozän".
Die neun planetaren Grenzen im Einzelnen
Die Helmholtz Klima-Initiative hat die Ergebnisse zusammengefasst. Die wichtigsten Punkte werden hier dargestellt. Dazu wurden einige Textpassagen aus dem Artikel übernommen.
Das "Hochzeitstorten-Modell"
Auf dem Modell der planetaren Belastbarkeitsgrenzen aufbauend entwarfen Carl Folke, Johan Rockström und andere Forscher im Jahr 2016 ein erweitertes Modell, das nach dem Prinzip einer Hochzeitstorte aufgebaut ist. Damit soll das wissenschaftliche Modell der planetaren Belastbarkeitsgrenzen auf die Ziele für eine Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen übertragen werden.
Ausgangspunkt des Modells ist die Tatsache, dass Wirtschaftssysteme und Gesellschaften in die Biosphäre eingebettet und daher vom Erhalt der Biosphäre abhängig sind. Das Modell wendet sich vom sektoriellen Ansatz ab, in dem die soziale, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung getrennt betrachtet werden. Es nimmt stattdessen die Wirtschaft als integrativen Teil unserer Gesellschaft in den Blick, der sich ausschließlich innerhalb der planetaren Grenzen entwickeln darf.
Basis dieser Darstellung sind vier nicht-verhandelbare planetare Grenzen, nämlich: Trinkwasser, Klima, Biodiversität und Meere. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler messen damit den Nachhaltigkeitszielen 6 (Wasser), 13 (Klima), 14 (Leben im Wasser) und 15 (Leben an Land) eine grundlegende Bedeutung zu.
Bereits im Integrierten Umweltprogramm 2030 des BMUB (2016) wurde die Einhaltung der ökologischen Grenzen als zentrale Herausforderung für die Umweltpolitik eingeordnet. In der Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) 2016 stellte die Bundesregierung fest, dass "die planetaren Grenzen unserer Erde zusammen mit der Orientierung an einem Leben in Würde für alle die absoluten Leitplanken für politische Entscheidungen bilden". Auch die DNS 2021 stellt fest, dass die "planetaren Belastbarkeitsgrenzen" einen "sicheren Handlungsraum" definieren, innerhalb dessen Entwicklung, globale Gerechtigkeit, Wohlstand und ein "gutes Leben" erreicht und dauerhaft gesichert werden können.