Europa ist bereit für einen Digitalen Green Deal

Wie die Digitalisierung zum Werkzeug für den Umweltschutz werden kann
Illustration einer Weltkugel mit Fokus auf Europa

Die COVID-19-Krise hat der Digitalisierung in ganz Europa einen Schub versetzt. Das betrifft viele Aspekte unseres Alltags: das mobile Arbeiten, das "Home schooling" oder die Nutzung digitaler Plattformen fürs Einkaufen. Digitale Tools und Daten spielen außerdem eine essentielle Rolle beim Kampf gegen das Coronavirus: sei es bei der Nachverfolgung von Infektionsketten mit Hilfe von Apps, bei der Nutzung von Daten zum Aufspüren von Infektionsherden oder bei der Auswertung der Folgen der Pandemie für den Arbeitsmarkt und die Umwelt.

Je weiter die Digitalisierung fortschreitet, desto dringender müssen wir ihr eine Richtung geben. Jetzt ist dafür der richtige Moment gekommen.

Am 15.12.2020 stellte die EU-Kommission ihren "Digital Services Act" vor, ihr Legislativpaket über digitale Dienste – eine Art neue Verfassung für die Digitalisierung in Europa. Dazu zählen neue Regeln für Plattformen, für digitale Inhalte und Daten.

Daten sind der Rohstoff der digitalen Wirtschaft. Ihre intelligente Nutzung liegt somit im öffentlichen Interesse. Um die demokratische Kontrolle zurück zu gewinnen, brauchen wir klare Regeln. Dazu gehören striktere kartellrechtliche Regeln, die Datenschutz und Wettbewerb miteinander verbinden. Governance-Modelle für "Data trust" und die Förderung der Entwicklung von Technologien, die dezentral funktionieren und den Datenschutz verbessern.

Darüber hinaus brauchen wir ebenso klare Regeln für all die Infrastruktur, die den Zugang zu digitalen Daten ermöglicht.

Rechenzentren, digitale Infrastruktur und Endgeräte benötigen Unmengen von Ressourcen und Energie. Mit der Zahl der Geräte wächst der Verbrauch weiter massiv an. Wenn wir jetzt nichts unternehmen, wird uns der prognostizierte Energieverbrauch beim Erreichen unserer Umwelt- und Klimaschutzziele massiv zurückwerfen.

Deshalb werben wir für einen "Digital Green Deal", denn es geht darum, mit Hilfe digitaler Technologien soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu erreichen.

So eine Art der nachhaltigen Digitalisierung böte für Europa neue Chancen, weltweit eine Führungsrolle zu übernehmen, klar abgesetzt vom konsumentengetriebenen Ansatz des Silicon Valleys oder autoritären Modellen. Vor allem angesichts des von den USA und China geführten Kalten Kriegs der Technologien, der die globale Tech-Industrie zu spalten droht, erscheint uns dies als notwendig.

Unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft haben wir an dieser Vision in den vergangenen sechs Monaten bereits gearbeitet. Ansatzpunkte dafür gibt es viele. Drei Beispiele:

Erstens: Die Umweltdaten aller EU-Mitgliedstaaten, zusammengeführt in einem "Green Deal Dataspace", könnte die Umsetzung der ehrgeizigen Umweltpolitik der EU erleichtern. Das könnte außerdem dazu beitragen, digitale Technologien sowohl als Triebkraft für Innovationen als auch für die ökologische Transformation zu nutzen, die vor uns liegt.

Zweitens: Ein "digitaler Produktpass" entlang globaler Wertschöpfungsketten würde Transparenz schaffen über den sozialen und ökologischen Rucksack eines Produktes. Das hilft Konsumentinnen und Konsumenten genauso wie den Unternehmen. Öffentliche IT-Ausschreibungen sollten außerdem Standards enthalten, die die digitalen Rechte der Bürgerinnen und Bürger, ihre Datenhoheit, die Offenheit und die Interoperabilität der Systeme bewahren.

Drittens: Digitale Technologien sollten ökologisch nachhaltig sein. Dafür brauchen wir Regelungen zur Reduzierung des Energieverbrauchs von Rechenzentren und zur Steigerung ihrer Energieeffizienz. Außerdem Vorgaben zur Verlängerung der Lebensdauer digitaler Hardware, insbesondere für Smartphones und andere "smart devices" – für Produktion, Design und Anwendung

Die EU-Kommission sieht wie wir den Handlungsbedarf an der Schnittstelle von Umweltschutz und Digitalisierung. Mit dem European Green Deal und ihrer Digitalstrategie hat sie Vorschläge gemacht, die die deutsche Ratspräsidentschaft jetzt weiter vorantreibt.

Diesen Donnerstag werden die EU-Mitgliedstaaten deshalb im EU-Umweltrat unter deutschem Vorsitz ihre Ratsschlussfolgerungen zur umweltfreundlichen Digitalisierung verabschieden. Dabei es geht darum, IT-Produkte in den kommenden Jahren langlebiger (bis 2025) und Datenzentren klimaneutral zu machen (bis 2030). Außerdem soll ein digitaler Produktpass eingeführt werden, der zusätzliche Informationen über die Produkt-Komponenten und deren Recycling und Reparatur enthält. Die EU-Kommission wird dahingehend Pilotprojekte anstoßen, beginnend mit Autobatterien.

Es ist an der Zeit, ein europäisches Modell technologischer Souveränität aufzubauen – einen digitalen Humanismus, eine technologische Revolution für die Bürger*innen und für die ökologische Transformation. Dazu gehört es, weltweit Standards für eine nachhaltige und demokratische Digitalisierung zu setzen – in allen ihren Varianten, die Menschen und Umwelt gleichermaßen nützt – als Markenzeichen Europas.

Dieser Meinungsartikel von Bundesumweltministerin Svenja Schulze und Francesca Bria, Chefin der italienischen Innovationsagentur, erschien am 15.12.2020 in der italienischen Zeitung Il sole 24 Ore und auf LinkedIn.

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Stand: 15.12.2020

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