– Es gilt das gesprochene Wort. –
Sehr geehrter Herr Dr. Heck,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
mir ist eingangs wichtig, zu betonen: Sicherheit ist ein hohes Gut. Ich denke, das spüren wir, das spürt unsere Bevölkerung in diesen Zeiten sehr stark. Ohne Sicherheit würde unser Gemeinwesen nicht funktionieren. Die Gewährleistung von Sicherheit ist Grundlage, Ziel und Maßstab verantwortlichen Regierungshandelns in einem demokratischen Rechtsstaat.
Das gilt auch und besonders für die nukleare Sicherheit. Sie war in der Vergangenheit, sie ist heute und sie wird auch in Zukunft von herausragender Bedeutung dafür sein, dass wir in Deutschland und in Europa sicher leben können; denn die Folgen eines atomaren Unfalls können potenziell verheerende Ausmaße annehmen. Und genau deshalb müssen die potenziellen Risiken so weit wie irgend möglich minimiert oder – besser – sogar ausgeschlossen werden.
In der Diskussion um die Laufzeitverlängerung der deutschen AKW und auch in diesem Ausschuss wurde sehr viel über die energiewirtschaftlichen Aspekte des Atomausstiegs diskutiert, und die nukleare Sicherheit ist in dieser Diskussion zu kurz gekommen. In meinen Eingangsworten möchte ich darauf den Schwerpunkt legen. Denn die Entscheidung über die Laufzeitverlängerung der AKW war das Ergebnis einer sorgfältigen Abwägung. In der Waagschale lagen auf der einen Seite die energiepolitischen Risiken in einer akuten Energiekrise, hier insbesondere das Risiko eines Blackouts, und auf der anderen Seite eben das nukleare Risiko.
Das Bundesumweltministerium trägt eine ganz besondere Verantwortung. Wir sind das einzige Ministerium im gesamten Ressortkreis, das die Sicherheit sogar im Namen trägt. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, es steht für viele Schutzgüter in unserer Gesellschaft. Und diese Schutzfunktion insbesondere für die nukleare Sicherheit sorgfältig, verantwortungsvoll und rechtstreu herzustellen, das ist die Aufgabe des Ministeriums seit seiner Gründung im Jahr 1986, als es unter Helmut Kohl geschaffen wurde in Reaktion auf die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.
Zur Wahrung der nuklearen Sicherheit gehört allem voran die oberste Atomaufsicht über die in Deutschland laufenden Atomkraftwerke; Kraftwerke, die größtenteils in den 70er-, 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts gebaut wurden und deren tiefer gehende Sicherheitsüberprüfung schon zu meinem Amtsantritt überfällig war. Diese hätte eigentlich im Jahr 2019 stattfinden müssen, so wie es internationaler Standard ist, gesetzlich und auch europarechtlich vorgeschrieben. Da jedoch der Ausstieg zum Ende des Jahres 2022 feststand, wurde bereits von der Koalition aus Union und FDP entschieden, dass es verantwortbar sei, die umfassende Sicherheitsüberprüfung für die verbleibenden Jahre Laufzeit auszusetzen. Das heißt, die letzte Periodische Sicherheitsüberprüfung für die drei abgeschalteten Kernkraftwerke hat 2009 stattgefunden. Die laufenden Sicherheitsprüfungen sind davon natürlich unbenommen.
Das Aufgabengebiet der nuklearen Sicherheit umfasst in meinem Haus jedoch weit mehr als den sicheren Betrieb der Atomkraftwerke. Es reicht vom Schutz vor Radon-, Handy-, Röntgenstrahlung bis hin zur Zwischen- und Endlagerung von hoch, mittel und schwach radioaktiven Abfällen. Die Gewährleistung der nuklearen Sicherheit ist eine Generationenaufgabe. Sie endet nicht mit dem Abschalten der Atomkraftwerke, sie endet nicht mit einer bestimmten Legislaturperiode oder einer bestimmten Generation, und sie endet natürlich auch nicht an unseren Grenzen. Deshalb arbeiten wir mit unseren Nachbarn in Europa zusammen; bilateral, grenzüberschreitend, im Rahmen der IAEO, der OECD und weiteren Gremien.
Zur nuklearen Sicherheit gehört selbstverständlich auch die radiologische Notfallvorsorge, die im Jahr 2022 in meinem Haus eine relevante Rolle spielen musste, gespielt hat. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass uns der Krieg Russlands gegen die Ukraine zum ersten Mal mit der Tatsache konfrontiert hat, dass Atomanlagen Gegenstand und Ziel militärischer Auseinandersetzungen in der Realität geworden sind.
Ich kann mich gut erinnern, wie ich den Kriegsausbruch im Frühjahr 2022 im Amt der Umweltministerin erlebt habe. Denn ich habe damals, als sich wenige Tage nach Kriegsbeginn durch russischen Beschuss die Lage rund um das AKW Saporischschja zuspitzte, meine Teilnahme an der Weltumweltversammlung in Nairobi vorfristig beendet und bin vorzeitig nach Deutschland zurückgeflogen. Dieses Atomkraftwerk wurde in diesen Tagen von russischen Truppen besetzt, nachdem es zuvor beschossen worden war. Und die Lage dort war für viele Tage sehr riskant, sehr unübersichtlich. Riskant ist sie bis heute.
Zu den Gefährdungen in diesem Zusammenhang zählt dabei nicht nur dieser stattgefundene Beschuss der Anlagen und ihre Beschädigung oder Zerstörung. Sie müssen auch an Stromausfälle denken, an die Folgen von Stromausfällen in der Steuerung, den Ausfall der Kühlung durch Wassermangel oder eben auch an menschliche Fehlentscheidungen durch diesen unvorstellbaren Stress, die enormen psychischen Bedrohungen bei Belagerung und Beschuss für die Betriebsmannschaft dieses AKW.
Die mit der Atomkraft verbundenen Sicherheitsrisiken, sie sind enorm und sie reichen, wie wir seit Tschernobyl 1986 wissen, weit über die Ukraine hinaus. Ich war selbst anlässlich des G7-Gipfels im Frühjahr 2023 in Japan und in Fukushima und bin durch die quasi entvölkerte Zone um diese Atomruine gefahren, habe diese Atomruine selber besucht, und ich habe dort sehen müssen, wie zerstörerisch das Restrisiko wirken kann, wenn es denn eintritt. Und es stellt sich die Frage, welche Konsequenzen ein radiologischer Notfall in der Ukraine für uns in Deutschland heute haben könnte. Der Krieg in der Ukraine erinnert uns auch daran, dass kein AKW der Welt auf gezielten Beschuss in einer Kriegssituation ausgelegt ist.
Lassen Sie mich das an dieser Stelle klar sagen: Die Gewährleistung der nuklearen Sicherheit in Deutschland war sichergestellt und ist sichergestellt. Aber sie wird durch Russlands Krieg gegen die Ukraine bedroht. Dessen sollten wir uns bewusst sein, auch in diesem Ausschuss. Und darum habe ich eingangs darauf hingewiesen, dass die nukleare Sicherheit in den öffentlichen Debattenbeiträgen zu wenig Beachtung findet.
Zur nuklearen Sicherheit gehören untrennbar auch die Frage der sicheren Endlagerung von hoch radioaktivem Atommüll und alle damit verbundenen Risiken. Auch das musste in der Abwägung zur Laufzeitverlängerung berücksichtigt werden. Denn eine echte langjährige Laufzeitverlängerung mit Beschaffung neuer Brennelemente hätte die Menge der radioaktiven Abfälle erhöht, für die ein Endlager in Deutschland gefunden werden muss, und natürlich auch die Finanzierung der Endlagerung vor neue Fragestellungen gestellt. Es hätte weitere Kosten verursacht, Kosten, die im Zweifel vom Staat hätten getragen oder mitgetragen werden müssen. Mit den Betreibern der Atomkraftanlagen war eine bestimmte Restlaufzeit vereinbart und damit verbunden auch eine bestimmte Atommüllmenge verhandelt, vereinbart und eben finanziert worden.
Ich habe deshalb diesen etwas breiteren Überblick über das Aufgabenfeld der nuklearen Sicherheit gegeben. Ich denke, dass es notwendig ist, diese Hintergründe zu kennen, um in einer Krisensituation – mit der wir es unzweifelhaft durch den Beschuss des AKW Saporischschja durch den Überfall Russlands auf die Ukraine zu tun hatten –, um in solchen Krisensituationen richtig zu entscheiden.
Für das BMUV als zuständiges Ministerium und für die Bundesregierung insgesamt ist maßgeblich, dass diese Verantwortung nicht zugunsten kurzfristiger Entscheidungen aufgegeben werden darf. Die Gewährleistung der nuklearen Sicherheit ist nicht verhandelbar. Sie darf sich weder unter wirtschaftlichen Entscheidungsdruck setzen lassen noch vom russischen Neoimperialismus erpressen lassen.
Weil all dies in meinen Augen sehr klar, sehr transparent und nachvollziehbar ist, freue ich mich, heute mit Ihnen hier im Untersuchungsausschuss zu sein und Ihnen meine Ausführungen zum Untersuchungsgegenstand machen zu können. Bevor ich für Ihre Fragen zur Verfügung stehe, möchte ich einige grundlegende Punkte noch einmal gesondert ausführen.
Jegliche fachliche Bewertung und politische Gewichtung des nuklearen Risikos ist an die geltende Rechtslage gebunden, maßgeblich abgeleitet aus Artikel 2 des Grundgesetzes, dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Und es ist die Verantwortung und Aufgabe der jeweiligen Umweltminister/Umweltministerinnen, das geltende Atomrecht einzuhalten und umzusetzen – ein Atomgesetz, das von einer Bundesregierung, die von CDU/CSU und FDP getragen war, beschlossen wurde und von einer breiten parlamentarischen Mehrheit über die Koalitionsfraktionen hinaus unterstützt wurde. Das war der Wille des Gesetzgebers – der Wille des Gesetzgebers, den ich als Ministerin nicht nach Gutdünken interpretieren darf, kann oder will; nur der Gesetzgeber hätte diese Situation ändern können.
Im Atomgesetz wurde 2011 von CDU/CSU und FDP festgehalten – ich hatte gesagt: von einer breiten parlamentarischen Mehrheit unterstütz –, dass das Restrisiko der Atomkraft nur noch für eine bestimmte Zeit hinnehmbar ist. Und weder die globale Sicherheitslage noch der Zustand der deutschen AKW war im Frühjahr 2022 irgendwie besser als im Frühjahr 2011, als beschlossen wurde: Das Risiko ist nur noch für eine bestimmte Zeit hinnehmbar.
Das ist die Gesetzeslage, als ich das Amt der Umweltministerin angetreten habe. Bei diesem Amtsantritt der Bundesregierung Ende 2021 war die Situation der nuklearen Sicherheit wie folgt: Unter einer rot-grün geführten Bundesregierung waren zwei AKW abgeschaltet worden, und in der Regierungszeit von Angela Merkel folgten dann insgesamt weitere elf AKW in die Stilllegung. Drei weitere AKW sind unmittelbar nach dem Regierungswechsel im Dezember 2021 vom Netz gegangen.
Übrig blieben also zu Beginn der Regierung aus SPD, Grünen und FDP noch drei AKW im Leistungsbetrieb, und diese hatten jeweils eine geplante Restlaufzeit. Sie hatten eine begrenzte Energieerzeugungskapazität, so wie es von den Vorgängerregierungen gemeinsam mit den Betreibern vereinbart worden war.
Das heißt, die Bundesregierung hat im Jahr 2021 den Atomausstieg von den Vorgängerregierungen übernommen. Dieser war gesetzlich beschlossen, und er war in der Realität bereits weitestgehend abgeschlossen und vollendet. Ich denke, das kann niemanden damals überrascht haben. Und manch gespielte Verwunderung darüber ist bis heute unglaubwürdig – nicht zuletzt deshalb, weil immer klar war, immer klar sein musste, dass sich die aktuelle Bundesregierung an geltendes Recht und an den Atomausstiegsbeschluss halten würde.
Bei der Bewertung des nuklearen Risikos leitete mich als Bundesumweltministerin die Expertise der Mitarbeitenden des BMUV. Sie sind diejenigen, die in Deutschland über die beste Fachkenntnis verfügen, nukleare Risiken zu bewerten und daraus Schlüsse zu ziehen. Mithilfe dieser Expertise sorgt das BMUV für nukleare Sicherheit seit seiner Gründung nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Darauf verlassen sich Umweltminister, egal welcher Partei, seit Professor Klaus Töpfer, und das ist auch gut so.
Dementsprechend sorgfältig werden Argumente im Ministerium gewogen und geprüft. Es ist dabei völlig normal, dass Papiere mehrere Stufen durchlaufen, auf Vollständigkeit, auf Fehlerfreiheit und – das ist mir wichtig – auch auf Verständlichkeit geprüft, überarbeitet und zusammengeführt werden. Das dient der Qualitätssicherung. Und es ist eben erst recht wichtig, wenn es dabei um die nukleare Sicherheit geht.
Dabei lassen wir uns im Ministerium natürlich gezielt extern beraten von der Reaktor-Sicherheitskommission, von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit und auch weiteren Experten für nukleare Sicherheit.
Aber es ist auch klar: Am Ende trägt das BMUV als oberste Atomaufsicht die Verantwortung.
Wer die Geschichte der Nutzung der Atomenergie in Deutschland und dabei insbesondere die in Westdeutschland, also der alten Bundesrepublik, verfolgt hat, der weiß auch um die Intensität und Heftigkeit der damit verbundenen Kontroversen. Ich bin mir nicht sicher, ob das heute allen an der Debatte Beteiligten tatsächlich noch präsent ist; es ist zumindest sicherlich denjenigen Kolleginnen und Kollegen bewusst, die in den Gremien mitgearbeitet haben, die sich mit einer konsensualen Lösung von Fragen der Kernenergie befasst haben. In der Ethikkommission zur Energieversorgung zum Beispiel, im Nationalen Begleitgremium zur Endlagersuche oder auch beim Aufbau des Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung. Dort haben ja immer Kolleginnen und Kollegen der verschiedenen Fraktionen des Deutschen Bundestages gemeinsam an der Lösung dieser Fragen gearbeitet.
Jeder Standort, jedes einzelne AKW, aber auch die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, die Atommülllager Asse I und II, Schacht Konrad, Gorleben und letztendlich jeder einzelne Castortransport waren Gegenstand heftiger Diskussionen, von Demonstrationen und Auseinandersetzungen. Und erst der Ausstiegsbeschluss, der ursprüngliche der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder im Jahr 2000 und dann der Ausstiegsbeschluss der schwarz-gelben Bundesregierung unter Angela Merkel haben diesen jahrzehntelangen gesellschaftlichen Großkonflikt befriedet. Es konnte damals ein breit getragener Konsens hergestellt werden, dass Deutschland in einem langen und klar definierten Zeitraum schrittweise aus der Nutzung der Atomenergie aussteigt.
Ich denke, das hat allen Beteiligten sehr viel abverlangt. Angela Merkel hat als damalige Bundeskanzlerin ihre veränderte Einschätzung zum Risiko der Atomkraft am 9. Juni 2011 im Deutschen Bundestag so begründet – ich zitiere –:
"Ich habe eine neue Bewertung vorgenommen; denn das Restrisiko der Kernenergie kann nur der akzeptieren, der überzeugt ist, dass es nach menschlichem Ermessen nicht eintritt. Wenn es aber eintritt, dann sind die Folgen sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Dimension so verheerend und so weitreichend, dass sie die Risiken aller anderen Energieträger bei weitem übertreffen."
Als vormals zuständige Ministerin für nukleare Sicherheit und auch als Physikerin wusste Angela Merkel sehr gut, was bei der Atomkraft auf dem Spiel steht. Und – ich finde das bemerkenswert – dazu steht sie auch heute noch und schreibt in ihren Erinnerungen – Zitat –:
"Ich kann Deutschland auch für die Zukunft nicht empfehlen, wieder in die Nutzung der Kernenergie einzusteigen."
Mir ist wichtig, zu sagen: Der Atomausstieg ist kein Projekt oder gar Vermächtnis einer einzelnen Partei. All diese Behauptungen sind Unsinn, oder sie folgen einem durchsichtigen Kalkül. Die Grundlagen und das Grundverständnis der nuklearen Sicherheit auf Bundesebene, sie sind vielmehr das Vermächtnis auch von unionsgeführten Bundesregierungen, und der finale oder – präzise gesagt: der zweite Atomausstieg, er ist das Vermächtnis insbesondere von Angela Merkel und Horst Seehofer. Er wurde begleitet und gerahmt von einer von Klaus Töpfer geleiteten Ethikkommission. Und er ist vor allem das Ergebnis eines großen, übergreifenden Konsenses im Deutschen Bundestag sowie im Bundesrat, wie ich das hier bereits dargestellt habe.
Weil wir in Zeiten leben und agieren, in denen die Demokratie von verschiedenen Seiten angegriffen und infrage gestellt wird, möchte ich noch einmal betonen, welchen großen Wert die Befriedung eines solchen Großkonflikts hat. Ich bin der Meinung, das sollten wir, das dürfen wir niemals geringschätzen; allein schon aus Respekt vor allen, die diese Befriedung unter Verzicht auf eigene Interessen, Ansprüche und Maximalforderungen möglich gemacht haben.
Verantwortungsbewusste Politik hat die Aufgabe, solche Kompromisse zu ermöglichen, damit die Gesellschaft auch in anderen Fragen zu Kompromissen findet, die wir so nötig brauchen. Wir alle sind aufgefordert, unsere Demokratie und damit die Kompromissfähigkeit immer wieder zu stärken und unter Beweis zu stellen.
Eine Chance dafür gibt es unter anderem beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Denn wenn es eine programmatische Mission der Grünen gibt, dann ist es vielleicht das: der Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber auch diese Erfolgsgeschichte begann schon 1990 mit einem letztlich von der CDU/CSU- Fraktion eingebrachten Gesetz, dem Stromeinspeisegesetz, das dann vom Erneuerbare-Energien-Gesetz abgelöst wurde.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird von allen demokratischen Parteien in einem breiten Konsens getragen und gemeinsam angegangen. Das ist gut und richtig, weil es einfach viele überzeugende Gründe dafür gibt. Völlig zu Recht wurden die erneuerbaren Energien hier im Deutschen Bundestag als Freiheitsenergien angepriesen.
So wie die Erneuerbaren Deutschland heute unabhängig von russischen fossilen Energien machen, so machen sie auch andere Länder und Regionen der Welt unabhängig von Russland und anderen autoritären Staaten, die mit fossilen Energien wie Kohle, Öl, Gas und Uran Geopolitik betreiben.
Auch in diesen Zeiten ist wichtig: Erneuerbare Energien öffnen für Technologien neue Märkte und Chancen für unsere Unternehmen. Immer stärker wird auf Weltmärkten nach Technologien für Klimaneutralität und nachhaltigen Lösungen gefragt. Und wir sollten den deutschen Unternehmen diese Chancen verstärken.
Lassen Sie mich als Ministerin für Umwelt und Naturschutz anfügen, dass eine erfolgreiche Energiewende und die Transformation unserer Wirtschaft hin zur Klimaneutralität noch auf andere Weise wichtig sind. Sie leisten einen großen Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung, wenn es gelingt, die Klimakrise zu stoppen und das Artenaussterben aufzuhalten.
Ich denke, wir alle dürfen dankbar sein, dass uns insbesondere der Ausbau der erneuerbaren Energien vor einer noch viel größeren Erpressung mit Energieträgern durch Russland bewahrt hat. Deshalb stand nach dem 24. Februar 2022 auch nicht die Frage nach einer Renaissance der Atomkraft in Deutschland zur Debatte. Was zur Debatte stand, war die Frage nach einer zeitlich eng befristeten Verlängerung – mehr nicht. Die Priorität der Versorgungssicherheit für den nächsten Winter musste gewährleistet werden.
Was damals nicht zur Debatte stand, war eine offene, unbefristete und in diesem Sinne echte langjährige Laufzeitverlängerung. Das schloss sich schon allein deshalb aus, weil die Betreiber der Bundesregierung klar gesagt hatten: Wenn ihr eine langjährige Laufzeitverlängerung wollt, dann nur, wenn der Staat die Haftung übernimmt. – Kein Akteur auf dem Markt war dazu bereit. Und ich frage mich, ob es wirklich jemanden gibt, der glaubt, dass der Staat es ausgerechnet an dieser Stelle besser wissen würde.
Es gab damals weitere Bedingungen der Betreiber für eine langjährige Laufzeitverlängerung, zum Beispiel eine reduzierte Prüftiefe bei der überfälligen periodischen Sicherheitsprüfung oder, wenn die Prüfung Mängel zutage gebracht hätte, der Verzicht auf notwendige Nachrüstungen. Das hätte substanzielle Abstriche bei der nuklearen Sicherheit zur Folge gehabt; und das war und das ist für das Bundesumweltministerium nicht verantwortbar und nicht verhandelbar. Es hätte niedrigere Sicherheitsanforderungen zur Folge gehabt als das, was zwischen CDU/CSU und FDP 2011 im Deutschen Bundestag vereinbart worden war.
Für mich steht als Umweltministerin die nukleare Sicherheit an erster Stelle, und das zieht sich als roter Faden durch mein Handeln.
Die Rahmenbedingungen veränderten sich dann im weiteren Verlauf, als im Sommer 2022 – im Sommer! – das Risiko eines großflächigen Blackouts für den nächsten Winter nicht völlig ausgeschlossen werden konnte. Ich erinnere mich hier insbesondere an ein Schreiben aus dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt aus dem Sommer 22, in dem die Möglichkeit regionaler Blackouts sehr konkret in den Raum gestellt wurde. Das hat mich damals alarmiert, uns gemeinsam alarmiert, und deshalb wurde diese Möglichkeit sehr ernsthaft überprüft. Das wird Robert Habeck morgen sicherlich noch ausführlicher ausführen.
Und im Endeffekt kamen wir in der Bundesregierung in Abwägung der potenziellen Risiken zu dem Ergebnis, dass eine dreieinhalbmonatige Laufzeitverlängerung vertretbar ist.
Diese Entscheidung beruhte aber auch auf Erkenntnissen der AKW-Betreiber im weiteren Verlauf nach dem März, dass die vorhandenen Brennelemente durch Rekonfiguration doch noch länger genutzt werden könnten, als ursprünglich gedacht. Das war im Frühjahr, also im März 22, noch nicht kommuniziert worden; bzw. anders: explizit anders kommuniziert worden.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ein konsequenter Ausbau der erneuerbaren Energien durch die vorherigen Bundesregierungen unsere Abhängigkeit von der Atomenergie hätte senken und damit zu mehr nuklearer Sicherheit hätte beitragen können. Dazu kam ja im Frühjahr, dass die Gasspeicher an russische Investoren verkauft und vor dem Winter nicht mit ausreichend Gas befüllt worden waren. Und es waren diese wirklich eklatanten Versäumnisse der Vorgängerregierungen, die uns dann erst zu dieser schwierigen Abwägung gezwungen haben und die wir am Ende – am Ende! – der AKW-Laufzeit zu treffen hatten.
Zur Frage der Transparenz dieser Entscheidung, dieser Entscheidungen im Verlaufe von Monaten:
Tatsächlich wurden nur wenige Entscheidungen der Bundesregierung im Vorfeld und dann auch in der Entscheidungsphase so ausführlich und intensiv öffentlich diskutiert wie die Entscheidung, die drei verbliebenen AKW im Streckbetrieb länger laufen zu lassen.
Alle Argumente lagen auf dem Tisch. Alle relevanten Abwägungen hat die Bundesregierung öffentlich gemacht, so zum Beispiel die Prüfvermerke und Stresstests. Das BMUV hat in mehreren Sitzungen des Umweltausschusses sowie in zahlreichen parlamentarischen Anfragen den Deutschen Bundestag und die Öffentlichkeit fortlaufend und umfassend informiert.
Das BMUV hat im Sommer 2022 auch dem Magazin "Cicero" auf Nachfrage umfangreichstes Aktenmaterial zur Verfügung gestellt. Viele der Dokumente, die nun auch hier dem Untersuchungsausschuss vorliegen, lagen schon damals dem "Cicero" vor.
Die Frage "Gab es also irgendeinen Zeitpunkt, an dem das Umweltministerium zugunsten politisch motivierter Interessen seine konsequente Linie der Wahrung der nuklearen Sicherheit verlassen hat? Gab es einen solchen Zeitpunkt?": Ja, einen solchen Zeitpunkt gab es, und zwar im Jahr 2010 unter der Verantwortung der damaligen CDU-Hausleitung. Bei der damaligen politisch gewollten Laufzeitverlängerung wurden im Haus Sicherheitsbedenken von Beamten schriftlich deutlich gemacht, die dann ganz bewusst ignoriert wurden. Das ist in den Akten dokumentiert, und wir können diese auch zur Verfügung stellen.
Als Bundesregierung mussten wir nach dem russischen Überfall sehr schnell und unter Zeitdruck sehr weitreichende Entscheidungen zur Energieversorgungssicherheit in Deutschland treffen. Und ich denke, man kann heute mit Recht sagen, dass uns das gut gelungen ist. Es gab weder einen Mangel, es gab kein Blackout, keine Rationierung von Strom und Wärme, weder für die privaten Haushalte noch für die Unternehmen in unserem Land. Und das war in dieser bis dahin einmaligen Situation keinesfalls selbstverständlich.
Umso mehr bin ich wirklich allen dankbar, die dazu beigetragen haben, in der damals sehr unübersichtlichen Lage nicht nur die Probleme zu beschreiben, sondern Lösungen zu finden und diese in die Realität umzusetzen.
Ich erinnere an diese Drucksituation im Frühjahr 2022, weil ich damit die Hoffnung verbinde, dass der Ausschuss jetzt ebenfalls Gelegenheit findet, trotz des unerwartet großen Zeitdrucks beim Abschlussbericht die gleiche Sorgfalt und Besonnenheit walten zu lassen, wie es der Bundesregierung damals gelungen ist.
Es war die Summe der genannten Entscheidungen, die es uns ermöglicht hat, trotz der Folgen des russischen Angriffskriegs die drei verbliebenen AKW am Ende des Streckbetriebs wie vorgesehen abzuschalten. Eine vorsorgende Politik hat diese Aufgabe, und deshalb haben wir damals das Atomgesetz entsprechend geändert.
Wir sind damit auch unserer großen Verantwortung gegenüber künftigen Generationen gerecht geworden, wenigstens dieses Mal. Denn die Last des atomaren Erbes können wir ihnen nicht nehmen. Das bleibt bestehen. Und mit dem Streckbetrieb ist aber zumindest kein zusätzlicher Atommüll entstanden.
Im Koalitionsvertrag von 2021 steht wörtlich:
"Am deutschen Atomausstieg halten wir fest."
Diese Vereinbarung, die war getragen von dem Geist der gesellschaftlichen Verständigung, die nicht nur Gesetz, sondern gesellschaftliche Wirklichkeit in unserem Land geworden ist. Und es gehört nach meiner Auffassung zum guten Regieren, dass solche Konsense nicht leichtfertig infrage gestellt werden. Insofern ist es erstaunlich, dass die Union, die damals maßgeblich an der Verständigung mitgewirkt hat, heute untersuchen will, warum eine gewählte Bundesregierung diesen Konsens, dieses Atomgesetz weitergetragen und umgesetzt hat.
Die offene Frage ist aus meiner Sicht vielmehr, warum einige diesen Konsens ganz offenbar aufkündigen wollen und in eine ganz andere Richtung als die Sicherheitsanalyse von 2011 marschieren wollen. Ich finde, dass dieser nach langem Ringen gefundene und gesellschaftlich breit getragene Konsens, dieser Atomausstieg, ein Wert ist. Das fällt uns leicht, weil wir gute Alternativen haben, die nachhaltig sind und uns aus alten Abhängigkeiten befreien. Es fällt mir aber auch gerade in diesen Zeiten deshalb leicht, weil ich der Kraft unserer Demokratie vertraue, die vom Kompromiss, von Transparenz, von Beteiligung und vom Willen zur Einigung lebt. Das hat sie immer wieder unter Beweis gestellt, und das muss sie immer wieder unter Beweis stellen.
In meinem Amtseid habe ich geschworen, Schaden von unserer Bevölkerung abzuwenden. Das war meine oberste Maxime. Und ich bin dankbar, dass ich als Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz in der schwierigen Situation im Frühjahr 2022 und in meiner Amtszeit seitdem einen Beitrag dazu leisten konnte, die Sicherheit in unserem Land zu gewährleisten und den gesellschaftlichen Frieden dabei zu wahren und zu stärken.
Herzlichen Dank.