Fragen und Antworten zum AKW-Weiterbetrieb zwischen 31. Dezember 2022 und 15. April 2023
Ende April 2024 thematisierten Berichterstattungen den gemeinsamen Prüfvermerk zur Debatte um Laufzeiten von Atomkraftwerken, den das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) und das Bundesumweltministerium (BMUV) am 8. März 2022 veröffentlicht hatten. Auf dieser Seite befinden sich Antworten auf besonders häufig gestellte Fragen im Zusammenhang mit der Prüfung des BMUV bezüglich eines verlängerten Betriebs der drei letzten noch im Leistungsbetrieb befindlichen Atomkraftwerke (Isar 2, Emsland, Neckarwestheim II) über den 31. Dezember 2022 hinaus. Sie gehen dabei auch auf Behauptungen ein, die in einzelnen Berichterstattungen erhoben wurden.
Nein. Es gibt einen hausinternen Vermerk vom 1. März 2022, in dem das zuständige Fachreferat für die Abteilungsleitung Fragen einer Laufzeitverlängerung detailliert behandelt. Unter der Zwischenüberschrift "Mit der nuklearen Sicherheit verträgliche Szenarien" werden a) ein unveränderter Atomausstieg, b) ein Streckbetrieb und c) eine Laufzeitverlängerung abgehandelt. Durch das bloße Zitieren der Zwischenüberschrift wurde in der Berichterstattung der Eindruck erweckt, diese drei Szenarien seien per se unter Aspekten der nuklearen Sicherheit problemlos möglich. Tatsächlich aber listet der Vermerk auf, welche Probleme gelöst und welche Bedingungen erfüllt werden müssten, damit die Sicherheit auch gewährleistet wäre. Der Vermerk dokumentiert auf mehreren Seiten die hohen Hürden und Probleme, die dafür gelöst werden müssten.
In Bezug auf eine Laufzeitverlängerung formuliert der Vermerk substantielle Bedenken. Als zentrales Problem der nuklearen Sicherheit, das "längerfristigem Weiterbetrieb" entgegensteht, hält er fest: "Bei einem Weiterbetrieb wäre also die letzte Sicherheitsüberprüfung entgegen den gesetzlichen und internationalen Anforderungen dreizehn Jahre veraltet." Die Rede ist hier von der sogenannten periodischen Sicherheitsüberprüfung. Diese sehr tiefgehende Prüfung anhand des seit der letzten Überprüfung 2009 grundlegend überarbeiteten kerntechnischen Regelwerks ist gesetzlich und europarechtlich vorgeschrieben und soll sicherstellen, dass die nach den neuesten Erkenntnissen notwendigen Nachrüstungen erfolgen. Die Betreiber befürchteten bei Durchführung der Sicherheitsüberprüfung einen erheblichen Investitionsbedarf zur Beseitigung von erkannten Sicherheitsdefiziten.
Neben der fehlenden umfassenden Sicherheitsüberprüfung hält der Vermerk eine Reihe weiterer Problemen fest, deren Lösung für eine Laufzeitverlängerung erforderlich wäre: Ermüdung von mechanischen Komponenten, Nachholung von Prüfungen, die aufgrund bevorstehender Abschaltung unterbleiben durften (Personal- und Prüftechnik), Vorhaltung von speziellen Ersatzteilen, deren Hersteller nicht mehr liefern können, Neueinstellung von Personal, das zwei bis drei Jahre geschult werden muss.
An keiner Stelle bezeichnet der Vermerk diese wesentlichen Hürden in der nuklearen Sicherheit als vernachlässigbar oder lösbar.
Die Probleme, insbesondere die fehlende periodische Sicherheitsüberprüfung, hätten für eine Laufzeitverlängerung über einen Streckbetrieb hinaus einer mehrjährigen Abarbeitung bedurft. Der Vermerk konstatiert zudem, dass es lediglich dann keine offenen Fragen oder Probleme beziehungsweise Bedenken gebe, wenn es beim Atomausstieg zum 31. Dezember 2022 bleibe.
Nein. Der Fachvermerk vom 1. März 2022 floss als Zuarbeit in den umfangreicheren Gesamt-Vermerk vom 3. März 2022 ein. Letzterer sollte als Zulieferung des BMUV an das BMWK dienen und in ihm wurden neben den eher technischen Aspekten und konkreten Sicherheitsfragen auch atomrechtliche, verfassungsrechtliche und genehmigungsrechtliche Fragen behandelt. Im Hinblick auf die sicherheitstechnischen Fragen unterscheiden sich die beiden Texte inhaltlich nicht. Alles sicherheitstechnischen Aspekte des ersten Vermerkes wurden übernommen. Aber der Gesamtvermerk vom 3. März 2022 bringt deutlicher die Schlussfolgerung zum Ausdruck, dass die faktischen rechtlichen und technischen Hürden so groß sind, dass eine Laufzeitverlängerung aus sicherheitstechnischer Sicht nicht zu empfehlen ist.
Der Gesamtvermerk vom 3. März 022 macht neuerlich deutlich, was das Problem der veralteten Sicherheitsüberprüfung bedeutet: Weil es faktisch unmöglich war, einen solchen aufwändigen, erfahrungsgemäß Jahre in Anspruch nehmenden Prozess in kürzester Zeit zu absolvieren, müssten die AKW entweder zunächst jahrelang stillstehen. Oder sie müssten entgegen nationalen und internationalen Anforderungen ohne umfassende Sicherheitsüberprüfung betrieben werden. Diese Problembeschreibung und Bewertung wurde im gemeinsamen BMWK-BMUV-Prüfvermerk ausführlich erläutert, der seit 8. März 2022 veröffentlicht ist.
Der Vermerk vom 3. März 2022 behandelt darüber hinaus eine Rechtsfrage, die der Vermerk des technischen Referats ausdrücklich nicht behandelt hat, die aber durchaus eine Auswirkung auf die Sicherheit hat: Eine gesetzliche Laufzeitverlängerung ist in entscheidender Hinsicht wie eine Neugenehmigung zu behandeln. Das gilt bei einer mehrjährigen Verlängerung nach internationalem Recht für die vorher durchzuführende grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung und nach deutschem Verfassungsrecht für die Einhaltung des aktuellen Standes von Wissenschaft und Technik. Danach wäre nachzuweisen, dass die Auswirkungen einer Kernschmelze nicht über das Anlagengelände hinausgehen. Das wurde in den Genehmigungsverfahren in den 1980er Jahren nicht geprüft.
Anfang Februar 2022, also bereits vor dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine, hatte die Hausleitung des Bundesumweltministeriums dieselbe Arbeitsgruppe, die auch den Vermerk vom 1. März 2022 erstellte, um eine Darstellung gebeten, wie aus fachlicher Sicht die einzelnen politischen Forderungen nach einer AKW-Laufzeitverlängerung zu bewerten seien.
Auch in dieser Vorlage vom 9. Februar 2022 wies die Arbeitsgruppe auf das Problem einer zuletzt 2009 vorgelegten umfassenden Sicherheitsüberprüfung der letzten drei hiesigen Atomkraftwerke hin und hielt explizit fest, dass "rechtliche, technische, wirtschaftliche und organisatorische Gründe" einem "Weiterbetrieb der letzten drei deutschen im Leistungsbetrieb befindlichen AKW über den 31. Dezember 2022 hinaus entgegenstehen".
Auch diese Unterlage belegt, dass das BMUV eine inhaltlich klare und unveränderte Position in der Bewertung der nuklearen Sicherheit hatte und hat und dass der vermeintliche Widerspruch zwischen der Fachebene und der politischen Leitungsebene nicht zutrifft, sondern durch eine selektive Zitatmontage erzeugt wurde.
Nachweislich sahen die Konzernspitzen der AKW-Betreiberunternehmen die Bedeutung der nuklearen Sicherheit wie das BMUV. Gegenüber BMWK und BMUV brachten sie vor, dass eine rechtzeitige umfassende Sicherheitsüberprüfung für eine AKW-Laufzeitverlängerung nicht machbar sei. Aus ihrer Sicht war es damals so, dass daher entweder die Prüftiefe reduziert werden müsste – man einfach gesagt also nicht so genau, nicht so gründlich prüfen könne – und/oder man anschließend auf gegebenenfalls eigentlich notwendige Nachrüstungen verzichten müsse. Im Ergebnis waren die Konzerne zu einer Laufzeitverlängerung nur bereit, wenn der Staat die volle Verantwortung für zwangsläufige Abstriche bei der Sicherheit übernehme.
Derartige Sicherheitsabstriche waren für das BMUV als oberste Atomaufsichtsbehörde Deutschlands nicht verantwortbar und auch aus Sicht der Betreiber Anfang März 2022 nicht sinnvoll.
Stand:
Die GRS berät die Atomaufsicht des Bundesumweltministeriums. Grundsätzlich verfügt das Bundesumweltministerium über genug eigenständige Expertise, um Sicherheitsfragen auch aus eigener Kompetenz beurteilen zu können. Insbesondere bei detaillierten Einzelfragen werden ergänzend die Expertinnen und Experten von GRS zu Rate gezogen. Deshalb war es sachgerecht, dass bei der Erstellung des Fachvermerks auf die GRS zurückgegriffen wurde. Damit gingen diese Erkenntnisse auch in den Vermerk vom 3. März 2022 ein.
Es wäre jedoch verfahrensrechtlich sogar fehlerhaft gewesen, einen technischen Sachverständigen darüber hinaus in eine insbesondere auch rechtliche Bewertung und Abwägung einzubeziehen.
Die geprüften Sicherheitsaspekte betrafen generell eine Laufzeitverlängerung und damit auch einen kurzen Streckbetrieb. Die großen Hürden (zum Beispiel periodische Sicherheitsüberprüfung, Komponentenermüdung, fehlendes geschultes Fachpersonal) aber bezogen sich im Wesentlichen auf eine umfassendere Laufzeitverlängerung. Im März mussten BMUV und BMWK noch davon ausgehen, dass ein Streckbetrieb bilanziell eher einem "Nullsummenspiel" gleicht und keinen zusätzlichen Strom liefert, da nach Auskunft der Betreiber die Kapazität der Brennelemente auf das Datum des Atomausstiegs ausgerichtet waren und ein längerer Betrieb über Winter/Frühjahr 2023 bedeutet hätte, dass die Produktion im Sommer/Herbst 2022 entsprechend gedrosselt werden müsste. Aus diesen energiewirtschaftlichen Gründen wurde das Szenario im Einvernehmen mit den Stromkonzernen nicht weiterverfolgt.
Erst später korrigierten die Betreiber Angaben zur Leistungsfähigkeit der Brennelemente und zeigten einen energiewirtschaftlichen Mehrwert auf, der durch eine Rekonfiguration der Brennelemente nochmal erhöht werden könne. Dieser energiewirtschaftliche Mehrwert vor dem Hintergrund einer zugespitzten Situation durch umfangreiche AKW-Ausfälle in Frankreich (zweiter Stresstest der Netzbetreiber) führte dann in der Abwägung mit den Sicherheitsaspekten zu dem Ergebnis, dass ein Streckbetrieb realisiert wurde.
In der Vorbereitung des Streckbetriebes wurden dann sicherheitstechnische Aspekte von den Betreibern abgearbeitet, die zum Teil Stillstände der AKW bedeuteten und bei denen Komponenten ausgetauscht und Prüfungen nachgeholt werden mussten. Damit bestätigte sich auch, dass anders als in der politischen Diskussion oftmals behauptet, auch ein Streckbetrieb keinesfalls voraussetzungslos erfolgen konnte.
Stand:
https://www.bmuv.de/WS7274
Laufzeitverlängerungen deutscher Atomkraftwerke: Bewertung der Sicherheit
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