ntv.de: Frau Lemke, nach Gas wird in Deutschland inzwischen auch Wasser knapp. Müssen wir bald nicht nur kalt, sondern auch kürzer duschen?
Steffi Lemke: Dass wir in heißen Sommern bewusster mit Wasser umgehen müssen, ist keine ganz neue Entwicklung. Aber inzwischen gab es so viele Jahre mit zu wenig Regen, dass sich mancherorts die Grundwasserstände im Winter nicht mehr auffüllen. Dürreereignisse werden in Zukunft häufiger werden und länger andauern. Die Dürre ist eine Bedrohung für die Natur in Stadt und Land sowie für die Landwirtschaft, die Hitze bedroht unsere Infrastrukturen und uns Menschen.
Der Dürremonitor ist in Mitteldeutschland schon tiefrot. Auf was müssen wir uns einstellen?
Letztes Jahr hat das Umweltbundesamt die Klimawirkungs- und Risikoanalyse für Deutschland vorgelegt. Darin zeigen die Forscher, dass bei einer ungebremsten Klimakrise die Risiken durch Hitze, Trockenheit und Starkregen im gesamten Bundesgebiet massiv zunehmen. Wie sich das in einzelnen Regionen auswirkt, kann man nicht hundertprozentig genau prognostizieren. Grundsätzlich müssen wir uns auf Zeiten mit zu wenig oder zu viel Wasser und mit zu viel Hitze vorbereiten.
Also doch kürzer duschen?
Die Trinkwasserversorgung ist in Deutschland nicht gefährdet. Damit das auch in Zukunft so bleibt, soll jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten einen Beitrag zum Wassersparen leisten. Wir brauchen einen bewussten Umgang mit der Ressource Wasser. Und wir benötigen eine Wasserstrategie, die sich mittel- und langfristig stärker auf die Folgen der Klimakrise ausrichtet.
Am Tesla-Standort Grünheide bei Berlin dürfen neu Zugezogene nicht mehr als 105 Liter Wasser pro Tag verbrauchen. Bahnt sich hier ein Verteilungskampf ums Wasser an?
Die Wasser-Problematik um die Tesla-Fabrik macht deutlich, welche Konflikte bei diesem Thema auftauchen können - und dass in der Vergangenheit bei Entscheidungen möglicherweise zu wenig auf Wasserressourcen geachtet wurde.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft befürchtet für diesen Sommer eine steigende Belastung der Kliniken - nicht nur wegen Personalnot infolge von Corona, sondern wegen hitzebedingter Krankenhausfälle. Ist Deutschland gut genug auf die Veränderungen vorbereitet, die der Klimawandel bringt?
Nein, das sind wir nicht. Wir sind zu lange davon ausgegangen, dass wir noch Zeit haben. Es gibt zwar die Klimaanpassungsstrategie aus dem Jahr 2008. Aber das war noch eine andere Realität. Erst die heißen Sommer seit 2018 mit ihren hohen Zahlen an Hitzetoten und spürbaren Veränderungen in der Natur haben ein Umdenken bewirkt. Seitdem lernen wir in Deutschland, dass die Klimakrise dauerhaft ganz konkrete, katastrophale Auswirkungen auch für uns hat. Daher passen wir gerade die Anpassungsstrategie dieser neuen Realität an. Und mein Ministerium fördert Klimaanpassungsmaßnahmen in sozialen Einrichtungen, wie auch in Krankenhäusern.
Wie kann diese Anpassung aussehen?
Jede Kommune steht vor anderen Herausforderungen. Eine Millionenstadt wie Berlin kämpft mit der Überhitzung, ländliche Regionen erleiden langanhaltende Trockenperioden, und Starkregenereignisse können sich im Mittelgebirge wie dem Ahrtal fatal auswirken. Jede Kommune muss die Klimaanpassung angehen, die zu ihr passt. Hauptsache, sie geht sie an. Damit das gelingt, unterstützt das BMUV seit vielen Jahren innovative Projekte der Klimaanpassung. Seit diesem Jahr können Kommunen den Einsatz von Anpassungsmanagerinnen und -managern fördern lassen. Diese Fachleute bringen die Klimaanpassung in Kommunen mit Konzepten und konkreten Maßnahmen voran. Das Zentrum KlimaAnpassung ist seit einem Jahr die zentrale Anlaufstelle für Kommunen und soziale Einrichtungen. Dort finden Städte und Gemeinden Expertenberatung und Schulungen für ihre Beschäftigten.
Warum gibt es keinen nationalen Hitze-Aktionsplan?
Die Erstellung von Hitze-Aktionsplänen liegt in der Verantwortung der Länder und Kommunen. Wir unterstützen sie dabei. Einige haben solche Pläne, etwa Dresden und Köln. Allerdings werden seit einigen Jahren andauernde Hitzewellen häufiger, und sie stellen Kommunen vor immer größere Probleme. Daher lasse ich aktuell untersuchen, wie der Bund über einen nationalen Aktionsplan die lokalen Initiativen besser unterstützen kann.
Bei der Energiewende arbeitet die Bundesregierung auch mit Verboten: Ab 2024 dürfen keine neuen Gasheizungen mehr eingebaut werden. Sind nicht auch gesetzliche Regeln denkbar, um die Anpassung zu verbessern, etwa eine Vorschrift, dass öffentliche Gebäude Jalousien oder Fensterläden haben müssen und keine großen Fensterfronten Richtung Süden?
Beim Klimaschutz und beim Ausbau der Erneuerbaren Energien hat die Bundesregierung gewissermaßen den Bremsklotz weggezogen, hier passiert jetzt einiges. Bei der Klimaanpassung müssen wir nachziehen. Wir entwickeln eine neue, vorsorgende Klimaanpassungsstrategie und die Nationale Wasserstrategie, die wir ebenfalls gerade überarbeiten, um sie an die veränderten Bedingungen anzupassen. Im Bauministerium meiner Kollegin Klara Geywitz laufen zudem Vorbereitungen für klimaangepasste Baumaßnahmen. Außerdem kann das Konzept der Schwammstadt einen wichtigen Beitrag leisten.
Schwammstadt?
Eine Schwammstadt ist so gestaltet, dass sie Wasser aus Niederschlägen optimal speichert. Straßen und Plätze, Grünanlagen, innerstädtische Wasserflächen und Rückhaltebecken sind alle auf Wasseraufnahme ausgerichtet. Wenn es lange trocken ist, wird das so gespeicherte Wasser nach und nach an die Stadtnatur abgegeben, die die Stadt zugleich kühl hält. Schwammstädte zeichnen sich aber auch durch Grünflächen an Fassaden und auf Dächern aus. Jeder denkbare Wasserspeicher wird genutzt. In meiner Heimatstadt Dessau vertrocknen derzeit mehr Pflanzen als nachgepflanzt werden können. Wenn wir das Stadtgrün erhalten wollen, wird es dauerhaft nicht möglich sein, es permanent mit Trinkwasser zu bewässern. Dafür brauchen wir Schwamm-Konzepte.
In Berlin streiten Kleingartenvereine seit Jahren darum, nicht Wohnungsbauprojekten weichen zu müssen. Was hat Vorrang: Wohnungsnot oder Klimaschutz?
Das kann man nicht pauschal beantworten. Der Wohnungsbau der Zukunft muss Klimaschutz und Klimaanpassung immer integrieren. Angesichts der Klimakrise haben wir keine andere Wahl. Bei Schrebergärten würde ich gern den Kleingärtnern den Vorrang geben, da sie auch eine wichtige Rolle für den Erhalt der biologischen Vielfalt übernehmen können. Das muss aber vor Ort entschieden werden.
Im Koalitionsvertrag ist ein Klimaanpassungsgesetz verabredet. Wie ist der Stand bei diesem Thema?
Der Gesetzentwurf ist in Vorbereitung, bis zur Mitte der Legislaturperiode will ich einen Vorschlag vorlegen. Die Probleme, die wir da anpacken, sind komplex, weil sie die Belange der Kommunen und die Entscheidungskompetenz der Bundesländer betreffen. Natürlich wäre es besser gewesen, wir hätten damit vor drei oder vier Jahren begonnen. Aber damals ist man mit solchen Themen nicht durchgedrungen.
Sie haben im vergangenen Jahr, noch in der Opposition, ein Renaturierungsprogramm gefordert. Was ist daraus geworden?
Daraus ist das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz geworden, das für diese Legislaturperiode mit vier Milliarden Euro ausgelegt ist. In diesem Bereich ist noch nie so viel Geld investiert worden wie jetzt. Dieses Programm vereint Klimaschutz, Klimaanpassung und Naturschutz: Moore und Auen sind große CO2-Speicher. Außerdem ist die Renaturierung gut für die Artenvielfalt. Und wir könnten in künstlichen Wasserrückhaltebecken niemals so viel Wasser speichern wie in alten Wäldern, Auen und Mooren. Für die Umsetzung brauchen wir aber auch hier die Länder, die Kommunen und die Landnutzer, also Landwirte und Forstbesitzer.
Sind auch Enteignungen denkbar?
Wir planen keine Enteignungen in irgendeiner Form. Nach meiner Kenntnis wird landwirtschaftliche Nutzfläche in Deutschland im Moment in erster Linie für den Bau neuer Autobahnen enteignet.
Wie überzeugen Sie den einzelnen Landwirt, der das große Ganze vielleicht im Blick hat, aber auf den konkreten Eintrag seiner Äcker angewiesen ist?
Wir haben vielerorts über Jahrhunderte angelegte Entwässerungssysteme, die Wasser aus der Landschaft herausbefördern. Wenn heute Niederschlag und Grundwasser fehlen, sind diese Systeme möglicherweise nicht mehr sinnvoll. Wir werden die Trockenheit nicht überall mit künstlicher Bewässerung von Äckern ausgleichen können - das wird nicht funktionieren. In meiner Heimat habe ich erlebt, dass es anfangs Sorgen gab, als Deiche ins Land hinein verlegt wurden. Es brauchte Überzeugungsarbeit, um klarzumachen, dass die Flüsse dadurch wieder mehr Raum haben und bei einem Hochwasser der Scheitel durch Auen stark abgesenkt werden kann.
Ist Ihr Werben für eine verstärkte Klimaanpassung auch ein Zeichen dafür, dass es inzwischen zu spät ist, den Klimawandel zu bekämpfen?
Wenn wir verhindern wollen, dass Teile der Erde unbewohnbar werden, müssen wir den Kampf gegen die Klimakrise verstärken. Die Bundesregierung tut das. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass die Auswirkungen der Klimakrise auch uns in Mitteleuropa inzwischen massiv betreffen. Deshalb ist beides notwendig, Klimaschutz und Vorsorge vor den Folgen der Klimakrise.
Zum Schluss noch eine Frage nicht zur Anpassung, sondern zum klassischen Klimaschutz: Am vergangenen Mittwoch sollte das Kabinett ein umfassendes Programm beschließen, wie Deutschland bis 2030 seinen CO2-Ausstoß um 65 Prozent gegenüber 1990 senken kann. Das ist nicht passiert, offenbar hakt es vor allem beim Thema Verkehr. Scheitert die Ampel an Volker Wissing?
Ich bin sicher, dass auch Volker Wissing den Klimaschutz, den sich die gesamte Bundesregierung vorgenommen hat, in seiner Verantwortung stärken wird. Wenn er vorschlägt, mit gezielter Förderung des Radverkehrs andere Verkehrsträger zu entlasten, ist das eine gute Idee.
Ein Tempolimit könnte jährlich etwa 600 Millionen Liter Sprit sparen. Wann kommt es?
Die Koalitionsfraktionen haben inzwischen häufig erklärt, dass ein Tempolimit im Rahmen der Koalitionsverhandlungen nicht vereinbart werden konnte. Die Fraktion, die sich dagegen ausspricht, vertritt diese Position auch weiterhin.
Mit Steffi Lemke sprachen Judith Görs und Hubertus Volmer
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