Rede der Bundesumweltministerin Steffi Lemke zur Oderkonferenz: "Die Oder – wertvolles Ökosystem unter Stress"

06.06.2023
Steffi Lemke
Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat die Oder-Konferenz mit einer Rede eröffnet. Anlass und Themen sind die Umweltkatastrophe im letzten Sommer, die zwischenzeitlichen Aktivitäten und die Gefahr eines neuen Fischsterbens.

– Es gilt das gesprochene Wort. –

Frau Bürgermeisterin Hoppe,
Axel Vogel,
Herr Bogucki,
Herr Bialek,
Herr Brodzik,
Abgeordnete,
Damen und Herren,

herzlich willkommen. Ich freue mich, dass Sie unserer Einladung so zahlreich gefolgt sind. Es ist wichtig, dass wir uns auf allen Ebenen dazu austauschen, wie wir die Oder gemeinsam am besten schützen.

Schwedt an der Oder ist dafür ein sehr passender Ort. Von hier aus sind es nur wenige Meter bis in den Nationalpark. Hier können wir Natur- und Gewässerschutz erleben, aber genauso die wirtschaftliche Gewässernutzung.

Im vergangenen Jahr hat die Oder als Ökosystem dramatischen Schaden genommen und damit auch ihr Wirtschaftsfaktor in der Region. Wir alle haben die Bilder der Massen an toten Fischen in der Oder noch deutlich in Erinnerung. Viele von Ihnen haben dabei geholfen, die Fische zu bergen. Dafür möchte ich mich noch einmal ausdrücklich bedanken.

Auf beiden Seiten der Oder hoffen wir, dass sich die Lebewesen im Fluss erholen können. Wir müssen alles dafür tun, dass sich eine solche Katastrophe nicht wiederholt. Dazu stehen mein Ministerium und ich seit Beginn des Fischsterbens in regelmäßigem Kontakt mit der polnischen Seite. Morgen werde ich mich ein weiteres Mal mit meiner polnischen Kollegin, Frau Ministerin Moskwa, in Slubice treffen. Zugleich unterstützen wir als Bundesumweltministerium die Erholung der Oder, wo wir können. Darauf werde ich noch näher eingehen.

Das Fischsterben wurde ausgelöst, weil die Oder zu wenig Wasser hatte, zu warm war und zu salzhaltig. Die Brackwasseralge Prymnesium Parvum, die es in einem Binnengewässer wie der Oder unter anderen Bedingungen gar nicht geben würde, konnte sich dadurch massenhaft vermehren. Das geht aus dem Bericht der deutschen Expertengruppe zu den Ursachen des Fischsterbens hervor, der im September 2022 veröffentlicht wurde. Polen hat im März 2023 einen abschließenden Bericht vorgelegt, der zu denselben Schlussfolgerungen gelangt.

Seit Beginn des Fischsterbens bin ich mehrfach an der Oder gewesen, um mir ein Bild zu machen. Zuletzt konnte ich Ende April eine wissenschaftliche Schleppnetzbefischung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei begleiten. Dabei wurden weniger Fische als in den Frühjahren zuvor gezählt. Doch es konnten auch Arten nachgewiesen werden, die im November 2022 fehlten, ebenso wie laichbereite Tiere. Das gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus – jedoch nur für den Fall, dass eine erneute Algenblüte verhindert werden kann.

Neue Meldungen über tote Fische beziehungsweise Algenblüten in Polen – in Stauseen bei Breslau – machen mich sehr besorgt. Auch die hohe Leitfähigkeit der Oder, die auf Salzeinleitungen hinweist, gibt Anlass zur Sorge. Und die warme Jahreszeit hat erst begonnen.

In meinen Gesprächen mit der polnischen Seite dränge ich darauf, dass die schädlichen Salzeinleitungen – wo immer das möglich ist – gestoppt oder mindestens deutlich reduziert werden müssen. Mit dem gerade ins Parlament eingebrachten polnischen Revitalisierungsgesetz für die Oder sind dafür hoffentlich die rechtlichen Grundlagen geschaffen.

Fakt ist: Die Brackwasseralge, die das Fischsterben verursacht hat, ist nun im System der Oder. Sie kann dort längere Zeit überdauern und fängt bei für sie günstigen Bedingungen wieder an sich massenhaft zu vermehren. Dafür müssen wir uns entsprechend wappnen und vorbereiten.

Das Gift der Alge hat außer Fischen auch andere Tiere wie Muscheln und Wasserschnecken getötet. Die Artenvielfalt in der Oder ist schwer beschädigt und es wird noch lange dauern, bis sich das Ökosystem erholt hat.

Deshalb wird es zukünftig darauf ankommen, die Nutzung der Oder mit ihrer Gesundung in Einklang zu bringen. Nach der Katastrophe vom letzten Jahr muss sich die Oder erholen können auch als wichtiger Faktor für den Tourismus regenerieren.

Daher sehe ich den Oderausbau auf der polnischen Seite kritisch, ebenso wie die geplanten Maßnahmen auf der deutschen Seite. Das deutsch-polnische Regierungsabkommen zur Oder von 2015 gehört aus meiner Sicht auf den Prüfstand. Das spreche ich gegenüber dem Bundesverkehrsminister und gegenüber der polnischen Seite immer wieder an. Polen vertritt hier bisher eine andere Sichtweise.

Wir müssen zu unseren unterschiedlichen Auffassungen im Gespräch bleiben. Daher hat das Bundesumweltministerium auch eine Stellungnahme im Rahmen der strategischen Umweltprüfung zum polnischen Schifffahrtsprogramm abgegeben. Unter anderem haben wir kritisiert, dass die Umweltkatastrophe im letzten Jahr nicht berücksichtigt wurde.

Umso mehr begrüße ich, dass wir bei der kontinuierlichen Überwachung der Oder nun gut zusammenarbeiten. Polen informiert uns transparent über die Messwerte zum Salzgehalt und zuletzt auch über die neuen Algenblüten. Ich bin besonders zufrieden, dass wir die Überarbeitung des gemeinsam Warn- und Alarmplans in der Internationalen Kommission zum Schutz der Oder (IKSO) vor wenigen Tagen abschließen konnten.

Bei der praktischen Umsetzung des Gewässerschutzes haben in Deutschland vor allem die Bundesländer eine große Verantwortung. Brandenburg ist mit seinen automatischen Messstationen an der Oder beispielgebend. Die dort gemessenen Werte, etwa die Leitfähigkeit, stehen öffentlich zur Verfügung. Die Europäische Kommission hat die automatischen Messstationen in ihrem Bericht zum Fischsterben zur Nachahmung empfohlen.

Denn von der Oder können wir auch für andere Regionen in Deutschland und der EU lernen: Wir müssen die Einleitungen in die Gewässer im Blick behalten und sie wo nötig an die Folgen der Klimakrise anpassen. Für Deutschland habe ich einen entsprechenden Anstoß auf der Umweltministerkonferenz Ende letzten Jahres gegeben: Die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser soll die Anpassung der Einleitungsgenehmigungen prüfen. Zum Beispiel, ob bei niedrigen Wasserständen weniger Industrieabwässer eingeleitet werden sollten.

Als Bundesumweltministerium haben wir das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei mit einem großen Projekt beauftragt, um die Regeneration der Oder zu unterstützen. Wir fördern das dreijährige Modellvorhaben mit rund 4,8 Millionen Euro. Das Projekt wird die Gesundung des Flusses erfassen und Empfehlungen ableiten, wie die Oder widerstandsfähiger und renaturiert werden kann. Darum wird es heute Nachmittag ausführlicher gehen.

Gemeinsam mit den Ländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern unterstützen wir als Bundesumweltministerium das Wiederansiedlungsprogramm für den Baltischen Stör. Wir hoffen, dass diese Art wieder dauerhaft in der Oder heimisch wird und sich fortpflanzen kann.

Thema auf der Konferenz werden auch unsere Förderprogramme sein, aus denen Mittel für Maßnahmen an und in der Oder beantragt werden können: Unter anderem das Förderprogramm Auen im Rahmen des Bundesprogramms Blaues Band Deutschland.

Auch hier an der Oder zeigen sich ganz deutlich die drei ökologischen Krisen, die uns weltweit vor große Herausforderungen stellen – die Klimakrise, das Artenaussterben und die Verschmutzungskrise. Wir haben als Bundesumweltministerium seit dem Start der Ampelkoalition wichtige Maßnahmen im Kampf gegen die multiplen Krisen auf den Weg gebracht:

  • Im März haben wir im Bundeskabinett das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz verabschiedet. Mit dem Programm investieren wir bis 2026 vier Milliarden Euro, um Wälder, Auen und Moore als natürliche Klimaschützer zu erhalten, zu stärken und wiederherzustellen.
  • Wir haben außerdem die Nationale Moorschutzstrategie beschlossen, um Fortschritte bei der Wiedervernässung zu erreichen.
  • Die Bundesregierung hat ebenfalls im März die Nationale Wasserstrategie auf den Weg gebracht. Sie soll dafür sorgen, dass uns auch in Zukunft ausreichend Wasser in guter Qualität zur Verfügung steht und dass die Gewässer und unser Grundwasser sauber werden.

An der Umsetzung dieser Maßnahmen und Strategien arbeiten wir nun gemeinsam mit Ländern, Kommunen und weiteren Verantwortlichen vor Ort. Und diese Maßnahmen werden auch der Revitalisierung der Oder zugutekommen. Die Oder ist eine wertvolle Lebensader für Deutschland und für Polen. Es ist mir wichtig, dass wir sie gemeinsam schützen und dafür unsere Ressourcen bündeln.

Vielen Dank.

06.06.2023 | Rede Naturschutz

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