Am 27. Oktober fand die Jahreskonferenz des Bundesnetzwerks Verbraucherforschung unter dem Titel "Verbraucherresilienz: Risikofaktoren, Vulnerabilitäten und Interventionen" statt. Bereits zum sechsten Mal kamen fast einhundert Interessierte aus Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zusammen – nach dem Ressortwechsel des Verbraucherschutzes zum ersten Mal im Veranstaltungshof des BMUV sowie auch virtuell.
Publikation zur Jahreskonferenz 2022
Der Tagungsband zur Jahreskonferenz 2022 ist unter dem Titel "Verbraucherresilienz – Risikofaktoren, Vulnerabilitäten und Interventionen" in der Publikationsreihe Verbraucherforschung beim Nomos Verlag erschienen. Neben der Veröffentlichung als Buchexemplar steht eine digitale Ausgabe kostenfrei zur Verfügung:
Die Jahreskonferenz wurde mit einem Grußwort von Professor Jörn Lamla, dem Sprecher des Koordinierungsgremiums des Bundesnetzwerks Verbraucherforschung, eröffnet. Mit Bezug zur Historie des Bundesnetzwerks stellte er heraus, wie wichtig es sei, die Verbraucherforschung als interdisziplinäres Wissenschafts- und Forschungsfeld durch Vernetzungsaktivitäten zu stützen und voranzubringen. In ihrem Grußwort wies Staatssekretärin Dr. Christiane Rohleder auf die wichtige Bedeutung der sozialen Dimension der Verbraucherpolitik im Angesicht von Inflation und Klimakrise hin. Verbraucherresilienz sei ein zentraler Baustein für Lebensqualität, weshalb die wissenschaftliche Fundierung für Politik in Krisenzeiten essenzieller denn je wäre.
Das Fachprogramm wurde mit einem Einführungsvortrag von Professor Martin Endreß (Universität Trier) eröffnet. Er zeigte unterschiedliche Facetten des Begriffs Verbraucherresilienz auf (Resilient Verbrauchende, Resiliente Verbrauchende, Resilientes Verbrauchen & Resilient Verbrauchbares). Vor dem Hintergrund eines attestierten Überverbrauchers und Überkonsums dürfe sich die Forschung und Diskussion zur Resilienz nicht auf die subjektiven Persönlichkeitseigenschaften und/ oder Kompetenzen der Verbrauchenden beschränken, sondern müsse die Auswirkungen des Verbrauchs auf andere, aber auch auf die Versorgungsstrukturen, in denen sie agieren, berücksichtigen. Schließlich sei die Resilienz des einen die Vulnerabilität der anderen.
Das erste Panel beschäftigte sich mit Herausforderungen und Risiken der Verbraucherresilienz. PD Dr. Stefanie Graefe (Friedrich-Schiller-Universität Jena) richtete einen kritischen Blick auf die psychologische Resilienzforschung und wies darauf hin, dass die gesellschaftlichen Bedingungen, in denen die Verbrauchenden agieren, oftmals nicht ausreichend berücksichtigt werden. Professor René Riedl (Johannes Kepler Universität Linz) zeigte an den Beispielen der Smartphonenutzung und des Alltags digitaler Kommunikation, dass digitaler Stress ein wesentlicher Risikofaktor für Verbraucherresilienz in einem zunehmend digitalisierten Verbraucher- und Arbeitsalltag ist.
Professorin Hanna Schramm-Klein (Universität Siegen) begann das zweite Panel zu Vulnerabilitäten mit einem Vortrag zur Konsumkompetenz bei Kindern. Sie unterstrich, dass sich Prägungen des Kaufverhaltens sehr früh herausbilden und daher eine hohe ethische Verantwortung von Unternehmen, insbesondere auch im Werbeverhalten, eingefordert werden muss. Sie stellte Ergebnisse einer Simulationsstudie im Supermarkt vor. Die Ergebnisse zeigten, dass zunehmende Kauferfahrung mit weniger überflüssigen Käufen einherging.
Professorin Carmela Aprea (Universität Mannheim) schloss das zweite Panel mit einem Vortrag zum Umgang von Verbrauchenden mit finanziellen Schocks während der Corona-Pandemie ab. Ausgewählte repräsentative Befragungsergebnisse aus den Jahren 2020 und 2021 zeigten, dass Verbrauchende sich zu diesem Zeitpunkt stärker um gesamtwirtschaftliche Entwicklungen, wie zum Beispiel die Inflation oder eine langfristige wirtschaftliche Schwächung, sorgten als um die konkrete persönliche finanzielle Situation. Angesichts steigender finanzieller Belastungen durch die derzeitige Inflation und Energiepreiskrise könnte sich dieser Befund in den letzten Monaten allerdings verändert haben.
Im dritten Panel stellten Professorin Anja Göritz (Universität Augsburg) und Dr. Sarah Schäfer (Leibniz-Institut für Resilienzforschung) in ihrem gemeinsamen Vortrag vor, wie Interventionsansätze zur Stärkung der Verbraucherresilienz aufgebaut werden können und vertieften ihr Modell anhand einiger Beispiele wie einem Serious Game. Professor Arnd Florack (Universität Wien) schloss das fachliche Programm mit seinem Vortrag aus der Sozial- und Konsumentenpsychologie ab. Konsum sei Motor des Wirtschaftssystems und identitätsstiftend. Wenn man sich aber frage, ob eine Steigerung des Konsums auch glücklicher mache, so weisen Forschungsergebnisse darauf hin, dass materieller Konsum nur kurzfristig glückssteigernd wirkte. Langfristig sei der Konsum von Erlebnissen für das persönliche Glücksgefühl deutlich dauerhafter. Grundsätzlich spreche freiwilliger Verzicht positive Eigenschaften wie Autonomie und Selbstwirksamkeit an, während unfreiwillige Einschränkungen Frustration hervorrufen.
An der anschließenden politischen Diskussionsrunde nahmen Herr Parlamentarischer Staatssekretär Christian Kühn sowie Abgeordnete aus den Fraktionen Bündnis 90/ Die Grünen (Linda Heitmann), SPD (Nadine Heselhaus), FDP (Nils Gründer) und CDU/ CSU (Dr. Volker Ullrich) teil. Moderiert wurde die Diskussionsrunde von Wirtschaftsjournalistin Dr. Ursula Weidenfeld. Die politischen Vertreter*innen tauschten sich darüber aus, wie Verbraucherresilienz in Zeiten von Inflation und Energiepreiskrise erhalten bzw. hergestellt werden kann, welche Entlastungsmaßnahmen zielführend sind, welchen Beitrag die Verbrauchenden leisten können und welche Rolle Verbraucherforschung bei der Entwicklung zielgenauer Maßnahmen einnehmen kann.
Professorin Katrin Loer, die stellvertretende Sprecherin des Koordinierungsgremiums des Bundesnetzwerks Verbraucherforschung, führte die Beiträge zusammen und schloss die diesjährige Konferenz mit einem perspektivischen Ausblick. Sie hob einerseits die Leistungen einer multiperspektivischen und interdisziplinären Verbraucherforschung hervor. Sie machte aber auch andererseits deutlich, dass es angesichts komplexer Problemlagen und Marktdynamiken keine einfachen Lösungen geben könne und daher die Verbraucherforschung wie auch die Verbraucherpolitik immer wieder aufs Neue herausgefordert sei, an Lösungsansätzen zu arbeiten und diese weiterzuentwickeln.