Nukleare Sicherung

Kühltürme des Kernkraftwerks Saporischschja in Enerhodar, Ukraine

Die nukleare Sicherung umfasst alle Aspekte des Schutzes kerntechnischer Einrichtungen und Tätigkeiten gegen sogenannte Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD), im Wesentlichen den Schutz genehmigungspflichtiger Tätigkeiten gegen Terrorismus. Dieser Schutz ist eine Genehmigungsvoraussetzung für alle nach dem Atomgesetz (AtG) zu genehmigenden kerntechnischen Einrichtungen und Tätigkeiten, wie beispielsweise Kernkraftwerke, Kernkraftwerke im Rückbau, Forschungsreaktoren, Zwischenlager, Einrichtungen des Kernbrennstoffkreislaufs, wie Anreichungsanlagen, aber auch für Kernbrennstofftransporte.

Nukleare Sicherheit und nukleare Sicherung verfolgen grundsätzlich das gleiche Ziel, nämlich den Schutz der Bevölkerung vor den von Kernbrennstoffen ausgehenden Gefahren. Gleichzeitig bestehen jedoch wesentliche Unterschiede: Während im Rahmen der nuklearen Sicherheit, ausgehend von Betriebserfahrungen und naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnissen, Eintrittswahrscheinlichkeiten – für zum Beispiel Materialversagen oder Naturkatastrophen – bestimmt und darauf aufbauend Sicherheitsanforderungen für Systeme, Bauwerke, Komponenten und so weiter gestellt werden können, unterliegt die Sicherung der Willenskomponente eines potentiellen Täters. Eine quantitative, auf Eintrittswahrscheinlichkeiten beruhende Risikobewertung ist im Bereich der Sicherung somit nicht möglich. Darüber hinaus existieren im Bereich der nuklearen Sicherung Risiken, wie zum Beispiel der Angriff schwerbewaffneter Terroristen, die nicht allein durch den Genehmigungsinhaber abgedeckt werden können. Der Schutz vor derartigen Risiken ist nur im Zusammenspiel zwischen Genehmigungsinhaber und Polizei möglich.

Kontrollraum eines russischen Kernkraftwerks

Nationales System der nuklearen Sicherung

Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, werden kerntechnische Einrichtungen und Transporte mit einem sogenannten integrierten Sicherungs- und Schutzkonzept vor SEWD geschützt (§ 41 AtG). In diesem Konzept werden die Maßnahmen des Betreibers mit den staatlichen Maßnahmen, das heißt dem Eingreifen der Polizei, verzahnt. Konkret muss der Betreiber einer kerntechnischen Einrichtung den Schutz seiner Anlage gegen die in den sogenannten Lastannahmen unterstellten Tatszenarien und Tatmittel solange sicherstellen, bis die Polizei die Lage übernommen hat. Die Zeit bis zur Übernahme durch die Polizei, die sogenannte Verzugszeit, ist für alle kerntechnischen Anlagen einheitlich festgelegt.

Die Gefährdungsbewertung für kerntechnische Anlagen und Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland wird vom Bundeskriminalamt unter Einbeziehung weiterer Bundessicherheitsbehörden (unter anderem BSI, BND, BfV) und der Landeskriminalämter vorgenommen und in einem Gefährdungslagebild zusammengefasst. Ausgehend von diesem Gefährdungslagebild und den weiteren Erkenntnissen der Bundes- und Landessicherheitsbehörden werden die sich hieraus ergebenden Risiken, gemeinsam durch die Innen- sowie die an atomrechtlichen Verfahren beteiligten Bundes- und Landesbehörden analysiert und fließen in die Lastannahmen ein.

Lastannahmen werden generisch, entweder anlagentyp-spezifisch oder tätigkeits-spezifisch oder für übergeordnete Bereiche, wie die IT-Sicherheit, festgelegt. Die Lastannahmen beschreiben Tätertypen, deren Ziele und Vorgehensweisen sowie die ihnen zur Verfügung stehenden Hilfsmittel möglichst konkret und präzise. Dementsprechend werden sie auch als Verschlusssache mit hohem Geheimhaltungsrad eingestuft. Die Lastannahmen werden regelmäßig auf Aktualität überprüft.

Aus den Täterzielen abgeleitet sind die sogenannten Schutzziele atomgesetzlich in § 42 AtG definiert. Demnach sind die Anforderungen und Maßnahmen darauf ausgerichtet, Einwirkungen Dritter zu verhindern, die auf die Freisetzung von Kernbrennstoffen oder ihrer Folgeprodukte in erheblichen Mengen oder auf die Entwendung von Kernbrennstoffen zum Zwecke des Baus einer kritischen Anordnung zielen.

Die Lastannahmen bilden die Grundlage für Sicherungsanforderungen und -maßnahmen, die in kerntechnischen Einrichtungen oder auch bei Transporten von Kernbrennstoffen vom Betreiber zu ergreifen sind. Diese werden in Form sogenannter SEWD-Richtlinien allgemein oder anlagentyp-spezifisch konkretisiert.

Der in den SEWD-Richtlinien festgelegten Anforderungen und Maßnahmen werden unter Berücksichtigung des Gefahrenpotentials der jeweiligen Einrichtung oder Tätigkeit bestimmt. Diese SEWD-Richtlinien werden in den zuständigen Gremien des Länderausschusses für Atomkernenergie und der Innenministerkonferenz in der Regel im Konsens beschlossen und vom BMUV zur Anwendung empfohlen. Im Gemeinsamen Ministerialblatt werden die SEWD-Richtlinien anschließend je nach erfolgter Verschlusssachen-Einstufung angekündigt oder veröffentlicht.

Die allgemeinen SEWD-Richtlinien legen Anforderungen für bestimmte übergeordnete baulich-technische (zum Beispiel Wände, Türen, Detektionssysteme) sowie personell-organisatorische Maßnahmen (zum Beispiel bewaffneter Sicherheitsdienst, zuverlässigkeitsüberprüftes Personal) fest. Die anlagentyp- und tätigkeitsspezifischen SEWD-Richtlinien beschreiben generisch, für den jeweiligen Anlagentyp oder die jeweilige Tätigkeit, ein in sich schlüssiges Sicherungskonzept.

Castor-Behälter

Nukleare Sicherung im internationalen Kontext

Im Gegensatz zum Bereich der Sicherheit gibt es im Bereich der Sicherung aus politischen Gründen kein international harmonisiertes Regelwerk in Form verbindlicher Vorgaben. Es existiert gleichwohl die Konvention über den physischen Schutz von Kernmaterial (CPPNM/A), die Deutschland ratifiziert hat. Im Rahmen der IAEO werden von den Mitgliedsstaaten jedoch Mindeststandards vereinbart, die die Anforderungen der Konvention inhaltlich ausgestalten, ursprünglich um internationale Transporte zu ermöglichen, mittlerweile aber auch für ortsfeste kerntechnische Anlagen. Deutschland hat naturgemäß ein Interesse daran, dass diese Mindeststandards möglichst hoch sind.

Da abseits der Kernmaterialüberwachung (Safeguards) auch Euratom keine Kompetenzen im Bereich der nuklearen Sicherung hat, finden notwendige Abstimmungen auf europäischer Ebene im Rahmen der "European Nuclear Security Regulators‘ Association" (ENSRA ) statt.

Geheimschutz

Sowohl für die in den Lastannahmen unterstellten SEWD als auch für die in den SEWD-Richtlinien konkretisierten Anforderungen und Maßnahmen zur Gewährleistung des erforderlichen Schutzes der kerntechnischen Anlagen und Einrichtungen gilt, dass potentielle Täter die dort enthaltenen Informationen zur Umgehung der getroffenen Sicherungsmaßnahmen nutzen könnten. Daher sind die Lastannahmen und weite Teile des SEWD-Regelwerks als Verschlusssache eingestuft und nicht öffentlich zugänglich.

Stand: 17.06.2024

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