Kurzbericht über die Arbeiten der Reaktorsicherheitskommission im Jahr 2011
Als Konsequenz aus der am 11. März 2011 durch ein Erdbeben mit anschließendem Tsunami verursachten Reaktorkatastrophe in Fukushima hat das Bundesumweltministerium am 17. März 2011 die Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) mit einer Sicherheitsüberprüfung der deutschen Atomkraftwerke beauftragt. Der damalige Bundesumweltminister Doktor Norbert Röttgen nahm am 17. Mai 2011 vom Vorsitzenden der RSK, Diplom-Ingenieur Rudolf Wieland, den Bericht der Kommission zur Sicherheitsüberprüfung der deutschen Atomkraftwerke entgegen.
Unter Berücksichtigung der vorliegenden Informationen und des betrachteten Themenumfanges kann aufgrund dieser Überprüfung für die deutschen Atomkraftwerke anlagenunabhängig bei einem direkten Vergleich mit den Ursachen und Folgen der Unfälle in Fukushima I (Daiichi) festgestellt werden:
Initiierende Ereignisse, die zu derartigen Tsunami führen können, sind nach dem jetzigen Kenntnisstand für Deutschland ausgeschlossen. In Fukushima I lag eine zu geringe Auslegung der Anlagen gegen einen Tsunami mit einer auf Basis vorliegender Literatur zu betrachtenden Ereignishäufigkeit von circa 10-3/a (das heißt das Ereignis tritt im Durchschnitt einmal alle 1000 Jahre ein) vor. Im Bereich der naturbedingten Einwirkungen sind für deutsche Atomkraftwerke für Eintrittshäufigkeiten von 10-4/a für Erdbeben beziehungsweise 10-5/a für Hochwasser die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zu berücksichtigenden Einwirkungen durchgehend in der Auslegung berücksichtigt. Die Stromversorgung der deutschen Atomkraftwerke ist durchgehend robuster als in Fukushima I. Alle deutschen Anlagen haben mindestens eine zusätzlich gesicherte Einspeisung und mehr Notstromaggregate, wobei mindestens zwei davon gegen äußere Einwirkungen geschützt sind.
Die RSK hat sich unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus Fukushima themenbezogen insbesondere mit der Frage beschäftigt, welche Sicherheitsreserven (Robustheitsgrade) die einzelnen Anlagen haben, wenn es Einwirkungen von außen gibt, die über die bisherigen Annahmen hinausgehen. Je höher die Reserven eines Atomkraftwerkes gegenüber diesen unterstellten Einwirkungen hinsichtlich der Einhaltung der Schutzziele ausgewiesen werden können, umso höher ist der Robustheitsgrad. Die Schutzziele sind die Unterbindung der Kettenreaktion, die Kühlung des Reaktorkerns beziehungsweise der Brennelemente und der Einschluss der radioaktiven Stoffe.
Im Rahmen der Robustheitsüberprüfung unterscheidet die RSK zwischen:
- Robustheitslevel für naturbedingte Einwirkungen, Postulaten (zum Beispiel ein unterstellter vollständiger Stromausfall), Vorsorgemaßnahmen und Notfallmaßnahmen und
- Robustheitsschutzgraden für die gemäß dem Anforderungskatalog ergänzend zu betrachtenden, zivilisatorisch bedingten Einwirkungen.
Die Bewertung der Robustheit der Anlagen basiert auf der Einhaltung neu definierter Basislevel. Bei den Bewertungskriterien werden in der Regel themenspezifisch jeweils drei Level beziehungsweise drei Schutzgrade definiert. Bei dem höchsten Level drei oberhalb des Basislevels wird im Hinblick auf die durch die RSK unterstellten, auslegungsüberschreitenden Einwirkungen eine Verletzung der Schutzziele praktisch ausgeschlossen.
Die RSK setzt bei ihrer Prüfung voraus, dass die Anlagen dem aktuellen genehmigten Zustand entsprechen und die in den regelmäßig gemäß dem Atomgesetz durchgeführten Sicherheitsüberprüfungen oder aufgrund anderer Aufsichtsvorgänge als sicherheitstechnisch wichtig identifizierten Verbesserungsmaßnahmen vollständig umgesetzt sind (Basislevel).
Die RSK weist darauf hin, dass das Konzept der Auslegung deutscher Atomkraftwerke prioritär auf dem Grundsatz der Vermeidung von Ereignissen oder sicherheitsrelevanten Auswirkungen bei Ereignissen beruht. Dies bedeutet, dass hinsichtlich Redundanz, Diversität sowie Barrieren die Ausführungen mit fortschreitenden Reaktorgenerationen tendenziell höheren Anforderungen genügen. Aus diesem Grunde sind die Ausführungen in den Anlagen hinsichtlich der Robustheit unterhalb der von der RSK beschriebenen Bewertungskriterien auch unterschiedlich, worauf aber bei der Bewertung in der Regel nicht eingegangen wird.
Die RSK erklärt, im Rahmen dieser ersten Stellungnahme könnten die Bewertungskriterien bei der zur Verfügung stehenden Zeit hinsichtlich der quantitativen Ansätze nicht auf Basis wissenschaftlicher Grenzbetrachtungen generiert, sondern im Wesentlichen nur postuliert werden.
Im Einzelnen wurden folgende Themen, jeweils mit Level- beziehungsweise Schutzgradbewertung oder alternativ in generischer, das heißt in anlagenübergreifender Form durch die RSK bearbeitet:
Naturbedingte Einwirkungen:
- Erdbeben
- Levelbewertung - - Hochwasser
- Levelbewertung - - Sonstige naturbedingte Einwirkungen (einschließlich Klimaeinflüssen)
- generisch -
Postulate:
- Station Black-Out (vollständiger Stromausfall einschließlich Notstrom)
- Levelbewertung - - Langandauernder Notstromfall
- generisch - - Ausfall des Nebenkühlwassers
- Levelbewertung -
Vorsorgemaßnahmen:
- Druckwasserreaktoren
- generisch - - Siedewasserreaktoren
- Levelbewertung -
Notfallmaßnahmen bei erschwerten Randbedingungen (Trümmer, Radioaktivität, …):
- Für die betrachteten Fälle
- Basislevel definiert -
- Empfehlungen abgeleitet -
Zivilisatorisch bedingte Ereignisse:
- Flugzeugabsturz
- Levelbewertung - - Explosionsdruckwelle
- Levelbewertung - - Brennbare Gase
- generisch - - Toxische Gase
- generisch - - Auswirkungen eines Unfalls auf den Nachbarblock
- generisch - - Terroristische Einwirkungen
- generisch -
- Erdbeben
Aus ihrer Sicherheitsüberprüfung zieht die RSK folgendes Fazit:
- Im Vergleich mit dem Atomkraftwerk in Fukushima ist hinsichtlich der Stromversorgung und der Berücksichtigung von Hochwasserereignissen für deutsche Anlagen eine höhere Vorsorge festzustellen.
- Weitere Robustheitsbewertungen zeigen, dass kein einheitliches Ergebnis in Abhängigkeit von Bauart oder Alter auszuweisen ist. Bei älteren Anlagen mit ursprünglich geringeren Auslegungsanforderungen wurden zur Sicherstellung der notwendigen Sicherheitsfunktionen Notstandssysteme nachgerüstet. Dies führt punktuell zu hohen Robustheitsleveln bei älteren Anlagen.
Die RSK betont in ihrer Stellungnahme, dass die aufgestellten Bewertungskriterien allein einer themenspezifischen Differenzierung hinsichtlich der vorhandenen Reserven dienen und keine Regelwerksanforderungen darstellen. Auf Basis der in kurzer Zeit vorgenommenen Informationsaufbereitung konnte keine durchgehend belastbare Zuordnung zu den Robustheitsleveln oder Schutzgraden erfolgen. In den vorliegenden Ergebnissen der Robustheitsüberprüfung wurde deshalb häufig ein weiterer Untersuchungs- oder Bewertungsbedarf ausgewiesen.