Rede von Steffi Lemke in Brüssel zu "GMO Regulation für plants derived from new genomic techniques: Environmental and consumer protection aspects"

13.06.2022
Bundesministerin Steffi Lemke
Rede von Steffi Lemke in Brüssel zu "GMO Regulation für plants derived from new genomic techniques: Environmental and consumer protection aspects"

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wir leben in krisenhaften Zeiten. Die existenzellen Krisen – Klimakrise und Artenaussterben – verschärfen sich. Der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine führt zu unermesslichem Leid vor Ort und wirkt sich mittlerweile auch weltweit aus: mit steigenden Ressourcen- und Lebensmittelpreisen, mit gestörten Liefer- und Logistikketten, mit Lebensmittelknappheit, vor allem im globalen Süden.

Die Politik muss hier Lösungen liefern. Lösungen, die nicht eine Krise gegen die andere ausspielen, sondern nachhaltig wirken, indem sie mehrere Krisen gleichzeitig angehen. Lösungen, die uns nicht zusätzlichen Risiken aussetzen.

Verfechter der Gentechnik propagieren, neue genomische Verfahren – NGT – seien solche Lösungen. Das wollen wir heute kritisch hinterfragen und diskutieren: Unter welchen Umständen sind NGT-Pflanzen als nachhaltig zu bewerten? Und was muss eine Regulierung für neue Gentechniken gewährleisten, um den damit verbundenen Risiken nachhaltig zu begegnen?

Ich will dazu zwei Thesen aufstellen:

Erstens: Nachhaltigkeit ist ein ganzheitlicher Ansatz. Produkte sind dann nachhaltig, wenn sie einem Gesamtsystem nutzen und das auf Dauer. In Bezug auf gentechnisch veränderte Pflanzen – egal ob NGT oder klassische Gentechnik – bedeutet das: Um ihre Nachhaltigkeit zu beurteilen, muss die gesamte Pflanze  betrachtet werden, ihr Anbausystem, die Auswirkungen auf Bodengesundheit, Wasserhaushalt und angrenzende Ökosysteme, die Verfügbarkeit von Saatgut für Landwirte und die Konsequenzen auf die ökologische Landwirtschaft und verwandte Branchen. Und da wir als EU global Verantwortung für unseren Konsum übernehmen wollen, müssen diese Kriterien letzlich auch für Import-Produkte gelten.

Ob die Neuen Gentechniken einer solchen ganzheitlichen Betrachtung standhalten, ist bislang weder wissenschaftlich noch in der Praxis belegt.

Ich werde jedenfalls darauf hinwirken, dass bei einem etwaigen Nachhaltigkeitsnachweis für NGT-Pflanzen all diese Kritierien betrachtet werden. Ansonsten sehe ich ein hohes Risiko für "Greenwashing".

Zweitens: Ein Grundpfeiler der Nachhaltigkeit, der Umwelt- und Gesundheitspolitik ist das Vorsorgeprinzip. Das ist nicht verhandelbar. Wir wissen, dass auch die Nutzung Neuer Gentechnik zu unbeabsichtigten Effekten in Pflanzen führen kann. Das gilt auch für CRISPR/Cas. Den aktuellen Stand der Risiko- und Nachweisforschung wird uns gleich Sarah Zanon Agapito erläutern. Soviel vorab: Risiken für Umwelt und menschliche Gesundheit können hier nicht per se ausgeschlossen werden.

Daher ist es wichtig und richtig, dass der Einsatz von Gentechnik in der Land- und Lebensmittelwirtschaft in der Europäischen Union nur möglich ist, wenn zuvor die Unbedenklichkeit für Mensch und Natur überprüft wurde. Das gilt gleichermaßen für die klassische Gentechnik wie auch für die Verfahren der Neuen Gentechnik – hier war der Europäische Gerichtshof in seinem Grundsatzurteil von 2018 sehr klar.

Ich sehe keinen Bedarf für eine Neuregulierung. Wenn sie jetzt jedoch angegangen werden soll, sind mir zwei Punkte besonders wichtig.

Erstens: Vor einer Freisetzung in die Natur muss eine Risikobewertung weiterhin zwingend gewährleistet sein. Denn einmal in die Natur freigesetzt, ist es nahezu unmöglich, eine gentechnisch veränderte Pflanze wieder "einzufangen". Potenzielle Risiken – nicht nur in der Pflanze, sondern auch für Ökosysteme und Biodiversität – müssen vorher entdeckt, genau definiert und bewertet werden.

Zweitens: Eine Neuregulierung muss weiterhin eine zwingende Kennzeichnung der Produkte als NGT enthalten. Als Verbraucherschutzministerin ist mir wichtig, dass die Wahlfreiheit gewahrt bleibt. Für die ökologische Landwirtschaft, genauso wie für die gentechnik-freie Lebensmittel- und Kosmetikindustrie. Wie das funktionieren kann, dafür hat die Branche bereits Lösungsansätze erarbeitet, zum Beispiel beim Import von Saatgut- und Futtermitteln.

Lernen können wir auch von der kleinbäuerlichen Landwirtschaft: Standort-angepasstes Wirtschaften und vielfältige Kulturen bei Züchtung und Anbau machen die Landwirtschaft vielfältiger und widerstandsfähiger gegen Krisen – deshalb ist es auch richtig, dass die Farm-to-Fork-Strategie der EU 25 Prozent Ökolandbau bis 2030 fordert. Dieses Ziel darf durch die Gentechnik-Regulierung nicht gefährdet werden.

Mir ist bewusst: Das Thema, das wir heute diskutieren, ist kontrovers. Ich freue mich daher, dass so viele unserer Einladung gefolgt sind und danke allen Impulsgeber*innen und Panelist*innen für Ihre Beiträge.

Nun wünsche ich Ihnen eine gute Diskussion und freue mich auf die Ergebnisse, über die mir meine Mitarbeiter*innen berichten werden.

13.06.2022 | Rede Verbraucherforschung | Brüssel

Weitere Informationen

  • Meldung Verbraucherschutz |

    Risikoprüfung Neuer Gentechnik

    Bundesumweltministerium diskutierte Eckpfeiler der Gentechnik-Regulierung mit EU-Parlamentariern und Europäischer Kommission
https://www.bmuv.de/RE10136
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