Besuch der EU-Umweltkommissarin Ritt Bjerregaard in Bonn
EU-Umweltkommissarin Ritt Bjerregaard und Bundesumweltminister Jürgen Trittin sind heute in Bonn zu einem Informations- und Meinungsaustausch über die Umweltpolitik der Europäischen Union zusammengekommen. Das Gespräch diente der Vorbereitung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im 1. Halbjahr 1999. Beide stimmten darin überein, daß die deutsche Präsidentschaft große Chancen biete, die EU-Umweltpolitik in wichtigen Feldern voranzubringen. Minister Trittin und Kommissarin Bjerregaard vereinbarten eine enge Zusammenarbeit, um das von beiden Seiten als ehrgeizig eingestufte Programm der deutschen Präsidentschaft zum Erfolg zu führen.
Ritt Bjerregaard: "Trotz erkennbarer Fortschritte bei der Verbesserung der Umweltsituation in Teilbereichen besteht kein Grund, bei der Durchsetzung anspruchsvoller harmonisierter Umweltstandards nachzulassen. Die Berücksichtigung von Umweltbelangen in den anderen Politikfeldern der EU muß verstärkt werden. Die Bewertung der Umsetzung des 5. Umweltaktionsprogramms der Gemeinschaft, die die Kommission Mitte nächsten Jahres vorlegen wird, sowie der Umweltzustandsbericht der Europäischen Umweltagentur, der im Frühjahr vorgestellt wird, werden dies unterstreichen."
Jürgen Trittin: "Die Deutsche Präsidentschaft ist eine große Herausforderung für uns. Wir haben uns viel vorgenommen. Ich bin aber optimistisch, daß wir in enger Zusammenarbeit mit der Kommission und in enger Abstimmung auch mit dem Europäischen Parlament eine Reihe von Maßnahmen im Rat verabschieden und weitere Initiativen auf den Weg bringen können."
Bei dem Gespräch zwischen Ritt Bjerregaard und Jürgen Trittin standen folgende Themen im Vordergrund:
Harmonisierung der Energiebesteuerung
Beide Seiten waren sich einig, daß während der deutschen Präsidentschaft ein Durchbruch bei der Harmonisierung der Energiebesteuerung in der EU erreicht werden müsse. Ohne den Einstieg in eine harmonisierte Energiebesteuerung bleibe das Projekt einer ökologischen Modernisierung in Europa ohne Schubkraft, betonten beide. Dies sei auch zur Erreichung der Klimaschutzziele erforderlich.
Minister Trittin informierte die Kommissarin über das deutsche Vorhaben einer ökologischen Steuerreform und über die Inhalte des im Bundestag eingebrachten Gesetzentwurfs. Die Entlastung des Faktors Arbeit in Verbindung mit einer verstärkten Besteuerung des Verbrauchs natürlicher Ressourcen gehöre auch in den Kontext der Diskussion um einen europäischen Beschäftigungspakt, so Trittin. In diesem Zusammenhang unterstrich die Kommissarin ihr großes Interesse an einer intensiveren Berücksichtigung der positiven Beschäftigungseffekte, die von einer ökologischen Modernisierung der Wirtschaft ausgehen. Sie begrüßte die Absicht der Bundesregierung, die Initiative für eine Kerosinbesteuerung auf EU-Ebene zu ergreifen, wies jedoch darauf hin, daß auch andere Wege zur Verringerung der luftverkehrsbedingten Emissionen geprüft werden sollten. Trittin äußerte die Erwartung, daß der angekündigte Bericht der EU-Kommission zur Steuerbefreiung von Flugbenzin schnell vorgelegt werde, um eine europäische Initiative zur Abschaffung dieser steuerlichen Begünstigung ergreifen zu können.
Europäische Klimaschutzstrategie
Beide unterstrichen die Bedeutung einer EU-weit harmonisierten Energiebesteuerung als wichtigen Baustein in einer europäischen Klimaschutzstrategie, um die von der Union und ihren Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen zur Verminderung der Treibhausgasemissionen umzusetzen. Während der deutschen Präsidentschaft seien konkrete Entscheidungen zu Gemeinschaftsmaßnahmen nötig. Minister Trittin nannte als Beispiele die Schaffung fairer Einspeisebedingungen für Strom aus alternativen Energien oder die Festlegung von Energieeffizienzstandards für eine Vielzahl von Geräten und Anlagen und wies auf die zentrale Rolle des Verkehrs hin. Er forderte die Kommissarin auf, schnellstmöglich die von ihr angekündigte Mitteilung über die gemeinschaftliche Klimastrategie vorzulegen.
Gemeinsam bekräftigten der Minister und die Kommissarin, daß die EU ihre Führungsrolle bei den internationalen Verhandlungen zur Umsetzung der Beschlüsse von Kioto und bei der Abarbeitung des im Buenos Aires beschlossenen Aktionsplans beibehalten müsse.
Umweltpolitisches Programm der deutschen EU-Präsidentschaft
Bundesumweltminister Trittin erläuterte, das umweltpolitische Programm der deutschen Präsidentschaft stehe auf drei Säulen:
- Vorsorge durch Harmonisierung von Umweltschutzanforderungen auf hohem Niveau;
- Stärkung von Bürgerbeteiligung, Transparenz und eigenverantwortlichem Engagement von Bürgern und Unternehmen;
- Integration von Umweltschutzerfordernissen in die anderen Politikfelder der EU.
Harmonisierung von Umweltschutzanforderungen auf hohem Niveau
- Wasser-Rahmenrichtlinie: Hier ist angestrebt, während der deutschen Präsidentschaft zu einer Einigung zwischen Ministerrat und Europäischen Parlament zu kommen. Das Inkrafttreten dieser Richtlinie noch im Jahre 1999 ist für die seit langem überfällige Zusammenfassung und Vereinheitlichung des zersplitterten Gemeinschaftsrechts im Bereich des Gewässerschutzes dringend notwendig.
- Abfallverbrennung: Entscheidungen will Trittin außerdem bei der Harmonisierung der Anforderungen an die Abfallverbrennung erreichen. Angestrebt wird eine einheitliche Regelung für die Verbrennung aller Abfallarten und die Festlegung anspruchsvoller Grenzwerte, insbesondere auch für Anlagen, in denen Abfälle mitverbrannt werden. Die derzeitigen Unterschiede in den Anforderungen zwischen den Mitgliedstaaten sind nicht mehr akzeptabel, da sie nicht nur zu unnötigen Abfalltransporten, sondern auch zu nicht akzeptablen Wettbewerbsverzerrungen führen.
- Emissionsbegrenzungen: Als weitere Harmonisierungsprojekte nannte der Minister die Anpassung der Emissionsbegrenzungen für Großfeuerungsanlagen an den Stand der Technik und die Begrenzung der Emissionen bei schweren Nutzfahrzeugen. Für die LKW strebe er eine Lösung auf der Basis der Vorschläge des Europäischen Parlamentes an, also eine verbindliche 2. Grenzwertstufe, die ab Mitte des nächsten Jahrzehnts den Einsatz moderner Abgasnachbehandlungsanlagen erzwingt.
Stärkung der Bürgerbeteiligung
Kommissarin Bjerregaard zeigte sich erfreut über die Bereitschaft, die deutsche EU-Präsi-dentschaft zu einem Diskussionsforum für Vorschläge zu machen, die auf eine verstärkte Beteiligung von Bürgern an umweltrelevanten Entscheidungen zielen. Dies trage dazu bei, die Transparenz solcher Entscheidungen zu verbessern und das eigenverantwortliche Engagement von Bürgern und Unternehmen im Umweltschutz, u.a. durch konsequente Anwendung des Verursacherprinzips, zu fördern.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Beratung des Vorschlages der Kommission zur Umweltverträglichkeitsprüfung von Plänen und Programmen. Darüber hinaus äußerten beide Seiten die Erwartung daß das Weißbuch der Kommission zur Umwelthaftung im Januar 1999 vorgelegt werde. Minister Trittin betonte, daß Deutschland sich bei diesen Themen in der Vergangenheit durch seine zurückhaltende bis ablehnende Haltung weitgehend isoliert habe. Dies gelte es zu ändern, was nicht bedeute, daß man mit den von der Kommission vorgelegten Vorschlägen ohne weiteres zufrieden sei. Trittin kündigte an, daß er alles daran setzen werde, daß Deutschland der Arhus-Konvention über den Zugang zu Umweltinformation, Bürgerbeteiligung und den Zugang zu Gerichten beitritt, nachdem eine Zeichnung vor Ablauf der Zeichnungsfrist am 21.12.1998 aus Verfahrensgründen nicht mehr zu erreichen sei.
Novellierung der EG-Umwelt-Audit-Verordnung
Als weitere Priorität nannte Minister Trittin die Novellierung der EG-Umwelt-Audit-Verordnung. Dieses Instrument habe sich in den letzten Jahren jedenfalls in Deutschland erstaunlich gut bewährt und bei vielen Unternehmen zur Verbesserung der Umweltleistung und gleichzeitig zu Kosteneinsparungen geführt. Es gelte das umweltpolitische Profil des Instruments weiter zu schär-fen, gleichzeitig die Attraktivität der Teilnahme an dem System für die Unternehmen zu erhöhen und weitere Wirtschaftsbereiche in das EG-System einzubeziehen. Trittin wies auf die vom BMU gemeinsam mit dem BDI ausgerichteten Konferenz hin, die am 19. Januar 1999 in Brüssel unter Beteiligung von Kommissarin Bjerregaard stattfinden wird.
Europäisches Umweltzeichen
Gemeinsam unterstrichen Bundesumweltminister Trittin und Kommissarin Bjerregaard die Bedeutung von verläßlichen Informationen für den Verbraucher über die umwelt- und gesundheitsrele-vanten Eigenschaften von Produkten. Beiden ist es daher ein Anliegen, die überfällige Reform des europäischen Umweltzeichens mit dem Ziel voranzubringen, ein leistungsfähiges europäisches Umweltzeichen zu schaffen, das die vorhandenen nationalen Systeme sinnvoll ergänzt und zu einer schrittweisen Harmonisierung dieser Systeme beiträgt. Außerdem solle baldmöglichst die von der Kommission vorgeschlagene Richtlinie über die Verbrauchskennzeichnung von Kraftfahr-zeugen im Umweltrat verabschiedet werden. Sie soll dafür sorgen, daß der Autokäufer in Europa aussagekräftige und vergleichbare Informationen über den Verbrauch und damit die CO2-Emissionen der am Markt angebotenen Fahrzeugtypen erhält und er seine Kaufentscheidung daran ausrichten kann. Diese Richtlinie gehört zu den wichtigen Maßnahmen, die die Selbstverpflichtung des europäischen Automobilherstellerverbandes ACEA zur Begrenzung der CO2-Emissionen flankieren sollen.
Produktbezogener Umweltschutz
Produktbezogene Umweltschutzanforderungen standen zwar am Anfang der europäischen Umweltpolitik, als Umweltschutzregelungen der Gemeinschaft mangels eigenständiger Rechtsgrund-lage noch ausschließlich auf die Binnenmarktkompetenz der Gemeinschaft gestützt werden mußten. Dennoch gibt es bis heute keinen systematischen produktbezogenen Umweltschutz auf EG-Ebene. Erst in jüngster Zeit wird auf europäischer Ebene über Ansätze diskutiert, die die mit der Herstellung, der Verteilung, dem Ge- bzw. Verbrauch und der Entsorgung von Produkten und Dienstleistungen verbundenen umweltrelevanten Aspekte insgesamt in den Blick nehmen. In der kommenden Woche veranstaltet die Kommission hierzu in Brüssel eine Konferenz, die auf reges Interesse gestoßen ist. Bundesumweltminister Trittin kündigte an, dieses Thema zum Gegenstand eines informellen Umweltministerrates machen.
Umweltschutz als Querschnittsaufgabe der Gemeinschaftspolitik
Mit dem in wenigen Monaten in Kraft tretenden Amsterdamer Vertrag wird die Verpflichtung zur Berücksichtigung der Erfordernisse des Umweltschutzes und einer nachhaltigen Entwicklung bei der Formulierung und Durchführung der anderen Gemeinschaftspolitiken verstärkt. Dies hat der Europäische Rat schon bei seiner Tagung in Cardiff im Juni 1998 zum Anlaß genommen, alle relevanten Formationen des Ministerrates aufzufordern, ihre Strategien zur Umsetzung dieser Verpflichtung zu entwickeln und dem Europäischen Rat darüber zu berichten. Bei dem in wenigen Tagen in Wien stattfindenden Europäischen Rat wird das Thema erneut auf der Tagesordnung stehen. Dabei soll auch festgelegt werden wird, welchen Politikbereichen sich die deutsche Präsidentschaft besonders widmen wird.
Handel und Umwelt und die internationale Agenda
Minister Trittin und Kommissarin Bjerregaard waren sich einig, daß die unter dem britischen und österreichischen Vorsitz begonnenen Initiativen in den Bereichen Energie, Verkehr und Landwirtschaft mit dem Ziel der weiteren Konkretisierung und baldigen Umsetzung von Maßnahmen fortgeführt werden müssen. Minister Trittin erläuterte, daß außerdem in Verbindung mit dem zentralen Thema der Harmonisierung der Energiebesteuerung daran gedacht sei, eine Debatte im für Wirtschafts- und Finanzpolitik zuständigen ECOFIN-Rat über die notwendigen Rahmenbedingungen für eine ökologische Modernisierung der Wirtschaft in Europa anzustoßen. Mit Blick auf die bevorstehende Reform der gemeinsamen Fischereipolitik sei geplant, in einer erstmals eingesetzten gemeinsamen Arbeitsgruppe von Umwelt- und Fischereirat mit der Erarbeitung von Lösungen für eine umweltverträgliche, sowohl die Fischbestände als auch die maritime Artenvielfalt nachhaltig sichernde und trotzdem leistungsfähige Fischerei in der Europäischen Union zu beginnen.
Die Europäische Union hat sich in den letzten Jahren immer wieder als Schrittmacher in der internationalen Umweltpolitik erwiesen. Auch unter deutscher Präsidentschaft stehen eine Reihe internationaler Verhandlungen oder die Vorbereitung wichtiger Verhandlungsrunden an. (u.a. Sondervertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention zur Verabschiedung des Protokolls über biologische Sicherheit, die 7. Sitzung der VN- Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD), die Verhandlungsrunden zu einem globalen Abkommen über persistente organische Schadstoffe (POP), die Verhandlungen der Nebenorgane der Klimarahmenkonvention im Juni in Bonn zur Vorbereitung der nächsten Vertragsstaatenkonferenz).
Bundesumweltminister Trittin und Kommissarin Bjerregaard betonten einmütig, daß die Union treibende Kraft bei der schrittweisen Schaffung eines internationalen Umweltordnungsrahmens bleiben müsse. Ein solcher Ordnungsrahmen sei dringend notwendig, um die negativen ökologischen Folgen der Globalisierung der Wirtschaft zu verhindern oder zumindest zu begrenzen. Gleichzeitig gelte es die möglichen positiven Effekte einer hochintegrierten Weltwirtschaft im Hinblick auf einen effizienteren Umgang mit den natürlichen Ressourcen und den Technologietransfer zu fördern. Dieser Ordnungsrahmen wird sich auch daran messen lassen müssen, ob es gelingt, die für viele Umweltschäden ursächliche Armut in den Entwicklungsländern wirksam zu bekämpfen. Neben Fortschritten bei den globalen und regionalen Umweltschutzabkommen komme es daher vor allem darauf an, die Spielregeln der Weltwirtschaft auf das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung auszurichten. Während der deutschen Präsidentschaft werde daher in der Union vor allem auch unter diesem Gesichtspunkt die kommende Welthandelsrunde intensiv vorzubereiten sein.
Nukleare Sicherheit und EU-Erweiterung
Minister Trittin und Kommissarin Bjerregaard stimmten darin überein, daß die nukleare Sicherheit ein wichtiges Element der Beitrittsverhandlung ist. Dies erfordert die Festlegung von angemessenen Sicherheitsstandards, an denen die Kommission derzeit arbeitet.