Trittin: Bund setzt einer Stillegung aus Sicherheitsgründen keine politischen Hindernisse entgegen
Das Bundesumweltministerium hat zehn bundesaufsichtliche Weisungen an die Hessische Landesregierung zum Atomkraftwerk Biblis A aufgehoben. Mit den Weisungen war das Hessische Umweltministerium seit 1994 daran gehindert worden, dem Betreiber des AKW Biblis A eine Stillegungsverfügung zuzustellen. "Die Rücknahme dieser Weisungen bedeutet keine Anweisung, Biblis A zu schließen. Aber wir werden eine Stillegung nicht politisch verhindern, wenn sie sicherheitstechnisch begründet ist", erklärte Bundesumweltminister Jürgen Trittin heute in Salzgitter, wo er den neuen Präsidenten des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, in sein Amt einführte.
Der 1974 in Betrieb genommene Block A des Atomkraftwerks Biblis ist einer der drei ältesten Reaktoren der Republik und weist erhebliche technische Defizite auf. Nach einer Havarie im Sekundärkreislauf des 1.100-MW-Reaktors hatte 1991 der damalige hessische Umweltminister Weimar (CDU) der Betreiberfirma RWE ein umfassendes Nachrüstungspaket verordnet, um die Anlage technisch zu verbessern. Dabei ging es unter anderem um Vorsorge gegen Erdbebenschäden, neue Absperrventile und besseren Brandschutz in der Schaltzentrale. Diese Auflagen sind bis heute zum größten Teil nicht umgesetzt. Erst vor wenigen Tagen war in der Anlage, die zur Zeit zur planmäßigen Revision abgeschaltet ist, bei Schweißarbeiten ein Schwelbrand entstanden.
Das Bundesumweltministerium begründet die Rücknahme der Weisungen in einem Schreiben an das Hessische Umweltministerium mit dem Ergebnis einer erneuten Prüfung der Sach- und Rechtslage. Danach sei die Aufrechterhaltung der Weisungen "weder rechtlich geboten noch zweckmäßig". Entgegen der bisher vom BMU vertretenen Auffassung bewege sich die Landesregierung grundsätzlich im Einklang mit der bestehenden Rechtslage, wenn sie beabsichtige, Biblis A aus Sicherheitsgründen stillzulegen.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, so das BMU weiter, habe das im Atomgesetz verankerte Schutzziel Vorrang vor dem Förderzweck. "Der bundeseinheitliche Vollzug des Atomgesetzes muß deshalb insbesondere sicherstellen, daß das Schutzziel durch die Länder eingehalten wird. Der Bund hat deshalb entsprechend seinem verfassungsgemäßen Auftrag dafür zu sorgen, daß in den Ländern Mindeststandards der erforderlichen Schadensvorsorge nicht unterschritten werden." Die Weisungen des Bundes hätten jedoch den gegenteiligen Zweck gehabt, den von der hessischen Atomaufsicht zugrunde gelegten Vorsorgemaßstab zu senken.
Weiter heißt es in der Begründung des Bundesumweltministeriums, die von der hessischen Atomaufsicht seinerzeit geplanten und durch die früheren Bundesregierungen blockierten Maßnahmen zur Stillegeung des AKW hätten bei objektiver Betrachtungsweise dem Grundrechtsschutz der betroffenen Bürger gedient. Sie seien in Anbetracht der von der Atomaufsicht festgestellten erheblichen Sicherheitsdefizite kein unzulässiger Eingriff in geschützte Rechtspositionen der Betreiber.