Zum gestern ergangenen EUGH-Urteil zu europäischen Fluggastrechten äußert sich Bundesverbraucherschutzministerin Steffi Lemke wie folgt:
"Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs stellt klar, dass die europäischen Fluggastrechte auch im Fall von kurzfristigen Vorverlegungen von Flügen gelten. Verfrühte Abflüge sind für Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nur ärgerlich, sondern führen häufig auch zu erheblichen Umplanungen oder zu zusätzlichen Kosten. Daher müssen Verbraucherinnen und Verbraucher bei kurzfristigen und erheblichen Änderungen der Abflugzeiten entschädigt werden – egal ob es sich um Verspätungen oder Vorverlegungen von Flügen handelt. Fluggesellschaften können die Entschädigungszahlungen vermeiden, indem sie rechtzeitig informieren."
Folgende fachliche Einschätzung zu diesem Urteil:
Der EuGH hat sich gestern mit mehreren Vorlagefragen des Landesgerichts Korneuburg in Österreich und des Landgerichts Düsseldorf beschäftigt und hat dabei die Fluggastrechte-Verordnung (VO (EG) Nr. 261/2004) erfreulicherweise in einem verbraucherfreundlichen Sinne ausgelegt. Die Auswertung der umfangreichen Urteilsbegründungen dauert zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch an. Die Entscheidung ist aus Sicht des Verbraucherschutzes aber schon jetzt sehr zu begrüßen. Denn sie stärkt die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher und schafft die notwendige Klarheit und Rechtssicherheit bei der Durchsetzung ihrer Ansprüchen gegen die Luftfahrtunternehmen.
Im Einzelnen:
Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass der Begriff "Annullierung" dahin auszulegen ist, dass er auch die Situation umfasst, in der ein Flug in erheblichem Maß vorverlegt wird. Für die Beurteilung, ob eine Flugvorverlegung in diesem Sinne erheblich ist, komme es darauf an, ob sie mehr als eine Stunde beträgt oder geringer ist. Diese Auslegung ist aus verbraucherpolitischer Sicht zu begrüßen, weil eine Vorverlegung ebenso wie eine große Verspätung, für die ein Ausgleichsanspruch unstreitig ist, für die Fluggäste zu schwerwiegenden Unannehmlichkeiten führen kann. Verbraucher müssen jedoch nicht fürchten, nun bei einer Annullierung in Form einer erheblichen Vorverlegung ohne Flugbuchung dazustehen. Der Gerichtshof hat auch hier ihre Rechte gestärkt und die Fluggastrechte-Verordnung dahingehend ausgelegt, dass die vor Reisebeginn an den Fluggast gerichtete Mitteilung über die Vorverlegung des Fluges ein Angebot einer anderweitigen Beförderung im Sinne der letztgenannten Bestimmung darstellen kann. Diese Auslegung wird erfreulicherweise flankiert durch die Auffassung des Gerichtshofs, wonach das Luftfahrtunternehmen als Ausgleichsanspruch stets den Gesamtbetrag (der nach Entfernung gestaffelt ist) zu zahlen hat. Das Luftfahrtunternehmen kann die Ausgleichszahlung zudem nicht um 50% kürzen, indem es auf darauf verweist, dem Fluggast eine anderweitige Beförderung angeboten zu haben, mit der er sein Endziel ohne Verspätung erreichen könne. Zudem hat der Gerichtshof klargestellt, dass das Luftfahrtunternehmen den Fluggast über die Voraussetzungen für die Geltendmachung einer Ausgleichszahlung informieren muss. Auch dadurch wurden die Verbraucher in der Durchsetzung ihrer Rechte gestärkt.
Gestärkt wurden in diesem Zusammenhang auch die Rechte von Verbrauchern, die direkte Vertragsbeziehungen nur zu einem Reiseunternehmen, nicht aber zum Luftfahrtunternehmen selbst, haben. Nach der Fluggastrechte-Verordnung ist eine "bestätigte Buchung" unerlässliche Voraussetzung für die Inanspruchnahme der in der Verordnung vorgesehenen Rechte. Nach Auffassung des Gerichtshofs muss der Fluggast dafür aber nicht im Besitz eines Flugscheins sein, vielmehr genügt es, wenn er von dem Reiseunternehmen einen anderen Beleg erhalten hat, durch den ihm die Beförderung auf einem bestimmten, durch Abflug- und Ankunftsort, Abflug- und Ankunftszeit und Flugnummer individualisierten Flug versprochen wird. Sehr positiv ist in diesem Zusammenhang auch die Auslegung des Gerichtshofs zu bewerten, dass die Beziehungen zwischen dem Reiseunternehmen und dem Luftfahrtunternehmen keine Auswirkungen auf die Rechte der Verbraucher haben. So ist es für den Fluggast unerheblich, ob das Reiseunternehmen von dem Luftfahrtunternehmen eines Bestätigung der Abflug- und Ankunftszeit erhalten hat. Ebenso wenig spielt es für die Rechte des Fluggastes eine Rolle, ob das Reiseunternehmen bei dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich eine Buchung für den Fluggast vorgenommen hat. Der Gerichtshof stellt insoweit klar, dass es Sache des Luftfahrtunternehmens ist, etwaige Regressansprüche gegen das Reiseunternehmen zu erheben. Damit sind die Rechte des Verbrauchers gegenüber dem Luftfahrtunternehmen deutlich gestärkt worden.