Klimapolitik: "Es laufen intensive Gespräche auf allen Ebenen"

11.03.2023
Bundesministerin Steffi Lemke
Im Interview mit der Frankfurter Allgemeine spricht Steffi Lemke über das Klimaanpassungsgesetz, das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz und die Wiedervernässung von Mooren sowie die Naturkatastrophe in der Oder.

Frankfurter Rundschau: Frau Lemke, seit Monaten streiten sich FDP und Grüne über Straßenneubau, Biosprit, Gasheizungen und über Verbrennungsmotoren. Nun sollen Sie beim geselligen Abend nach der Kabinettsklausur gezielt neben Verkehrsminister Wissing platziert worden sein, um sich anzunähern. Mit welchen Tricks haben Sie ihn bearbeitet?

Steffi Lemke: Wir hatten in der Tat ein angenehmes Abendessen, bei dem wir an einem größeren Tisch nebeneinander saßen. Aber dazu hatten wir beide uns verabredet – platziert hat uns da niemand. Wir schätzen einander und verstehen uns auf persönlicher Ebene sehr gut.

Nur dienstlich gilt das nicht. Oder sind Sie bei Ihren Streitthemen beim Rotwein weitergekommen?

Auf der Regierungsklausur ging es vor allem um die großen Herausforderungen im Umgang mit dem russischen Angriffskrieg, die geopolitischen Konsequenzen und wirtschaftlichen Folgen. Die aktuellen konkreten Streitpunkte waren nicht Gegenstand unseres Gesprächs.

Die FDP trommelt immer schriller für neue Verbrennungsmotoren auch nach 2035, für gelockerten Umweltschutz beim Autobahnbau, für unbegrenztes Verheizen von Öl und Gas, gegen Tempolimits. Nehmen die Liberalen Klima- und Umweltschutz überhaupt ernst?

Die Frage zum Klima- und Umweltschutz müssen Sie der FDP selbst stellen. Wir haben im Koalitionsvertrag als drei Parteien klare Ziele beschlossen: für den Klimaschutz, aber auch für andere wichtige Reformvorhaben in Gesellschaft und Wirtschaft. Jede Partei hat ihre Schwerpunkte. Für die Grünen hat das Bewahren unserer natürlichen Lebensgrundlagen einen besonderen Stellenwert. Und sicherlich hat die FDP eigene Schwerpunkte definiert.

Das war sehr diplomatisch. Aber sowohl beim Verbot neuer Gasheizungen wie von Verbrennungsmotoren gab es längst Ampel-Kompromisse. Dass die FDP davon abrückt – offenbar in Panik nach verlorenen Landtagswahlen – bringt die ganze Regierung in Not: Beim Verbrenner-Verbot droht sie sogar, auf EU-Ebene ihr Wort zu brechen.

Wir haben auf EU-Ebene zwischen Ministerrat, Parlament und Kommission eine klare Vereinbarung getroffen. Neuwagen sollen ab 2035 keine Emissionen mehr ausstoßen, so sieht es die Neuregelung der so genannten CO2-Flottengrenzwerte vor. Wir führen nun in der Bundesregierung und mit der EU-Kommission Gespräche, wie die Bedenken meines Kollegen Volker Wissing hinsichtlich des Einsatzes von E-Fuels mit einer guten Lösung ausgeräumt werden können.

Die FDP will eine Garantie, dass auch nach 2035 Neuwagen mit E-Fuels laufen dürfen – damit es keine politische Vorfestlegung auf E-Autos gibt.

Wie gesagt: Es laufen intensive Gespräche auf allen Ebenen, um eine gute Lösung zu finden. Mir sind drei Punkte wichtig: Deutschland sollte auf europäischer Ebene verlässlich agieren und zu seinen Zusagen stehen. Die Neuregelung der CO2-Flottengrenzwerte ist ein großer Fortschritt für den europäischen Klimaschutz – wir dürfen sie nicht in letzter Minute gefährden. Und die Automobilindustrie braucht Planungssicherheit, damit Arbeitsplätze erhalten und geschaffen werden können.

Ende März soll das Kabinett Ihr "Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz" beschließen. Auf welche Folgen des Klimawandels muss sich Deutschland einstellen?

Die Auswirkungen der Klimakrise spüren wir seit einigen Jahren auch in Deutschland. Es kommt zu Dürren, Hitzeperioden und verstärkten Hochwasserereignissen. Wir müssen mit Wasser in unserer Landschaft sorgsam umgehen, Meeresschutz betreiben und die Ökosysteme so funktionsfähig und stabil halten, dass sie uns vor der Klimakrise schützen. Dafür treffen wir mit dem Aktionsprogramm Vorsorge. Die Ökosysteme sind unsere Versicherung für die Folgen der Klimakrise.

Laut einer neuen Studie, unter anderem von Ihrem Haus in Auftrag gegeben, könnten die Klimawandelkosten bis zu 910 Milliarden Euro betragen. Wann muss das Land gegen die Klimawandel-Folgen gewappnet sein, um das zu verhindern?

Das ist ein längerer Prozess, den wir jetzt mit einer vorsorgenden Anpassungsstrategie auf konkrete Ziele ausrichten. Eine einzelne Jahreszahl lässt sich da nicht nennen, aber klar ist: Die Städte und Gemeinden müssen sich an die Folgen der Klimakrise anpassen, zum Beispiel mit Hitzeaktionsplänen Vorsorge für besonders empfindliche Bevölkerungsgruppen treffen. Das Bundesumweltministerium hat als Unterstützung dafür Handlungsempfehlungen herausgegeben und fördert konkrete Maßnahmen in sozialen Einrichtungen. Genau wie Verkehrs- und Schulplanung muss die Frage, wie wir uns besser auf Hitze, Dürre und Hochwasser vorbereiten, eine normale politische Aufgabe werden.

Wenn man sich Bauprojekte und Innenstädte ansieht, hat man den Eindruck, dass das noch nicht alle Städte begriffen haben. Muss der Bund dafür verbindliche Vorgaben machen?

Wir werden in diesem Jahr ein Klimaanpassungsgesetz auf den Weg bringen. Aktuell klären wir die Frage, inwieweit der Bund darin solche Rahmenbedingungen vorgeben sollte. Mit dem "Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz" wollen wir jetzt schnellstmöglich die Wiedervernässung etwa von Mooren beginnen, damit sie CO2 speichern können. Es braucht jedoch Zeit, bis die Infrastruktur natürlich angepasst werden kann, um das Wasser in den Boden zu bringen und dort zu halten.

Im vorigen Sommer sind im deutsch-polnischen Grenzfluss Oder Hunderte Tonnen Fische verendet. Laut eines Greenpeace-Gutachtens sind daran zwei polnische Kohlekonzerne Schuld, deren Salzeinleitungen massiv über den zulässigen Grenzwerten lagen. Greenpeace sagt, die polnischen Behörden schauen weg. Erwarten Sie, dass Polen die Verdächtigen juristisch verfolgt?

Wir gehen davon aus, dass zur Aufklärung der Ursachen des massiven Fischsterbens weitere Ermittlungen auf polnischer Seite durchgeführt werden. Inwiefern der Greenpeace-Report weitere Erkenntnisse bietet, müssen die polnischen Behörden bewerten.

Sie klingen nicht sehr überzeugt, dass es zu einer offiziellen Aufklärung kommt. Deckt sich der Report mit den Erkenntnissen der Expertengruppe, die Sie mit eingesetzt haben?

Wir hatten in der deutsch-polnischen Expertengruppe einen guten Austausch und haben untersucht, wie sich der Salzgehalt auf das Wasser ausgewirkt hat. Woher die Salzeinleitungen stammten, war nicht Teil unserer Arbeit. Das hätte Polen auch nicht akzeptiert. Ich bin aber weiterhin im regelmäßigen Kontakt mit meiner polnischen Amtskollegin.

Inwiefern konnten sich die Fischbestände in den vergangenen Monaten erholen?

Wir fördern aktuell ein Projekt des Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei, das untersucht, welcher Schaden entstanden ist und ob und wie sich die Bestände regenerieren. In einigen Monaten werden wir dazu vermutlich ein besseres Bild haben. Aber was wir jetzt schon wissen: Das Ökosystem ist schwer geschädigt. Es ist möglich, dass das Ökosystem lange Zeit für die Regeneration benötigen wird. Eine erneute schwere Schädigung wäre daher fatal.

Halten Sie ein weiteres massives Fischsterben in der Oder im Sommer wieder für möglich?

Ja, ich bin sehr besorgt, dass sich die Naturkatastrophe in der Oder in diesem Sommer wiederholen könnte. Die Salzeinleitungen können erneut ein explosives Algenwachstum auslösen, so dass die Fische verenden. Im Ministerium arbeiten wir weiterhin eng mit allen Akteuren zusammen, insbesondere mit den zuständigen Bundesländern und mit Polen, um Entwicklungen in der Oder frühzeitig zu erkennen, bevor es erneut zu einem Fischsterben kommt. Wir müssen alles daran setzen, ein Fischsterben in der Oder im kommenden Sommer und in den Sommern danach zu verhindern.

Informationen

Natürlicher Klimaschutz

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11.03.2023 | Medienbeitrag Klimaanpassung
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