– Es gilt das gesprochene Wort –
Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir beraten heute die 19. Änderung des Atomgesetzes. Ich muss ehrlich sagen: Lieber wäre es mir, wenn diese Änderung des Atomgesetzes nicht erforderlich wäre.
Deutschland hat sich aus sehr guten Gründen entschlossen, aus der Atomkraft auszusteigen. Heute beraten wir darüber, dass wir den Atomausstieg angesichts der sehr schwierigen Lage auf dem Energiemarkt um dreieinhalb Monate nach hinten verschieben.
Wir sind dazu gezwungen, weil Russland in seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine versucht, mit seiner fossilen Erpressung die Unterstützung des demokratischen Europa für den ukrainischen Freiheitskampf zu schwächen. Und weil das Abwürgen der Energiewende und der verhängnisvolle Pakt mit dem billigen Gas in 16 Jahren unionsgeführter Bundesregierungen zu dieser fossilen Erpressbarkeit geführt haben.
Ich sage dazu ganz klar: Wir lassen uns nicht erpressen! Atomkraft kann jetzt einen Beitrag dazu liefern, besser über den jetzt anstehenden Winter zu kommen. Einen kleinen Beitrag! Nicht mehr, nicht weniger.
Gleichwohl wäre es absolut fahrlässig, in dieser Situation auf diesen Beitrag leichtfertig zu verzichten. Mit dem vorliegenden 19. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes dürfen drei Atomkraftwerke in Deutschland über den 31.12.2022 hinaus bis spätestens zum 15. April 2023 Elektrizität erzeugen.
Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf macht andererseits aber auch deutlich: Es muss beim Atomausstieg bleiben!
Atomenergie ist und bleibt gefährlich. Ja, nichts ist ohne Risiko. Aber: Bei der Atomkraft wären die Folgen eines Unfalls oder gar eines Angriffs so verheerend, dass wir gerade jetzt aussteigen müssen.
Der Deutsche Bundestag hat 2011 abgewogen und beschlossen, dass dieses Restrisiko der Atomkraftnutzung noch bis zum 31.12.2022 zu vertreten ist. Das war eine Bundesregierung geführt von CDU/CSU und FDP. Die nötige Abwägung zwischen Versorgungssicherheit der Bevölkerung mit Energie und den Risiken für den Schutz der körperlichen Unversehrtheit unserer Bevölkerung ist - gerade im Vergleich zu diesem Ausstiegsbeschluss von 2011 – jetzt noch viel klarer.
- Atomkraftwerke sind 2022 erstmals zum Ziel eines Krieges geworden. Sie werden beschossen, sie werden besetzt und sie werden vom Stromnetz gekappt.
- Und wir erleben Angriffe und Sabotageakte auf die Energieinfrastruktur in Europa.
Deshalb ist es natürlich richtig, dass die Bundesregierung, dass die Koalition in ihrer Abwägung zu dem Ergebnis kommt, dass wir zwar drei Kraftwerke noch einige Wochen länger laufen lassen, um möglichst sicher durch den Winter zu kommen, dass aber vor allem mit dieser Gesetzesnovelle klargestellt wird, dass es beim Atomausstieg in Deutschland bleibt. Punkt.
Und um das vorwegzunehmen: Es wäre natürlich aus den genannten Gründen falsch, die AKW einfach weiterlaufen zu lassen, auch "nur" über den Winter 2023/24 hinaus.
Der preisdämpfende Aspekt bei einer Laufzeitverlängerung wäre, wenn überhaupt, sehr überschaubar. Bereits die technische Realisierbarkeit zweifelhaft, Fragen der Sicherheit ohne Sicherheitsrabatt kaum zu beantworten. Grundlegende Aspekte der Haftung, grundlegende Aspekte der Rolle des Staates müssten neu verhandelt werden. Nicht zuletzt die Betreiber haben ihre Skepsis zu Protokoll gegeben.
Deshalb, meine Damen und Herren von der CDU/CSU: Ihr Werben für eine echte Laufzeitverlängerung wäre glaubwürdiger, wenn Sie nicht bereits vor dem Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine genau diese Debatte begonnen hätten. Vor dem Angriffskrieg. Mit Ihren "Atomträumen" versuchen Sie tatsächlich eine Entscheidung, die Sie unter der von Frau Merkel geführten Bundesregierung getroffen haben und die Teile von Ihnen nie verschmerzt haben, jetzt in dieser Situation, wo unser Land vor einer Krise steht, vor einer potenziellen Krise steht, diesen Schmerz doch noch verarbeiten. In dieser Situation heizen Sie jetzt diese Debatte erneut an, nachdem Sie uns, unserem Land und der Sicherheit in unserem Land mit Ihrer damaligen Abkehr vom Atomausstieg und wenige Monate später dem Ausstieg vom Ausstieg einen Bärendienst erwiesen haben. Ich halte das für verantwortungslos.
Die Abhängigkeit Europas und der ganzen Welt von russischem und kasachischem Uran ist nicht minder ausgeprägt als die von Gas, von der Abhängigkeit russischer Atomtechnologie ganz zu schweigen. Und wir sehen mit Bedauern, wie unsere osteuropäischen Nachbarn versuchen müssen, sich dem Klammergriff von Rosatom zu entwinden. Und dass es Gründe hat, dass die nukleare Versorgung immer noch nicht vom europäischen Sanktionsregime erfasst ist.
Dazu kommt noch die Endlagerfrage: dass wir Generationen unserer Kinder, Enkel und Urenkel den Atommüll überlassen. Bisher befindet sich ja weltweit noch kein einziges Endlager im Betrieb.
All diese Probleme, all diese völlig ungelösten Fragen und vor allem eine notwendige neue Sicherheitsbewertung der Atomkraft nach dem Angriffskrieg Russlands, der Atomkraftwerke in der Ukraine mit erfasst hat, führen dazu: Wir bleiben beim Atomausstieg. Atomkraft ist nicht die Zukunft, sondern die Vergangenheit, und deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Vielen Dank.