Keine Abfallexperimente auf dem Rücken der Gebührenzahler - Zügige Umsetzung der TA Siedlungsabfall verhindert Altlasten von morgen
"Die Abfallpolitik der Bundesregierung hat die alte Rollenverteilung abgelöst, nach der die Wirtschaft produziert und die Kommunen auf Kosten der Allgemeinheit die dabei entstehenden Abfälle zu entsorgen haben. Der Einstieg in die Kreislaufwirtschaft hat zu einer erheblichen Abfallvermeidung, zu einer verstärkten Abfallverwertung und damit insgesamt zu einem deutlichen Rückgang von Abfällen geführt. Trotzdem sind Schwierigkeiten aufgetreten, weil immer noch in den alten kommunalen Grenzen gedacht und gehandelt wurde. Diese Kleinstaaterei muß ein Ende haben. Städte und Landkreise müssen lernen, zusammen zu arbeiten und für die Bürger günstige Lösungen anzubieten. Überall dort, wo dies bereits gelungen ist, bleiben auch die Gebühren in verantwortbarer Höhe. Einige Länder führen jedoch kostspielige Experimente auf dem Rücken der Gebührenzahler durch. Wer, statt vorhandene Müllverbrennungsanlagen auszulasten, daneben sogar noch aufwendige mechanisch-biologische Behandlungsanlagen setzt, macht sich schuldig an der kommunalen Gebührenlawine. Außerdem wird die geltende Technische Anleitung Siedlungsabfall unterlaufen, da die zum Schutz der Umwelt gesetzten Grenzwerte auf diese Weise nicht eingehalten werden können." Dies erklärte Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel heute in Bonn. Die Bundesregierung hatte mit Zustimmung des Bundesrates die TA Siedlungsabfall erlassen, die am 1. Juni 1993 in Kraft getreten ist. Ziel der Verwaltungsvorschrift ist insbesondere, die Ablagerung der Restabfälle umweltverträglich zu gestalten. Abfälle müssen weitgehend mineralisiert (d.h. "inhärent sicher") sein, bevor sie in Deponien abgelagert werden dürfen. Damit wird sichergestellt, daß nach der Ablagerung keine biologischen Abbauprozesse stattfinden können. Andernfalls entstehen über Jahrzehnte hinweg schädliche Deponiegase und Sickerwässer. Die Deponie kann damit zu einer Altlast werden. Die Anforderungen an die abzulagernden Abfälle lassen sich nach dem Stand der Technik nur beim Einsatz thermischer Behandlungsverfahren (z. B. Abfallverbrennung) erfüllen, für die ebenfalls strenge Anforderung gelten.
Der Bundesrat hatte seine Zustimmung zur TA Siedlungsabfall von einer Übergangsfrist bis 2005 abhängig gemacht. Diese Übergangsfrist wird nun von den Gebietskörperschaften ausgenutzt, die noch über größere freie Kapazitäten bei Deponien nach altem Standard verfügen. Andere Gemeinden und Kreise haben sich dagegen frühzeitig auf die neuen Standards der TA Siedlungsabfall eingestellt und Verbrennungsanlagen zur thermischen Vorbehandlung errichtet. Diese Anlagen sind vielfach nicht ausgelastet, weil einerseits die Müllmengen rückläufig sind und andererseits alte Deponien zum Teil zu Dumpingpreisen verfüllt werden.
Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel: "Diese Situation ist für das regional sehr unterschiedliche Gebührenniveau mit verantwortlich. Eine Kostendämpfung verlangt deshalb nach mehr Kooperation. Ein gutes Beispiel ist hierfür die Entscheidung Mecklenburg-Vorpommerns, den Bau von Müllverbrennungsanlagen auf zwei Standorte im Land zu beschränken. Die angestrebte Verbundlösung ist besonders wirtschaftlich, weil sie die vorzuhaltende Reservekapazität für jede Anlage reduziert und so schwankende Abfallmengen in dem einen oder anderen Gebiet besser ausgeglichen werden können."
Gutachten bestätigt rechtliche Verbindlichkeit der TA Siedlungsabfall
Um die rechtlichen Kontroversen über die Verbindlichkeit der TA Siedlungsabfall zu beenden, hatte das Bundesumweltministerium Professor Dr. Hans D. Jarass (Lehrstuhl für deutsches und europäisches Öffentliches Recht und Direktor des Instituts für Umwelt- und Planungsrecht der Universität Münster sowie Direktor des Zentralinstituts für Raumplanung Münster) beauftragt, ein Rechtsgutachten über Anwendungsbereich und Bindungswirkung der TA Siedlungsabfall zu erstellen.
Das Gutachten setzt sich umfassend mit allen Rechtsfragen der TA Siedlungsabfall auseinander. Es kommt zu dem Ergebnis, daß die TA Siedlungsabfall als sogenannte "normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift" nicht nur die Länderbehörden bindet, sondern auch von den Gerichten zu beachten ist. Die TA Siedlungsabfall entspricht in vollem Umfang EG-rechtlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben. Sie gilt insbesondere auch unter der neuen Rechtslage des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes fort. Ihre Aussagen entsprechen nach wie vor dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Das Gutachten setzt sich darüber hinaus mit speziellen Regelungen auseinander, die in einigen Ländern überstrapaziert werden, um den Anforderungen der TA Siedlungsabfall zu entgehen:
- So sind z. B. in Niedersachen drei Deponien als "Versuchsanlage" genehmigt - und auch in Schleswig-Holstein ist dies beabsichtigt -, da sie dann die Anforderungen der TA Siedlungsabfall nicht erfüllen müssen. - Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, daß Versuchsanlagen eindeutig durch den Versuchscharakter der Ablagerungsverfahren geprägt sein müssen und nur in einer Größe und für eine Dauer (in der Regel etwa zwei Jahre) betrieben werden dürfen, die durch den Versuchszweck gerechtfertigt ist. Danach sind Deponien dann keine Versuchsanlage mehr, wenn das gleiche Verfahren bereits an einem anderen Ort in Deutschland oder in Europa erprobt worden ist oder zeitgleich erprobt wird.
- Einige Länder, z. B. Niedersachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen, beabsichtigen überdies, in größerem Umfang von der Ausnahmevorschrift der Nummer 2.4 der TA Siedlungsabfall Gebrauch zu machen. Danach können Ausnahmen von den Regelanforderungen gestattet werden, wenn auf andere Weise die umweltverträgliche Abfallbeseitigung sichergestellt ist und die Einhaltung des mit der TA Siedlungsabfall vorgegebenen Schutzniveaus gewährleistet ist. Diese Klausel wird teilweise uferlos ausgelegt und soll insbesondere als Rechtfertigung für die Ablagerung von lediglich mechanisch-biologisch behandelten Abfällen über das Jahr 2005 hinaus herangezogen werden. Stadt und Landkreis Hannover wollen dadurch die Uraltdeponie Altwarmbüchen bis zum Jahr 2020 mit nicht TA Si-gerechten Abfällen beschicken. Ähnliches ist auf der Altdeponie Lübben in Brandenburg beabsichtigt. Das Gutachten stellt klar, daß der Anwendung dieser Ausnahmeregelung enge Grenzen gesetzt sind. Die Vorschrift darf nur in ungewöhnlichen Ausnahmefällen, keineswegs aber generell und flächendeckend herangezogen werden, da sonst die TA Siedlungsabfall ausgehebelt würde. Darüber hinaus muß dafür die Gleichwertigkeit mit der von der TA Siedlungsabfall geforderten Langzeitsicherheit der Deponie nachgewiesen werden. Ungewißheiten und Zweifel gehen dabei stets zu Lasten desjenigen, der die Ausnahmen beansprucht. Nach diesen Maßstäben ist die Gleichwertigkeit der Beschaffenheit abzulagernder Abfälle nach einer lediglich mechanisch-biologischen Behandlung nicht gegeben, da Schadstoffe nicht eliminiert, Abbaureaktionen in der Deponie nicht auf Dauer gestoppt und der Bedarf für neue Deponieflächen nicht entscheidend reduziert werden.
- Auch die Übergangsvorschrift der Nummer 12 der TA Siedlungsabfall, wonach bei fehlender Behandlungskapazität die Anforderungen an die abzulagernden Abfälle bis spätestens zum 01.06.2005 einzuhalten sind, wird von einigen Ländern überstrapaziert. Das Gutachten bestätigt, daß dabei auch freie Kapazitäten in benachbarten Regionen zu nutzen sind, so daß in vielen Fällen die Übergangsvorschrift zu Unrecht beansprucht wird.
Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel: "Das Gutachten belegt, daß an den Pflichten der Länder kein Zweifel bestehen kann. Mit der TA Siedlungsabfall werden zukünftige Altlasten vermieden, für die künftige Generationen sonst einen hohen Preis zahlen werden - ökologisch und ökonomisch. Dies gilt es zu verhindern."
Gebührendämpfung bei der Abfallentsorgung ist möglich
Um die Länder und Kommunen zu unterstützen, hat das Bundesumweltministerium drei Forschungsvorhaben zum Thema Abfallgebühren vergeben. Zwei dieser Vorhaben, die bereits vorliegen, beschäftigen sich mit einer bundesweiten Analyse der Kostenstruktur in der kommunalen Abfallentsorgung sowie mit den Auswirkungen des Einsatzes bestimmter Abfallentsorgungsverfahren auf die Abfallgebühren. Ein drittes Vorhaben, das im Sommer fertiggestellt wird, hat die Erarbeitung einer Mustergebührenkalkulation zum Gegenstand.
Eine wesentliche Aussage der vorliegenden Gutachten besteht darin, daß eine Gebührendämpfung im Abfallbereich möglich ist. So fallen die Gebühren in verschiedenen Regionen außerordentlich unterschiedlich aus: Zum Teil bestehen Unterschiede in der Höhe von einem Faktor 10 und mehr, ohne daß dies durch entsprechende Unterschiede in den Umweltstandards oder den Entsorgungsleistungen erklärbar wäre. Offenbar sind für die entstehenden Kosten und die kalkulierten Gebühren nicht so sehr der technische Standard ausschlaggebend, sondern die Art und Weise, wie vor Ort gewirtschaftet wird.
Die Einhaltung des Standes der Technik entsprechend der TA Siedlungsabfall kann daher nicht als Begründung für ungerechtfertigte Kostensteigerungen dienen. Gravierend höhere Kosten bei einzelnen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern weisen bei vergleichbarem technischen Standard zunächst auf Planungs- und Managementfehler hin. Darüber hinaus zeichnen sich tendenziell für Abfallzweckverbände und damit größere Organisationsstrukturen geringere Gesamtkosten ab. Auch wären eine größere Kostentransparenz im Sinne des Gebührenzahlers wünschenswert.
Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel: "Es ist eine unzutreffende Vereinfachung, wenn hohe Abfallgebühren allein auf die Einführung bestimmter Behandlungsverfahren - wie insbesondere thermische Restabfallbehandlungsverfahren - oder auch auf erhöhte Deponiestandards zurückgeführt werden. Ökologisch anspruchsvolle Abfallentsorgung mit hohem technischem Standard - so, wie sie einvernehmlich gewollt ist - hat zwar auch ihren Preis. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß dadurch Kosten für die Sanierung von Altlasten in Zukunft nicht mehr anfallen. Maßnahmen zur Gebührenbegrenzung sind sicherlich erforderlich, sie dürfen aber in keinem Fall zu einem Abbau ökologischer Standards führen."