4. Vertragsstaatenkonferenz zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt vom 4. bis 15. Mai 1998 in Bratislava - Deutsche Initiative für nachhaltigen Tourismus vorgelegt

30.04.1998
Hinweis: Dieser Text stammt aus dem Pressearchiv.
Veröffentlicht am:
Laufende Nummer: 27/98
Thema: Naturschutz
Herausgeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Leitung: Angela Merkel
Amtszeit: 17.11.1994 - 27.10.1998
13. Wahlperiode: 17.11.1994 - 27.10.1998

Vom 4. bis 15. Mai 1998 findet in Bratislava die 4. Vertragsstaatenkonferenz zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt statt. Auf der Tagesordnung stehen wichtige Beschlüsse zur Weiterentwicklung und Konkretisierung der Konvention in den Bereichen nachhaltiger Tourismus, Zugang zu genetischen Ressourcen, Biodiversität in Binnengewässern und Clearing-House Mechanismus. Die deutsche Delegation wird im Rahmen des Ministersegments (4./5. Mai 1998) von Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel geleitet.

Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel: "Weltweit sind bis heute ungefähr 1,75 Millionen Arten bekannt. Nach Stichproben und Hochrechnungen liegt die glaubhafte Obergrenze sogar bei etwa 14 Millionen. Trotz gewisser Unsicherheiten bei der Bestimmung des Umfangs der Artenvielfalt gehen Experten davon aus, daß in den kommenden fünfzig Jahren 10-40 Prozent aller Arten dem Zivilisationsfortschritt zum Opfer fallen werden. Dieser Trend ist sehr bedenklich, denn der Verlust an biologischer Vielfalt ist irreversibel. Er bedroht nicht nur die natürliche Umwelt. Wenn eine Pflanze ausstirbt, ist ihr genetisches Potential für die Landwirtschaft oder die Medizin für alle Zeiten verloren. Die Konvention über die biologische Vielfalt hat erstmals versucht, weltweit den Konflikt zwischen den Interessen der Erhaltung und der Nutzung biologischer Vielfalt zu regeln. Allerdings handelt es sich um eine bloße Rahmenregelung. Eine Reihe von Problemen ist noch offen geblieben. Wir müssen deshalb das Übereinkommen konkretisieren und weiterentwickeln. Auf Initiative Deutschlands wurden in verschiedenen Bereichen deutliche Fortschritte erreicht, die auf der Konferenz in Bratislava in konkrete Beschlüsse umgesetzt werden sollen, wie z. B. unsere Vorstellungen über nachhaltigen Tourismus."

Nachhaltiger Tourismus

In Bratislava wird von Deutschland ein Entscheidungsvorschlag für die Vertragsstaatenkonferenz unterbreitet, der darauf abzielt, ein Mandat für eine Arbeitsgruppe zu erteilen, die globale Richtlinien für eine nachhaltige, d.h. ökologisch, sozial und kulturell verträgliche Entwicklung des Tourismus erarbeiten soll. Grundlage dieses Vorschlags ist die im März 1997 von 18 Staaten und 10 nationalen und internationalen Organisationen unterzeichnete "Berliner Erklärung" sowie die Ergebnisse einer internationalen Arbeitstagung im März 1998 in Heidelberg, in der ein erster weltweiter Konsens über die Grundsätze eines nachhaltigen Tourismus erreicht wurde.

Der internationale Tourismus verzeichnet Jahr für Jahr neue Wachstumsrekorde, woran die Deutschen als "Reiseweltmeister" einen erheblichen Anteil haben. Seit 1950 hat sich die Zahl internationaler Touristen verfünfundzwanzigfacht von rund 25 Millionen auf 617 Millionen im vergangenen Jahr. Nach Schätzungen der Welt-Tourismus-Organisation soll diese Zahl bis zum Jahr 2020 sogar auf 1,6 Milliarden ansteigen. Durch die Expansion unseres Reise- und Freizeitverhaltens werden die bisher noch unberührten Naturräume in zunehmendem Maße vom Tourismus erfaßt. Selbst hoch empfindliche Ökosysteme, wie Hochgebirge, Gletscher, Regenwälder oder die polaren Meere, sind heute zu touristischen Zielen geworden.

Eine vom Bundesamt für Naturschutz in 1997 veröffentlichte Studie über "Biodiversität und Tourismus" belegt eindrucksvoll, welche Bedrohung für die biologische Vielfalt auf dieser Erde von der internationalen Tourismusentwicklung ausgeht.

  • So hat Europa im Zeitraum von 1900 bis 1990 etwa 43 Prozent seiner Sanddünen durch den Tourismus verloren, einige Mittelmeerländer sogar 75-80 Prozent.
  • Der Flächenbedarf für den Tourismus ist enorm; für den Mittelmeerraum wird geschätzt, daß allein an der nordwestlichen Mittelmeerküste 4400 km² für die Unterbringung der Touristen und die erforderliche Infrastruktur in Anspruch genommen werden.
  • In den europäischen Alpen, die jährlich von rund 50 Millionen Touristen besucht werden, ist die Urbanisierung und Verbauung von Naturräumen ebenfalls weit fortgeschritten.
  • Auch der Ressourcenverbrauch durch den Tourismus ist zum Teil extrem hoch. So beträgt z. B. der durchschnittliche Wasserverbrauch pro Kopf und Tag in Deutschland heute rund 130 Liter; in einem Vier-Sterne-Urlaubshotel am Mittelmeer verbraucht der deutsche Tourist jedoch bis zu 600 Liter Wasser pro Tag.

Biologische Sicherheit

Auf der 4. Vertragsstaatenkonferenz wird von dem dänischen Vorsitzenden der Ad-hoc-Arbeits-gruppe "Bio-Safety", Veit Koester, über den Verhandlungsstand eines zukünftigen Protokolls zur biologischen Sicherheit berichtet. Kernpunkt dieses Protokolls soll die Regelung der grenzüberschreitenden Verbringung von solchen lebenden modifizierten Organismen (LMO) sein, die nachhaltige Auswirkungen auf Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt haben können. Zu gentechnisch veränderten Organismen gehören z. B. Nahrungsmittel bzw. Gemüsesorten, die gegen bestimmte Pflanzenschutzmittel oder Schädlinge über eine genetische Behandlung resistent gemacht werden.

Die bisherigen völkerrechtlichen Vertragsverhandlungen zeigen, daß die Positionen immer noch sehr unterschiedlich sind. Die Industriestaaten sind mehrheitlich bestrebt, das Protokoll auf den Aspekt der sicheren grenzüberschreitenden Verbringung von lebenden modifizierten Organismen zu konzentrieren, soweit diese nachhaltige Auswirkungen auf die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt haben können. Die afrikanischen und verschiedene asiatische und lateinamerikanische Staaten bevorzugen allerdings ein umfangreiches und sehr detailliert formuliertes Protokoll, das möglichst alle Aspekte der Handhabung und Verwendung von LMO abdeckt ("Weltgentechnikkonvention").

Die EU hat sich auf Vorschlag Deutschlands auf das sog. "Zwei-Säulen-Modell" geeinigt: Danach kann die Importpartei entscheiden, ob bei der Genehmigung für die Einfuhr eines LMO nach den nationalen gesetzlichen Vorschriften (sofern vorhanden) des Importstaates oder nach den Bestimmungen des Protokolls verfahren wird. Im letztgenannten Fall kann z. B. ein Export von LMO nur im Konsens zwischen Im- und Exportland oder nach Ablauf einer bestimmten Frist durchgeführt werden.

Die 2. Vertragsstaatenkonferenz hat 1995 in Jakarta die Ad-hoc Arbeitsgruppe "Bio-Safety" eingesetzt, die im Rahmen eines zukünftigen Protokolls zur biologischen Sicherheit den umweltgerechten Umgang mit der Biotechnologie formulieren soll. In bisher vier Verhandlungsrunden hat die Arbeitsgruppe einen konsolidierten Text erarbeitet, der als Grundlage für die Erstellung eines Entwurfs für das Protokoll dienen soll. Voraussichtlich werden die Verhandlungen im nächsten Jahr abgeschlossen.

Zugang zu genetischen Ressourcen

Ein weiteres wichtiges Thema der 4. Vertragsstaatenkonferenz ist der "Zugang zu genetischen Ressourcen". Diskutiert wird, ob die Vertragsstaatenkonferenz gewisse Mindestregeln für den Zugang zu genetischen Ressourcen und einen fairen Interessenausgleich zwischen den Ursprungs- bzw. Entwicklungsländern und den Nutzern festlegen soll. Bisher gibt es keine konkreten Vorgaben für den Zugang zu genetischen Ressourcen. Der Zugang wird vielmehr vertraglich vereinbart, wie z. B. der 1994 abgeschlossene Vertrag zwischen Merck ∓mp; Co. Inc. (New Jersey, USA) - einer Tochterfirma des internationalen Pharmakonzerns Merck - und dem Instituto Nacional de Biodiversidad (Costa Rica) über die Nutzung von etwa 10.000 Pflanzen- und Insektenproben aus Naturschutzgebieten Costa Ricas.

Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel: "Allein in Deutschland werden jährlich über 40.000 Tonnen pflanzlicher Basisstoffe mit einem Gesamtwert von rund 160 Millionen DM eingeführt. Die Bedeutung dieses Sektors dürfte in den kommenden Jahren bestehen bleiben. Daher brauchen wir freiwillige Mindestregeln, die einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Ursprungs- bzw. Entwicklungsländer und der Industrieländer schaffen. Aus deutscher Sicht gehört zum fairen Interessenausgleich neben der Garantie freier wissenschaftlicher Forschung auch eine Teilhabe der Entwicklungsländer am Forschungs- und Entwicklungsvorgang. Deutschland ist sich der Bedeutung dieser Nord-Süd-Problematik bewußt und ist auch hier initiativ geworden. Im Rahmen von zwei internationalen Workshops - 1997 in Oberursel und 1998 in Cordoba/Spanien - wurden mit Vertretern von Entwicklungsländern, der pharmazeutischen Industrie sowie der Wissenschaft Probleme des Zugangs zu genetischen Ressourcen und des "benefit-sharings" intensiv erörtert. Die Ergebnisse beider Workshops werden in die Verhandlungen in Bratislava einfließen. Ziel ist es, hier einen intensiven internationalen Konsultationsprozeß zwischen allen Beteiligten in Gang zu setzen."

Biodiversität in Binnengewässern

Die Vertragsstaatenkonferenz wird ein Arbeitsprogramm zum Thema "Biodiversität in Binnengewässern" verabschieden. Hierzu liegt ein Vorschlag des Wissenschaftsgremiums SBSTTA vor, der eine verbesserte globale Übersicht über den Status und die Trends der Biodiversität in Binnengewässern fordert. Weiterhin sollen Fallstudien über das Management von Einzugsgebieten zusammengestellt werden. Binnengewässer sind nur in ihrer engen Vernetzung mit den umliegenden terrestrischen Ökosystemen zu betrachten. Angestrebt wird deswegen ein integrierter Ansatz der Bewertung und des Managements von Binnengewässern und der terrestrischen Umgebung. Weiterhin liegen den Vertragsstaaten in Bratislava konkrete Empfehlungen vor, wie sie die Erhaltung und nachhaltige Nutzung ihrer Binnengewässer verbessern können.

Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel: "Deutschland kann beim Thema Biodiversität in Binnengewässern erhebliche Erfolge vorweisen. In den vergangenen Jahren sind die Schadstoffeinträge, die den Naturhaushalt belasten, deutlich reduziert worden. Allein die Schwefeldioxidemissionen konnten in den letzten 25 Jahren um rund 76 Prozent verringert werden. Die Schadstoffbelastung des Rheins ist inzwischen so weit zurückgegangen, daß heute dort wieder bis zu 45 Fischarten leben. Ich hoffe, daß wir mit dem in Bratislava zu verabschiedenden Arbeitsprogramm zur Biodiversität in Binnengewässern den Grundstein dafür legen können, auch weltweit zu einem positiven Trend zu kommen."

Clearing-House Mechanismus

Ein weiteres wichtiges Thema der Konferenz ist die Frage, wie der sog. Clearing-House-Mechanismus (CHM) der Konvention fortgesetzt werden soll. Der CHM ist ein wesentliches Instrument zur Umsetzung der Konvention, eine Art Datendrehscheibe, die vor allem die technische und wissenschaftliche Zusammenarbeit fördern soll. Die beim Sekretariat der Konvention in Montreal/Kanada eingerichtete Kontaktstelle fördert in Zusammenarbeit mit den Vertragsstaaten die Entwicklung dieses Informationsnetzwerkes sowohl über das INTERNET als auch in gedruckter Form. Nach Ablauf einer dreijährigen Pilotphase Ende 1998 geht es jetzt um eine Bewertung und Weiterentwicklung dieses Instruments.

Hintergrund

Wichtige Vorarbeiten für ein Konzept zum Schutz der biologischen Vielfalt wurden im Rahmen der World Conservation Union (IUCN) geleistet. Nach vierjährigen Verhandlungen ist am 22. Mai 1992 der Vertragstext für ein Rahmenübereinkommen über die biologische Vielfalt angenommen und während des "Erdgipfels" in Rio de Janeiro von 156 Staaten unterzeichnet worden. Nachdem der 30. Staat die Ratifizierung bekannt gegeben hatte, trat es am 29. Dezember 1993 in Kraft. Derzeit haben 172 Vertragsparteien das Abkommen ratifiziert.

Mit der Aushandlung der Biodiversitätskonvention zeigten die Nationalstaaten erstmals ihre generelle Bereitschaft, dem weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt zu begegnen und einen institutionellen Rahmen für ihre Zusammenarbeit auf diesem Gebiet zu schaffen. Inhaltlicher Schwerpunkt der Vereinbarungen ist die Formulierung von Prinzipien und allgemeinen Handlungszielen: die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile sowie die gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergebenden Vorteile (Artikel 1).

30.04.1998 | Pressemitteilung 27/98 | Naturschutz
https://www.bmuv.de/PM816
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