Kabinett verabschiedet Bericht zur nuklearen Sicherheitskonvention
Das Bundeskabinett hat heute den ersten Bericht der Bundesregierung zum völkerrechtlichen Übereinkommen über nukleare Sicherheit verabschiedet. Der Bericht wird der erstmals stattfindenden Überprüfungskonferenz des Übereinkommens vorgelegt und gibt Rechenschaft über das Sicherheitsniveau der deutschen Kernkraftwerke und das System der behördlichen Überwachung. Er wird in Kürze der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien zugeleitet.
Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel: "Der Bericht legt Punkt für Punkt dar, daß die Verpflichtungen des Übereinkommens lückenlos erfüllt werden. Er belegt das auch im internationalen Vergleich hervorragende Sicherheitsniveau deutscher Kernkraftwerke. Aufgrund der bei uns praktizierten Sicherheitskultur wurden die deutschen Kernkraftwerke immer wieder nachgerüstet, soweit der aktuelle Stand von Wissenschaft und Technik dies möglich und angemessen erscheinen ließ. Das heißt, daß es in Deutschland praktisch keine alten Kernkraftwerke gibt. Vor diesem Hintergrund ist der immer wieder diskutierte Ausstieg aus der Kernenergie sicherheitstechnisch nicht zu begründen."
Das Übereinkommen über nukleare Sicherheit geht auf eine Initiative der Bundesregierung zurück. Es ist im Oktober 1996 in Kraft getreten und inzwischen von 46 Staaten ratifiziert. Von den Staaten, in denen Kernkraftwerke betrieben werden, fehlen noch Armenien, Indien, Kasachstan sowie auch die USA. Deutschland ist seit dem 20. April 1997 Vertragspartei.
In vier Jahrzehnten Kernenergienutzung hat sich Deutschland in besonderer Weise für die nukleare Sicherheit engagiert. Die Sicherheit der kerntechnischen Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland hat dadurch einen auch im internationalen Vergleich sehr hohen Stand, der im Laufe der Jahre systematisch immer weiter verbessert wurde. Dies wird durch die hervorragende langjährige Sicherheitsbilanz der deutschen Kernkraftwerke belegt:
- Die Zahl der meldepflichtigen Ereignisse in deutschen Kernkraftwerken ist in den letzten zehn Jahren auf die Hälfte zurückgegangen. Der Anteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle ist auch im internationalen Vergleich sehr gering. So kam es in Deutschland seit Anwendung der internationalen INES-Skala zur Kennzeichnung der Sicherheitsrelevanz von 1991 lediglich in einem Fall zu einer Einstufung nach INES 2 (Störfall) von sieben möglichen Einstufungen. Darüber hinaus lagen auch nur ein bis sechs Ereignisse pro Jahr in der untersten Stufe 1 (Störung). Alle anderen Ereignisse lagen unterhalb der Skala (keine sicherheitstechnische Bedeutung).
- Störungen des Normalbetriebs sind in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich seltener geworden. Beispielsweise ging die Häufigkeit der Reaktorschnellabschaltung in diesem Zeitraum um 80 Prozent zurück. Sie liegt deutlich niedriger als in den meisten anderen Ländern.
- Die Strahlenexposition des Betriebspersonals pro erzeugter Kilowattstunde wurde innerhalb von zwei Jahrzehnten um 80 Prozent verringert.
- Die Strahlenexpositionen durch den Betrieb von Kernkraftwerken lagen in den letzten zehn Jahren selbst in unmittelbarer Nachbarschaft meist deutlich unter 0,01 mSv/pro Jahr. Dies ist weniger als ein Dreißigstel des für den Normalbetrieb geltenden Jahresgrenzwertes von 0,3 mSv/pro Jahr.
Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel: "Der Sicherheitsstandard der deutschen Kernkraftwerke ist nicht zuletzt deswegen so hoch, weil neben der ständigen Nachrüstung auch die Erkenntnisse aus der Betriebserfahrung laufend umgesetzt werden. Regelmäßig muß der Betreiber Sicherheitsnachweise liefern. Er muß im Anlagenbetrieb den Aufsichtsbehörden nachweisen, daß die für die Sicherheit der Anlage wesentlichen Systemfunktionen gegeben sind und die aus den Qualitätsanforderungen abgeleiteten Qualitätsmerkmale sich nicht unzulässig verändert haben. Im Durchschnitt finden jährlich in einem Druckwasserreaktor 3.850 Prüfungen statt. Um dafür zu sorgen, daß auch in Zukunft ein hoher Sicherheitsstandard gewährleistet bleibt und nicht durch ausstiegsorientierten Vollzug verhindert wird, haben wir bei der Änderung des Atomgesetzes im April dieses Jahres klargestellt, daß für Nachrüstungen der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt. Dies bedeutet: Sicherheitstechnische Verbesserungen dürfen nicht an künstlich übersteigerten Anforderungen in Änderungsgenehmigungsverfahren scheitern."
Die Bundesrepublik hat ein dichtes Netz von Regelungen und Sicherheitsvorschriften für Kernkraftwerke geschaffen. Die Einhaltung der Vorschriften unterliegt einer strengen staatlichen Aufsicht. Diese erfolgt durch die Landesbehörden. Die Überwachung der Sicherheit im Rahmen der staatlichen Aufsicht erfolgt kontinuierlich, aber auch anlaßbezogen durch spezielle Sicherheitsüberprüfungen. Bei Behörden und Gutachtern sind damit pro Kernkraftwerk im Mittel 30 - 40 Personen ganzjährig beschäftigt. Die Tätigkeit der Länderbehörden unterliegt der Bundesaufsicht.
Mit der Berufung der Reaktor-Sicherheitskommission wurde eine unabhängige Fachkompetenz für Sicherheitsfragen geschaffen. Dieses mit herausragenden Fachleuten besetzte Gremium nimmt bei der Entwicklung der kerntechnischen Sicherheitspraxis seit 40 Jahren eine aktive Rolle wahr. Die Bundesregierung hat sich darüber hinaus in einer von den wirtschaftlichen Interessen der Betreiber kerntechnischer Anlagen unabhängigen Sicherheitsforschung engagiert, die ebenfalls immer wieder neue Möglichkeiten für weitere Sicherheitsverbesserungen aufgezeigt hat.
Ständig findet in der Umgebung von Kernkraftwerken eine Emissions- und Immissionsüberwachung statt. Das integrierte Meß- und Informationssystem (IMIS) mißt zusätzlich zur Standortüberwachung der Kernkraftwerke großräumig das Gebiet der Bundesrepublik. Das bundesweite Meßnetz umfaßt mehr als 2.000 Meßstellen, deren Daten bei der Zentralstelle des Bundesamtes für Strahlenschutz zusammenlaufen. Die Eigenüberwachung der Kernkraftwerksbetreiber wird durch unabhängige Meßprogramme kontrolliert. Eine Auswahl von Meßgrößen aus der Emissionsüberwachung, Immissionsüberwachung und der Meterologie wird online an die zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder weiter gemeldet. Dieses System arbeitet sowohl im Normalbetrieb als auch bei einem Störfall. Ein Störfall in einem deutschen Kernkraftwerk mit radiologischen Auswirkungen für die Umgebung könnte daher nicht unbemerkt bleiben.
Die Bundesregierung setzt sich für die Anwendung dieses hohen Standards auch in anderen Ländern ein. Ziel dieser Politik ist, den deutschen Sicherheitsmaßstab als Schrittmacher einer starken europäischen Sicherheitspraxis und damit als Motor auch für die allgemeine internationale Entwicklung der nuklearen Sicherheit einzusetzen. Sicherheit soll - nicht nur in Deutschland sondern weltweit - mit den wachsenden wissenschaftlichen und technologischen Möglichkeiten aktiv weiterentwickelt werden, wobei Verbesserungen soweit möglich und sinnvoll auch bei älteren Anlagen durchgeführt werden. Dazu verfolgt die Bundesregierung neben Kooperationen mit praktisch allen wichtigen Kernenergiestaaten der Welt insbesondere eine immer engere technologische Kooperation in der Reaktorsicherheit mit Frankreich. Mit der gemeinsamen Entwicklung deutsch-französischer Sicherheitsanforderungen an künftige Kernkraftwerke werden die internationalen Entwicklungen der Industrie in Richtung einer neuen Sicherheitsqualität geführt, deren breite internationale Anwendung einen weiteren Fortschritt gegenüber der heutigen Technik bringen wird.
International wird die Kernenergie in allen großen Industriestaaten genutzt, in einigen Ländern sogar ausgebaut, so z. B. im asiatisch-pazifischen Raum - besonders stark in Japan, Korea und China. Derzeit sind in dieser Region 21 Kernkraftwerke im Bau und bis zum Jahr 2010 ist dort die Errichtung weiterer 55 Kernkraftwerke geplant. Vor diesem Hintergrund sind auch die Neuentwicklungen des deutschen Herstellers Siemens bzw. des Gemeinschaftsprojekts von Siemens und der französischen Firma Framatome zu sehen. Sowohl der neue Siedewasserreaktor (SWR 1000) als auch der europäische Druckwasserreaktor (EPR) sollen den erhöhten Anforderungen an die Sicherheit des 1994 novellierten Atomgesetzes entsprechen. Siemens hat angekündigt, zur Unterstützung seiner Wettbewerbssituation im Ausland, in Kürze einen Antrag für ein standortunabhängiges Prüfverfahren gemäß § 7 c des Atomgesetzes zu stellen.
Die Energieversorgung in Deutschland baut auf einem Energieträgermix auf, der sich vor allem an den Kriterien Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit und in den letzten Jahren zunehmend auch an der Umweltverträglichkeit orientiert. Eine umweltverträgliche Energienutzung muß die Abgabe von Schadstoffen an die Umwelt auf ein Maß beschränken, das deren Aufnahmefähigkeit nicht überfordert, und sie muß die Knappheit der Ressourcen berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund setzt die Bundesregierung bei ihrer Klimaschutzstrategie vor allem auf die Ausschöpfung der Energieeinsparpotentiale, den Ausbau erneuerbarer Energien und eine Beibehaltung des Anteils der Kernenergie als CO2-freie Stromerzeugung. Die größten Energieeinsparpotentiale liegen bei der Erzeugung und Nutzung von Wärme, während bisherige Prognosen von einem Stromanstieg von bis zu einem Prozent pro Jahr ausgehen und es großer Anstrengungen bedarf, auf einen konstanten Stromverbrauch zu kommen.
Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel: "Ich halte eine Verdopplung des Anteils erneuerbarer Energien bis 2010 für möglich und erforderlich. Dieses ehrgeizige Ziel bedeutet aber dennoch, daß die erneuerbaren Energien kurzfristig nur begrenzte Beiträge liefern können. Die Zuwachspotentiale für erneuerbare Energien zur Stromerzeugung sind in Bezug auf die Wasserkraft zum größten Teil erschöpft, bei der Windkraft noch begrenzt ausbaubar und bei der Photovoltaik allenfalls eine längerfristige Option. Kurz- und mittelfristig hat neben der Windenergie vor allem der Einsatz von Biomasse Chancen, einen zusätzlichen nennenswerten Beitrag zu leisten. Es kommt deshalb darauf an, die Effizienz beim Stromverbrauch zu steigern, elektrischen Strom mit immer höheren Wirkungsgraden zu erzeugen und neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien der Kraft-Wärme-Kopplung noch größeres Augenmerk zu widmen. Die beschriebene Entwicklung macht aber auch deutlich, daß ein Ausstieg aus der Kernenergie derzeit nicht zu verantworten ist. Vor allem vor dem Hintergrund, daß er in Deutschland sicherheitstechnisch nicht geboten und wirtschaftlich unsinnig ist. Jedes denkbare Szenario muß auch berücksichtigen, daß die Kernenergie zusammen mit der Braunkohle den gesamten Bereich der Grundlast abdeckt. Der verstärkte Einsatz von Gas in Grundlastkraftwerken stößt trotz seiner Kostenvorteile im Hinblick auf die auch davon ausgehenden Klimabelastungen und einseitige Lieferabhängigkeit an Grenzen. Von den erneuerbaren Energien ist allenfalls die Biomasse als Substitut teilweise vorstellbar, weil bei ihr - ähnlich wie bei fossilen Energieträgern - eine gleichbleibende Verfügbarkeit sichergestellt werden kann."