Bericht zur nuklearen Sicherheit in den Beitrittsstaaten zur EU veröffentlicht
Die Leiter der westeuropäischen Atomaufsichtsbehörden hegen starke Zweifel an der Sicherheit der Atomreaktoren und der Leistungsfähigkeit der Atomaufsichtsbehörden in den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern zur EU. Einzelne Reaktoren, etwa der Siedewasserreaktor RBMK, werden wegen grundlegender Sicherheitsdefizite und fehlender Nachrüstungsmöglichkeiten als technisch völlig inakzeptabel eingestuft. Bei anderen wird eine Nachrüstung auf ein international vertretbares Niveau zwar für möglich gehalten, dies jedoch nur mit erheblichem finanziellem Aufwand. Diese Einschätzungen enthält ein Bericht der Vereinigung der westeuropäischen Atomenergiesicherheitsbehörden (WENRA), der den Institutionen der Europäischen Union jetzt vorlegt wurde.
Der Bericht behandelt die Situation der Atomenergiesicherheit in den osteuropäischen Beitrittsstaaten, die mindestens ein Atomkraftwerk betreiben (Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien). Zu den Reaktorlinien werden im WENRA-Bericht Bewertungen vorgenommen, die auf Einzeleinschätzungen der Beteiligten beruhen, nicht auf einheitlichen und abgestimmten Kriterien. Ein Vorschlag Deutschlands für einen solchen Kriterienkatalog soll zur nächsten Sitzung der WENRA im Juli vorliegen.
Die Einschätzungen des Berichts lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- RBMK-Siedewasserreaktoren wie das litauische AKW Ignalina sind wegen grundlegender Auslegungsdefizite nicht akzeptabel;
- WWER-Atomkraftwerke der ersten Generation (Typ 440/V230) wie in Kosloduj (Bulgarien) und Bohunice (Slowakei) gelten als technisch nicht akzeptabel. Einige Autoren des Berichts schließen nicht aus, daß ein akzeptables Niveau erreicht werden könnte, wozu aber noch umfassende Analysen und Nachweise erforderlich wären.
- neuere Druckwasser-Reaktoren des Typs WWER 440/V213 und 1000 können mit umfassenden Verbesserungsprogrammen möglicherweise auf international akzeptables Niveau gebracht werden;
Das Bundesumweltministerium teilt die Bewertung des RBMK-Reaktors. Nach Einschätzung des Ministeriums ist es nicht möglich, bestimmte RBMK- und WWER-Reaktoren, etwa die vier Blöcke von Kosloduj in Bulgarien, mit vertretbarem Aufwand auf international akzeptables Niveau nachzurüsten.
Die Europäische Union selbst hat keine Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Sicherheit von Atomkraftwerken. Sie fordert allerdings in den "Schlußfolgerungen des Rates zu den Beitrittsstrategien für die Umwelt", daß die Atomkraftwerke in den beitrittswilligen Ländern dem Stand der Technik entsprechen müssen. Der Bericht formuliert für jeden Beitrittskandidaten konkrete Forderungen zu notwendigen Verbesserungen der gesetzlichen und verfahrensmäßigen Regelungen, der Sicherheitsbehörden und der technischen und betrieblichen Sicherheit der jeweiligen Anlagen.
Wolfgang Renneberg, Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit des BMU und Vertreter Deutschlands in der WENRA: "Angesichts der fehlenden Zuständigkeit der EU-Organe für Fragen der Reaktorsicherheit müssen die Mitgliedstaaten selbst dafür sorgen, daß diesen Fragen das notwendige Gewicht im Rahmen des Beitrittsprozesses gegeben wird. Voraussetzung für den Beitritt muß es sein, daß ein Sicherheitsniveau erreicht und nachgewiesen ist, das dem westlichen Standard entspricht. Atomkraftwerke, die nicht auf solches Niveau nachgerüstet werden können, müssen nach unserer Überzeugung vor dem Beitritt stillgelegt werden."
Die WENRA (Western European Nuclear Regulators Association) wurde 1999 von den Leitern der Atomenergiesicherheitsbehörden aller EU-Staaten ins Leben gerufen, in denen Atomkraftwerke betrieben werden (Belgien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Spanien, Schweden und England). Die Schweiz ist der Arbeitsgemeinschaft ebenfalls beigetreten. Ziel der Vereinigung ist es, einen gemeinsamen Ansatz zur nuklearen Sicherheit und zur Genehmigungs- und Aufsichtspraxis speziell in der Europäischen Union zu entwickeln. Der EU soll auf diese Weise eine unabhängige Instanz zur Untersuchung von Fragen der nuklearen Sicherheit sowie der Genehmigung und Aufsicht in den Beitrittsstaaten zur Verfügung gestellt werden. Außerdem wird angestrebt, gemeinsame Ansätze zur Gewährleistung eines hohen Sicherheitsniveaus in Europa zu entwickeln und zu verfolgen. Die WENRA will ihren Sicherheitsbericht fortschreiben und regelmäßig aktualisieren, um die Weiterentwicklung in den betreffenden Staaten zu verfolgen und, wo notwendig, weiter zu beeinflussen.
Eine Zusammenfassung des Berichts in Englisch ist im Bundesumweltministerium erhältlich. Der Bericht wird in Kürze auch auf der BMU-Homepage abrufbar sein.