Bundesumweltministerium lehnt Strommengenübertragung von Block II auf Block I ab
Der Block I des Atomkraftwerks Neckarwestheim muss nach dem regulären Ende seiner Laufzeit voraussichtlich Ende 2009 endgültig abgeschaltet werden. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel lehnte heute den Antrag des Betreibers EnBW auf Laufzeitverlängerung für den 32 Jahre alten Reaktor aus Sicherheitsgründen ab. Der Atomkonzern, dem auch der jüngere Block II am selben Standort gehört, hatte beantragt, den Betrieb des älteren Reaktors verlängern und dafür die Laufzeit der jüngeren Anlage entsprechend verkürzen zu dürfen. Eine solche Übertragung sei nicht zulässig, entschied das Bundesumweltministerium als zuständige Behörde. Der Block I des Kraftwerks verfüge über weniger Sicherheitsreserven als der modernere, jüngere Block II, so der Bescheid des Ministeriums, der dem Betreiber heute zugestellt wurde. Zur Sicherstellung der Energieversorgung und zum Klimaschutz ist ein längerer Betrieb von Neckarwestheim I nicht erforderlich.
Nach dem Atomgesetz wird die Laufzeit für jedes deutsche Atomkraftwerk nach der Strommenge bemessen, die es noch erzeugen darf. Nach deren Produktion erlischt die Betriebserlaubnis. EnBW hatte am 21. Dezember 2006 beim BMU die Zustimmung zu einer Übertragung von Elektrizitätsmengen aus dem Kontingent des voraussichtlich bis 2021 noch in Betrieb befindlichen jüngsten deutschen Atomkraftwerks Neckarwestheim II in Höhe von 46,9 Terawattstunden (TWh) auf das derzeit nach Biblis A zweitälteste Atomkraftwerk Neckarwestheim I gestellt. Damit sollte nach Angabe der Betreibergesellschaft erreicht werden, dass die noch zu erzeugende Elektrizitätsmenge für beide Blöcke gleichzeitig voraussichtlich im Jahr 2017 erreicht werden könnte.
Nach § 7 Abs. 1b des Atomgesetzes kann der Genehmigungsinhaber Strommengen von einem jüngeren auf ein älteres Kernkraftwerk nur dann übertragen, wenn das Bundesumweltministerium im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt und dem Bundeswirtschaftsministerium dieser Übertragung zugestimmt hat. Bei der Entscheidung hat das Bundesumweltministerium sicherzustellen, dass die Strommengenübertragung nicht zu Lasten der Sicherheit geht. Deshalb hat das Bundesumweltministerium eine vergleichende Sicherheitsanalyse der beiden Atomkraftwerke Neckarwestheim II und I in der Weise durchgeführt, wie sie bereits für den Anlagenvergleich Emsland und Biblis A erfolgt war.
EnBW hat - wie auch die anderen Stromversorgungsunternehmen, die bisher Anträge auf Elektrizitätsmengenübertragung beim Bundesumweltministerium gestellt haben -, den Sicherheitsvergleich abgelehnt und auch auf Anforderung keine Unterlagen vorgelegt. Die Prüfung musste deshalb anhand von Unterlagen erfolgen, die dem Bundesumweltministerium als Bundesaufsicht vorlagen oder die von der zuständigen Atomaufsichtsbehörde, dem Umweltministerium in Baden-Württemberg, in Amtshilfe und auf Anfrage übermittelt wurden.
Hintergrund
Im Rahmen des Atommausstieges und nach Unterzeichnung des Atomkonsenses durch die vier großen Energieversorgungsunternehmen und die Bundesregierung im Juni 2001 wurde das Atomgesetz 2002 novelliert; es setzt die Festlegungen des Konsenses um. Für jedes Atomkraftwerk wurde eine Elektrizitätsmenge (Strommenge) festgelegt, die es noch erzeugen darf. Nach deren Produktion sind die Kraftwerke stillzulegen.
In § 7 Abs. 1b des Atomgesetzes ist geregelt, dass Elektrizitätsmengen von einer Anlage auf eine andere übertragen werden können, wenn die empfangende Anlage den kommerziellen Leistungsbetrieb später als die abgebende begonnen hat. Abweichend von dieser Regelung können Übertragungen auch von einer Anlage stattfinden, die ihren Leistungsbetrieb später begonnen hat, wenn das Bundesumweltministerium im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt und dem Bundeswirtschaftsministerium zugestimmt hat.
Das Bundesumweltministerium ist der festen Überzeugung, dass die Bescheiderteilung einer umfassenden Prüfung bedarf, die unter anderem auf einem Sicherheitsvergleich zwischen der eine Strommenge abgebenden und der aufnehmenden Anlage beruht. Die Rechtsauffassung des Bundesumweltministeriums wird durch ein veröffentlichtes Gutachten des Staats- und Verwaltungsrechtlers Prof. Dr. Joachim Wieland (jetzt Verwaltungshochschule Speyer) gestützt. Danach muss das Bundesumweltministerium bei Anträgen zur Übertragung von Strommengen von einem jüngeren auf ein älteres Atomkraftwerk nach § 7 Abs. 1b Satz 2 des Atomgesetzes eine eigene vergleichende Sicherheitsanalyse vornehmen und ist bei seinen Entscheidungen nicht an Bewertungen der Landesbehörden gebunden.
Beim Bundesumweltministerium wurden drei Anträge auf Zustimmung zu Strommengenübertragungen von neueren auf ältere Anlagen gestellt:
- von Emsland auf Biblis A,
- von Neckarwestheim 2 auf Neckarwestheim 1,
- von Krümmel auf Brunsbüttel.
Die Prüfung dieser Anträge durch das Bundesumweltministerium, die auf der Grundlage einer durchgeführten vergleichenden Sicherheitsanalyse der jeweiligen Kraftwerksblöcke erfolgte, ist nun nach der Bescheidung des RWE-Antrags zur Strommengenübertragung von Emsland auf Biblis A auch für den Antrag der EnBW abgeschlossen worden. Die Prüfung des Antrags von Vattenfall auf Übertragung von Krümmel auf Brunsbüttel als bisher letztem Antrag läuft noch.
EnBW hatte - wie auch RWE und Vattenfall – bereits drei Monate nach Eingang des Antrags beim Bundesumweltministerium Klage wegen Untätigkeit erhoben. Der Baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hat jedoch das Gerichtsverfahren über diese Klage bis zum vorgesehenen Erlass der Entscheidung des Bundesumweltministeriums ausgesetzt.
Allgemeine Erläuterungen zum Atomkraftwerk Neckarwestheim I
Das Atomkraftwerk Neckarwestheim I ist das zweitälteste sich in Betrieb befindende Atomkraftwerk in Deutschland. Es liegt zusammen mit dem Atomkraftwerk Neckarwestheim II (Doppelblockanlage) am rechten Ufer des Neckars zwischen Heilbronn und Ludwigsburg auf dem Gebiet der Gemeinden Neckarwestheim und Gemmrigheim. Genehmigungsinhaberin und Betreiberin beider Blöcke des Atomkraftwerks ist die EnBW Kernkraft GmbH.
Die Errichtung von Neckarwestheim I wurde 1972 von der Kraftwerk Union begonnen. Die erste Netzsynchronisation erfolgte am 3. Juni 1976, der kommerzielle Leistungsbetrieb wurde am 1. Dezember 1976 aufgenommen. Die elektrische Bruttoleistung des Blocks beträgt 840 Megawatt (MW). Der Reaktor Neckarwestheim I ist ein Druckwasserreaktor (DWR), d.h. der Wärmeenergietransport vom Reaktorkern zur Turbine erfolgt über zwei voneinander getrennte Kühlmittelkreise. Abweichend von der üblichen DWR-Bauart mit vier Hauptkühlmittelleitungen verfügt Neckarwestheim I über lediglich drei Hauptkühlmittelleitungen.
Die Stromerzeugung von Neckarwestheim I erfolgt über zwei Turbinen und Generatoren (Bahnstrom- und Drehstromgenerator). Der Bahnstromgenerator mit einer Leistung von 187 MW bzw. 152 MW (Generatorscheinleistung bzw. elektrische Nettoleistung) zur Versorgung des Oberleitungsnetzes der Deutschen Bahn erzeugt entsprechend der Anforderung der DB Wechselspannung mit einer Frequenz von 16 2/3 Hertz (normales Spannungsnetz: 50 Hz).
In Deutschland wurden vier Generationen von Druckwasserreaktoren errichtet. Die beiden Atomkraftwerke der ersten Generationen, Obrigheim und Stade, wurden bereits abgeschaltet. Der Reaktor des Atomkraftwerks Neckarwestheim I ist der zweitälteste Druckwasserreaktor der zweiten Generation. Aufbauend auf den Betriebserfahrungen der ersten beiden Generationen und im Einklang mit den neuen Richtlinien (BMI-Sicherheitskriterien (1977), Störfall-Leitlinien (1983)) wurden anschließend die Druckwasserreaktoren der dritten und vierten Generation in den achtziger Jahren in Betrieb genommen.
Allgemeine Erläuterungen zum Atomkraftwerk Neckarwestheim II
Neckarwestheim II ist das jüngste Atomkraftwerk in Deutschland und gehört zu den Druckwasserreaktoren der neuesten, vierten Generation (Typ Konvoi). Die Errichtung des Atomkraftwerks Neckarwestheim II wurde 1982 begonnen. Der kommerzielle Leistungsbetrieb wurde am 15. April 1989 aufgenommen. Bei einer thermischen Reaktorleistung von 3750 MW beträgt die elektrische Bruttoleistung 1365 MW und wird über einen Turbosatz erzeugt.