Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat heute eine Laufzeitverlängerung für das Atomkraftwerk Biblis A abgelehnt. Begründung: Es verfügt über weniger Sicherheitsreserven als das modernere Atomkraftwerk Emsland, das nach dem Antrag des Unternehmens RWE Strommengen zugunsten von Biblis A abgeben sollte. Der Ablehnungsbescheid wurde RWE heute zugestellt. Zur Sicherstellung der Energieversorgung und zum Klimaschutz ist die Strommengenübertragung nicht erforderlich.
RWE hatte im September 2006 beim Bundesumweltministerium zunächst die Zustimmung zu einer Übertragung von Reststrommengen aus dem Kontingent des stillgelegten Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich auf Biblis A beantragt. Im Mai 2007 lehnte das Bundesumweltministerium diese Übertragung ab. Durch den jetzigen Bescheid wird auch die Übertragung von 30 Terawattstunden (TWh) vom AKW Emsland abgelehnt. Biblis A ist das älteste, noch zur Stromerzeugung berechtigte deutsche AKW; Emsland das zweitjüngste.
Nach § 7 Absatz 1b des Atomgesetzes kann der Genehmigungsinhaber Strommengen von einem jüngeren auf ein älteres Kernkraftwerk nur übertragen, wenn das Bundesumweltministerium im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt und dem Bundeswirtschaftsministerium dieser Übertragung zugestimmt hat. Bei der Entscheidung hat das Bundesumweltministerium sicherzustellen, dass die Strommengenübertragung nicht zu Lasten der Sicherheit geht. Deshalb hat das Bundesumweltministerium eine vergleichende Sicherheitsanalyse der beiden Kernkraftwerke Emsland und Biblis A durchgeführt. RWE hat den Sicherheitsvergleich abgelehnt und auch auf Anforderung keine Unterlagen vorgelegt. Die Prüfung erfolgte deshalb anhand von Unterlagen, die dem Bundesumweltministerium als Bundesaufsicht vorlagen oder die das hessische Umweltministerium in Amtshilfe übermittelte.
Hintergrund:
In § 7 Absatz 1b des Atomgesetzes ist geregelt, dass Elektrizitätsmengen von einer Anlage auf eine andere übertragen werden können, wenn die empfangende Anlage den kommerziellen Leistungsbetrieb später als die abgebende begonnen hat. Abweichend von dieser Regelung können Übertragungen auch von einer Anlage stattfinden, die ihren Leistungsbetrieb später begonnen hat, wenn das Bundesumweltministerium im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt und dem Bundeswirtschaftsministerium zugestimmt hat.
Die Rechtsauffassung des Bundesumweltministeriums wird durch ein veröffentlichtes Gutachten des Staats- und Verwaltungsrechtlers Prof. Dr. Joachim Wieland (jetzt Verwaltungshochschule Speyer) gestützt. Danach muss das Bundesumweltministerium bei Anträgen zur Übertragung von Strommengen von einem jüngeren auf ein älteres Atomkraftwerk nach § 7 Absatz 1b Satz 2 des Atomgesetzes eine eigene vergleichende Sicherheitsanalyse vornehmen und ist bei seinen Entscheidungen nicht an Bewertungen der Landesbehörden gebunden.
Beim Bundesumweltministerium wurden drei Anträge auf Zustimmung zu Strommengenübertragungen von neueren auf ältere Anlagen gestellt: von Emsland auf Biblis A, von Neckarwestheim 2 auf Neckarwestheim 1 sowie von Krümmel auf Brunsbüttel.
Die Prüfung dieser Anträge durch das Bundesumweltministerium, die jeweils eine vergleichende Sicherheitsanalyse beider Kraftwerke erfordert, ist nun für den RWE-Antrag zur Strommengenübertragung von Emsland auf Biblis A abgeschlossen. Die Prüfung der beiden weiteren Anträge ist noch nicht abgeschlossen. RWE, EnBW und Vattenfall haben dennoch bereits Klage erhoben. Der hessische und der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof haben die Gerichtsverfahren über diese Klagen bis zum vorgesehenen Erlass des Bundesumweltministeriums Entscheidungen ausgesetzt.
Allgemeine Erläuterungen zum Kernkraftwerk Biblis A (KWB A)
Das KWB A ist das älteste noch Strom erzeugende Atomkraftwerk in Deutschland. Der Druckwasserreaktor der 2. Generation liegt zusammen mit dem Kraftwerksblock Biblis B (Doppelblockanlage) am rechten Rheinufer im Gebiet der südhessischen Gemeinde Biblis. Genehmigungsinhaberin und Betreiberin des Kernkraftwerks ist die RWE Power AG. Die Errichtung des KWB A wurde im Januar 1970 begonnen, der kommerzielle Leistungsbetrieb begann am 26. Februar 1975. Die elektrische Bruttoleistung von KWB A beträgt 1.225 Megawatt.
In Deutschland gab es vier Generationen von Druckwasserreaktoren. Die beiden Kernkraftwerke der ersten Generationen, Obrigheim und Stade, wurden bereits abgeschaltet. Das KWB A ist der älteste Druckwasserreaktor der zweiten Generation.
Weitere Informationen:
- Ablehnungsbescheid: Entscheidung und Begründung
- Pressemitteilung vom 27.02.2008: Hessischer Verwaltungsgerichtshof weist RWE-Klage gegen das Bundesumweltministerium ab
- Hintergrund: OVG-Urteil zum Strommengenausgleich für das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich
- Rechtsprobleme der Strommengenübertragungen gemäß § 7 Abs. 1b bis 1d Atomgesetz