Michael Müller: Ausstieg aus der Atomkraft – die Auseinandersetzung zwischen neuem und altem Denken

26.07.2007
Hinweis: Dieser Text stammt aus dem Pressearchiv.
Veröffentlicht am:
Laufende Nummer: Nr. 205/07
Thema:
Herausgeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Leitung: Sigmar Gabriel
Amtszeit: 22.11.2005 - 28.10.2009
16. Wahlperiode: 22.11.2005 - 28.10.2009

Zur aktuellen Diskussion über die Nutzung der Atomenergie und die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke erklärt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Michael Müller:

Die Auseinandersetzung um die Nutzung der Atomkraft ist geprägt von entschlossener oder ideologischer Vergesslichkeit. Dabei liegen rund 35 Jahre intensiver Debatte über die Nutzung der nuklearen Stromerzeugung hinter uns, die von einigen besonders merkwürdigen Kommentaren als "zivilisationskritische Subkultur" abgetan wird.

Der Ausstiegsbeschluss aus der Atomenergie war keine rigorose Willkür, sondern ein Kompromiss, um einen langen Streit zu beenden und die Weichen für eine moderne und nachhaltige Energieversorgung zu stellen. Die Argumente für die Neuordnung sind über eine lange Zeit gewachsen. Deshalb:

  • Der geordnete Rückzug aus der Atomkraft aus dem Jahr 2001 blieb weit hinter dem zurück, was die Atomkraftgegner gefordert hatten. Es ist ein beschleunigtes Auslaufen.

  • In den nächsten Jahren wird die Zahl der Atomkraftwerke in der Welt auf jeden Fall deutlich zurückgehen, viele der groß angekündigten Neubauten sind seit Jahrzehnten bekannt.

  • 31 Staaten setzen auf Atomstrom. Allein seit 2001 haben 46 Staaten der Erde das deutsche Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien übernommen. Deren Planungen werden nach den Zielen des UN-Weltklimarates im Jahr 2020 weltweit rund doppelt so hoch liegen wie der nukleare Stromanteil.

  • Die Alternativen sind davon gekennzeichnet, dass sie deutlich preiswerter werden, während die traditionellen Energieträger teurer werden.

  • Natürlich gibt es kein Leben ohne Risiko, aber es geht bei der Atomkraft um die Frage, ob dieses Risiko erstens vertretbar und zweitens vermeidbar ist.

Dazu ist zu sagen:

  • Erstens: Niemand bestreitet, dass der Sicherheitsstandard in Deutschland hoch ist, obwohl auch hier eine Vielzahl von Atomkraftwerken Schwachstellen aufweisen. Aber auch für unser Land kann ein schwerer Unfall nicht ausgeschlossen werden. Die Explosion 2001 in Brunsbüttel war kritisch und auch die terroristischen Gefahren dürfen nicht unterschätzt werden. Der Ablauf des Trafobrands und der Ausfall von Pumpen sind keine Kleinigkeit, die man als "Knallfrösche" abtun darf. Deshalb ist ein Vergleich des Risikos der Atomenergie mit Straßen- oder Luftverkehr eine Verkennung der Dimension. Jede Risikobetrachtung hat zwei Seiten: Die Eintrittswahrscheinlichkeit und das mögliche Schadensausmaß. Die Vergleiche, die jetzt herangezogen werden, verniedlichen die Tatsache, dass ein GAU nicht ausgeschlossen werden kann und für unser Land katastrophale Folgen hätte..

  • Zweitens: Wirtschaft und Gesellschaft sind nicht von der Atomkraft abhängig. Es gibt Alternativen, die in der Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. Die Atomkraft ist ein Auslaufmodell – schon wegen der begrenzten Uranressourcen. Die technologische Entwicklung lässt heute dezentrale Energiesysteme zu. Denen gehört die Zukunft. Und sie sind das Gegenteil der kapitalintensiven und unflexiblen Struktur der großen Atomkraftwerke.

  • Kein Atomkraftbefürworter kann den Widerspruch auflösen, die Atomkraft als wichtigen Beitrag zum Klimaschutz anzupreisen, aber gerade diese Technologie für alle instabilen Länder der Erde, von denen es sehr viele gibt, ausschließen zu wollen.

  • Auch zum Klimaschutz taugt die Atomkraft nicht, denn im Kern geht es nicht um einen Austausch der Brennstoffe, sondern um die drastische Reduktion des Energieverbrauchs und um die Marktöffnung für Newcomer. Beides wird heute durch die Verbundwirtschaft, deren Rückgrat in Deutschland die Atomkraftwerke sind, verhindert.

  • Die Klima-Enquete des deutschen Bundestages hat schon 1990 (auf der Basis von mehr als 150 umfangreichen Studien alle führenden energiewissenschaftlichen Institute) nachgewiesen, dass die Atomkraft das Klimaproblem nicht lösen kann und sogar moderne Energiedienstleistungen blockiert.

  • Die richtige Formel heißt "Klimaschutz durch Atomausstieg", weil wir eine neue Struktur der Energieversorgung brauchen, die sowohl eine Nutzung der Effizienzpotenziale als auch eine Marktöffnung für die erneuerbaren Energien ermöglicht. Sie muss dezentral, flexibel und vernetzbar sein. Das ist die Atomkraft nicht.

  • Die Energiedienstleistungen setzen sowohl auf der Angebots- wie der Nachfrageseite an. Die Effizienztechnologien kommen zu hohen Wirkungsgraden bei Wandlung und Nutzung von Energie. Das ist mit der Atomkraft nicht vereinbar, die über einen Wirkungsgrad von 30 Prozent nicht hinauskommt.

Insofern ist die Auseinandersetzung um die Atomkraft eine Auseinandersetzung zwischen altem und neuem Denken. Die Befürworter sind Anhänger einer Energie- und Technikphilosophie, die keine Zukunft haben kann. Entscheidend ist es, heute die Weichen für eine nachhaltige Energieversorgung zu stellen. Die, die heute die Atomkraft verlängern oder sogar neu beleben wollen, sind von gestern. Doch gerade unser Land ist nur dann stark, wenn wir die Zukunft antizipieren und dabei besser und schneller sind als andere.

26.07.2007 | Pressemitteilung Nr. 205/07
https://www.bmuv.de/PM3499
  • Fotogalerie Videogalerie

    Mediathek

    Das Ministerium in Bildern

  • Fotogalerie Videogalerie Interviews

    Online-Tagebuch

    Aus der täglichen Arbeit des Ministeriums

  • Newsletter

    Newsletter

    Meldungen per E-Mail empfangen

Wege zum Dialog

Gute Politik für Umweltschutz und Verbraucherschutz gelingt, wenn sie gemeinsam gestaltet wird. Schreiben Sie uns oder beteiligen Sie sich an unseren Dialogangeboten.