Strommengen dürfen nicht von Mülheim-Kärlich auf Biblis A übertragen werden / Antrag widerspricht dem Atomgesetz
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat heute die im Hauptantrag vom Essener Energiekonzern RWE beantragte Übertragung von Strommengen des stillgelegten Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich auf das Atomkraftwerk Biblis A abgelehnt. Ein vom Bundesumweltministerium erarbeiteter Entscheidungsentwurf war Anfang März RWE zur Anhörung übersandt worden. Nach Prüfung einer Stellungnahme der Rechtsanwälte des Konzerns hat das Bundesumweltministerium jetzt einen Ablehnungsbescheid erlassen.
RWE hatte im September 2006 beim Bundesumweltministerium die Zustimmung zu einer Übertragung von Reststrommengen auf Biblis A beantragt. Die Übertragung soll aus dem Kontingent erfolgen, das RWE für das stillgelegte Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich zugewiesen wurde. Für den Fall einer Ablehnung dieses Antrages hat RWE hilfsweise beantragt, Strommengen vom Atomkraftwerk Emsland in Lingen auf Biblis A zu übertragen. Über diesen Hilfsantrag wird gesondert entschieden.
Bundesumweltminister Gabriel: "Nach dem Atomgesetz dürfen Strommengen von Mülheim-Kärlich nicht auf das Atomkraftwerk Biblis A übertragen werden. Der Hauptantrag von RWE widerspricht auch der Vereinbarung, die die Energieversorgungsunternehmen am 14. Juni 2000 mit der Bundesregierung abgeschlossenen haben."
Die Rechtsauffassung des Bundesumweltministeriums wird durch ein Gutachten des Staats- und Verwaltungsrechtlers Prof. Dr. Joachim Wieland von der Universität Frankfurt a. M. gestützt. In dem Gutachten wird detailliert begründet, dass § 7 Abs. 1d Atomgesetz eine Übertragung der RWE für das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich zugewiesenen Strommenge lediglich auf die in der Fußnote der Anlage 3 aufgeführten Atomkraftwerke Emsland, Neckarwestheim 2, Isar 2, Gundremmingen B und C sowie bis zu einer Elektrizitätsmenge von 21,45 Terawattstunden (TWh) auf Biblis B gestattet.
Demgegenüber hatte RWE sich in seinem Antrag auf eine Bestimmung des Atomgesetzes berufen, nach der das Bundesumweltministerium im Einvernehmen mit Bundeskanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium der Übertragung von Produktionsrechten (Strommengen) von einem in Betrieb befindlichen neueren auf ein älteres Kernkraftwerk zustimmen kann (§ 7 Abs. 1b Satz 2 Atomgesetz). Das neue Rechtsgutachten bestätigt, dass diese Regelung auf die Strommengen, die RWE für Mülheim-Kärlich zugebilligt wurden, überhaupt nicht anwendbar ist. Das Bundesumweltministerium hat deshalb den Hauptantrag aus Rechtsgründen abgelehnt und in der Begründung seiner heutigen Entscheidung die dagegen von RWE vorgebrachten Argumente widerlegt.
RWE hat die Bewertung der Stellungnahme ihrer Rechtsanwälte durch das Bundesumweltministerium nicht abgewartet, sondern bereits am 26. April 2007 beim Verwaltungsgerichtshof Kassel Klage gegen das Bundesumweltministerium eingereicht. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof prüft derzeit eine Verweisung des Rechtsstreits an das für den Sitz des Bundesumweltministeriums in Bonn zuständige Verwaltungsgericht Köln.
Auch hinsichtlich der Strommengenübertragungen von Atomkraftwerken mit gültiger Genehmigung bestätigt Prof. Wieland die Rechtsauffassungen des Bundesumweltministeriums. Danach darf das Bundesumweltministerium einer Übertragung von einem jüngeren auf ein älteres Atomkraftwerk nur dann zustimmen, wenn die beabsichtigte betriebswirtschaftliche Optimierung nicht zu Lasten der Sicherheit geht. Das Bundesumweltministerium müsse bei solchen Anträgen nach § 7 Abs. 1b Satz 2 Atomgesetz eine eigene vergleichende Sicherheitsanalyse vornehmen und sei hierbei nicht an Bewertungen der Landesbehörden gebunden.
Auf dieser rechtlichen Basis wird der Hilfsantrag zur Übertragung von Strommengen vom Atomkraftwerk Emsland im Bundesumweltministerium weiter geprüft.
Hintergrund
Das Atomgesetz enthält für das Kontingent, das Mülheim-Kärlich zugebilligt wurde, eine spezielle Festlegung der Übertragungsmöglichkeiten. In Anlage 3 des Gesetzes werden die Atomkraftwerke einzeln aufgeführt, auf welche diese Strommenge von insgesamt 107,25 TWh (Terawattstunden) aus Mülheim-Kärlich übertragen werden dürfen.
Es sind dies die Atomkraftwerke Emsland, Neckarwestheim 2, Isar 2, Brokdorf sowie Gundremmingen B und C; auf Biblis B dürfen maximal 21,45 TWh von Mülheim-Kärlich übertragen werden. Das Atomkraftwerk Biblis A ist in der Fußnote zur Anlage 3 nicht genannt. In § 7 Absatz 1d Atomgesetz ist zudem festgelegt, dass die aus Mülheim-Kärlich stammende Elektrizitätsmenge "nur nach Übertragung auf die dort aufgeführten Kernkraftwerke in diesen produziert werden darf". Mit diesen gesetzlichen Vorschriften wurde die Regelung, die Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen im Atomkonsens vom 14. Juni 2000 zu Mülheim-Kärlich getroffen haben einschließlich der dort bereits vorgesehenen Beschränkungen der Übertragungsmöglichkeiten, umgesetzt.
Das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich wurde 1986 fertig gestellt und in Betrieb genommen. Im September 1988 musste RWE den Betrieb einstellen, nachdem das Bundesverwaltungsgericht die 1975 erteilte Erste Teilgenehmigung aufgehoben hatte. Eine 1990 neu erteilte Erste Teilgenehmigung wurde 1995 wegen unzureichender Ermittlungen der Genehmigungsbehörde zur Erdbebenauslegung ebenfalls gerichtlich aufgehoben. Im Rahmen der Verhandlungen über den Atomausstieg verpflichtete RWE sich gegenüber der Bundesregierung, den Genehmigungsantrag für das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich und eine Schadenersatzklage gegen die rheinland-pfälzische Genehmigungsbehörde zurückzuziehen.
Zum Ausgleich sollte RWE die Möglichkeit erhalten, 107,25 TWh auf bestimmte andere Atomkraftwerke zu übertragen. In der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000, dem Atomkonsens, wurde hierzu festgelegt: "Es besteht Einvernehmen, dass diese Strommenge auf das KKW Emsland oder andere neuere Anlagen sowie auf die Blöcke B und C des KKW Gundremmingen und max. 20 Prozent auf das KKW Biblis B übertragen werden."
Für den Fall einer Ablehnung des Antrags einer Strommengenübertragung vom Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich hatte RWE bereits im letzten Jahr vorsorglich die Zustimmung zur Übertragung einer Reststrommenge vom Atomkraftwerk Emsland auf Biblis A beantragt. Nach der Ablehnung des Hauptantrags setzt das Bundesumweltministerium seine fachliche Prüfung dieses Hilfsantrags fort. Das Ministerium hat RWE mehrfach aufgefordert, aussagekräftige Dokumente für eine vergleichende Sicherheitsanalyse beider Atomkraftwerke vorzulegen. Ein von RWE erst am 22. März 2007 übersandter Bericht zum technischen Stand von Biblis A entspricht zwar nicht dem detaillierten Anforderungskatalog des Bundesumweltministeriums. Das Bundesumweltministerium wird diesen Bericht dennoch im Rahmen seiner vergleichenden Sicherheitsanalyse mit dem Atomkraftwerk Emsland prüfen.
Weitere Informationen:
- Pressemitteilung vom 09.03.2007: Strommengenübertragung von Mülheim-Kärlich auf Biblis A ist abzulehnen
- Pressemitteilung vom 06.03.2007: Antrag auf Laufzeitverlängerung für Brunsbüttel wird auf Grundlage des Atomgesetzes entschieden