Die Atomkraft ist keine Zukunftsenergie

10.08.2006
Hinweis: Dieser Text stammt aus dem Pressearchiv.
Veröffentlicht am:
Laufende Nummer: Nr. 202/06
Thema:
Herausgeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Leitung: Sigmar Gabriel
Amtszeit: 22.11.2005 - 28.10.2009
16. Wahlperiode: 22.11.2005 - 28.10.2009

Zur aktuellen Debatte um die Atomkraft erklärt Michael Müller, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium:

"In den letzten Monaten ist die Debatte über die Atomkraft neu entfacht, so als hätte es die Debatte vor allem der achtziger und neunziger Jahre nie gegeben. Dabei sind alle heute wieder vorgebrachten Argumente für die Nutzung der Atomenergie längst intensiv diskutiert und widerlegt worden. Im Gegenteil: Während damals die Alternativen zur Atomnutzung nur theoretisch aufgezeigt werden konnten, zeigt der Erfolg der Erneuerbaren Energien in den letzten Jahren, dass eine nachhaltige Energieversorgung möglich ist. Schon ist ein Anteil von knapp 11 Prozent bei der Stromerzeugung erreicht und die Zahl der Beschäftigten liegt bei 160.000, eine einmalige Erfolgsgeschichte.

Dennoch hat sich in der Energiepolitik eine Ideologie der Einfallslosigkeit, die Innovationen scheut, wie Mehltau über die Debatte ausgebreitet. Dabei ist unbestritten, dass den drei ökologischen Säulen Energiesparen, Effizienzsteigerung und erneuerbare Energien die Zukunft gehört. Jede weitsichtige Volkswirtschaft muss darauf ihre Kräfte konzentrieren, um die Nase vorn zu haben. Dieser Ausbau ist in unserem Land lange Zeit nicht mit den, sondern gegen die großen Energieunternehmen durchgesetzt worden. Sie haben vor allem blockiert, geklagt und versucht, zu verhindern. Den Schumpeterschen Unternehmergeist hat man bei kleinen und mittleren Unternehmen gefunden, leider nicht bei den starken Konzernen.

Unter Innovationen verstehen vor allem die Wirtschaftsverbände meist nur die Anpassung an kurzfristige Zwänge. Ein gestandenes und mutiges Unternehmertum, das einen Kompetenzvorsprung erreichen will, ist immer seltener anzufinden. Das ist ein Teil der deutschen Krise.

Was spricht für, was spricht gegen die Atomkraft?

Für die Atomenergie spricht eigentlich nur, dass Atomstrom aus abgeschriebenen Kraftwerken vergleichsweise preiswert ist und den Betreibern hohe Gewinne bringt. Zwei Einwände sind notwendig. Erstens muss auch für alte Atomkraftwerke der Grundsatz "Sicherheit zuerst" gelten, dadurch sind oftmals teure Nachrüstungen notwendig. Allein beim AKW Brunsbüttel sind Mängel in dreistelliger Zahl registriert worden. Zweitens beziehen die Rechnungen die hohen Subventionen, die in die Atomkraft geflossen sind, nicht mit ein. Und auch die steuerbegünstigten Rückstellungen, die den Betreibern erhebliche Vorteile verschaffen, werden verschwiegen.

Die Behauptung, dass es eine weltweite Renaissance der Atomenergie gäbe, ist dagegen falsch. In den letzten zwei Jahrzehnten sind deutlich mehr Atomkraftwerke vom Netz gegangen als neue hinzugekommen. Die Neubauten stehen oftmals schon seit vielen Jahren nur auf dem Papier. Insgesamt sind es vergleichsweise wenige Länder, die Atomstrom nutzen, wogegen es einen weltweiten Boom für die erneuerbaren Energien gibt, bei denen die Bundesrepublik Weltmarktführer ist. Hier liegen ohne Zweifel die wichtigsten Zukunftsmärkte.

Sollten tatsächlich neue Atomkraftwerke gebaut werden, dann doch nach dem höchsten Sicherheitsstand, den die damaligen Umweltminister Klaus Töpfer und Angela Merkel Anfang der neunziger Jahre so definiert haben, dass im Falle eines Unfalls die Folgen auf die Anlage begrenzt bleiben müssen. Das ist heute technisch nicht möglich, würde aber auf jeden Fall so teuer, dass diese Kraftwerke unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten kaum darstellbar sind.

Falsch ist auch die Behauptung, die Atomkraftwerke seien notwendig zum Klimaschutz. Diese Behauptung hält sich, obwohl sie schon oft - zum Beispiel von der renommierten Klima-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages - widerlegt wurde. Denn es geht beim Klimaschutz nicht um den bloßen Austausch von Energieträgern, sondern um eine prinzipielle Strategie der Vermeidung überflüssigen Energieeinsatzes in Verbindung mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien. Die Atomenergie ist aber eine ineffiziente Form der Energieumwandlung, deren Wirkungsgrad die 30 Prozent kaum übersteigt. Zudem rechnet sie sich nur in großen Anlagen, deren Kapazitäten möglichst expansiv genutzt werden.

Klimaschutz verlangt aber das Gegenteil, nämlich die systematische Ausschöpfung aller Effizienz- und Einsparpotenziale. Das aber ist mit der Atomtechnologie nicht vereinbar. Tatsächlich ist eine neue Energiephilosophie notwendig, die auf Vermeidung angelegt ist. Die Befürworter der Atomenergie glauben, durch einen breiten Energiemix die Zukunftsfragen abwenden zu können. Das ist aber altes Denken. Heute geht es darum, das Prinzip der Energieintelligenz ins Zentrum zu stellen.

Die Atombefürworter argumentieren für eine Verlängerung der Laufzeiten, um den Übergang in die Erneuerbaren Energien zu erleichtern. Das Gegenteil ist richtig: Wir haben für den Übergang schon viel Zeit verloren, er muss beschleunigt werden. Aber hier ist die Verbundwirtschaft mit ihren Großkraftwerken die größte Bremse, weil sie Newcomern den Markteintritt erschwert. Warum haben die großen Betreiberfirmen bis heute nicht ihre gewaltigen finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten genutzt, um bei der Energiewende voranzugehen? Der Grund ist einfach: Sie wollen ihre Geschäfte im alten Energiesektor nicht schmälern.

Hinzu kommen die bekannten Risiken, die nicht verschwunden sind, auch wenn heute weniger intensiv darüber geredet wird:

  1. Die Sicherheitsfrage: Der Beinahe-Gau von Forsmark in Schweden kann nicht mit der maroden Technik östlicher Kraftwerke erklärt werden. In dem High-Tech-Land Schweden, das - gemessen am Bruttoinlandsprodukt - 60 Prozent mehr für Forschung und Entwicklung ausgibt, hat es einen Unfall gegeben, der in den Sicherheitsszenarien nicht vorgesehen war. Nicht einmal menschliches Versagen, das nie auszuschließen ist, sondern ein Versagen der Technik löste den Störfall aus. Natürlich gibt es in Deutschland andere Regelungen, aber auch hier können unvorhergesehene Abläufe eintreten. Auch nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl gab es in Deutschland mehrere schwere Störfälle. Auch wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit gering ist, so können sie nicht ausgeschlossen werden. Dann aber ist die zweite Dimension der Sicherheitsbewertung ausschlaggebend, der Schadensumfang.

  2. Die Gefahr eines terroristischen Anschlags und eines militärischen Missbrauchs. Diese Gefahren sind in den letzten Jahren nicht kleiner, sondern größer geworden. Stichworte sind der 11. September 2001, Iran oder Nordkorea.

  3. Nirgendwo in der Welt gibt es einen sicheren Einschluss des nuklearen Abfalls. Wir haben mit der Atomkraft einen Jumbo-Jet gestartet, ohne eine Landebahn zu haben.

Von daher bleibt das Ziel richtig, möglichst schnell die Wende in eine nachhaltige Energieversorgung zu schaffen. Die Energiefrage ist eine Schlüsselfrage dieses Jahrhunderts. Hier muss sich die Innovationskraft unserer Volkswirtschaft zeigen. Noch hat unser Land einen Vorsprung, der leider nicht mit, sondern trotz der großen Energiekonzerne erreicht wurde. Doch andere Länder sind dabei schnell aufzuholen. Deshalb dürfen wir nicht länger die Schlachten von gestern führen, sondern müssen unsere Kräfte auf die erneuerbaren und effizienten Energietechnologien konzentrieren. Sonst geht es uns auch hier wie bei vielen anderen Technologien: Unser Land war führend bei der Entwicklung, doch in der Umsetzung waren andere schneller."

10.08.2006 | Pressemitteilung Nr. 202/06
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