Gemeinsamer Appell der Umweltminister Deutschlands, Frankreichs und Spaniens
In der morgigen Ausgabe der "Frankfurter Rundschau" (27.5.2005) erscheint der folgende Namensartikel unter der gemeinsamen Autorenschaft der spanischen Umweltministerin Christina Narbona Ruiz, des französischen Umweltministers Serge Lepeltier und von Bundesumweltminister Jürgen Trittin:
Seit Anfang der siebziger Jahre haben Umweltthemen ihren festen Platz in der globalen Politik. Die Institution, die diesen Themen weltweit Gehör verschafft, ist das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). Trotz der vielfältigen Umweltprobleme weltweit konnte 1972 nur die Gründung einer schlanken UN-Behörde durchgesetzt werden. Seither haben sich die globalen Umweltprobleme vervielfacht, und auch wenn seither zahlreiche völkerrechtliche Umweltabkommen ausgearbeitet und ratifiziert wurden, gibt es massive Umsetzungsdefizite in der globalen Umweltpolitik.
Trotz aller bisherigen Anstrengungen konnte nicht verhindert werden, dass wir unseren Planeten immer näher an den Rand des ökologischen Zusammenbruchs bringen: Der Raubbau an den natürlichen Ressourcen wird fortgesetzt, das alarmierende Tempo des Artensterbens und die Zerstörung der Tropenwälder halten an und damit beschneiden wir die Entwicklungschancen heutiger und künftiger Generationen. Über 1,2 Milliarden Menschen steht weniger als ein Dollar pro Tag zur Verfügung. 2,6 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sanitärer Grundversorgung, 2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Energie. Daraus folgt für uns, dass globaler Umweltschutz und das Wohlergehen von Milliarden Menschen in den Mittelpunkt der internationalen Politik gestellt werden müssen. Eine intakte Umwelt ist entscheidende Voraussetzung für das Überleben der Menschheit und folglich eine Frage internationaler Sicherheit und insoweit genauso wichtig wie der Kampf gegen den Terrorismus.
Sowohl 1992 auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro als auch 2002 auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg haben alle Staaten konkrete und ehrgeizige Ziele und Maßnahmen, insbesondere in den Bereichen Armutsbekämpfung, Energie, Wasser und sanitäre Grundversorgung, biologische Vielfalt, Entwaldung, Meeresverschmutzung, Kreislaufwirtschaft und Chemikaliensicherheit, festgelegt. Eines der herausragenden Ergebnisse von Johannesburg war der Beschluss, den globalen Anteil erneuerbarer Energien beträchtlich zu erhöhen.
Vor einigen Wochen erklärte UN-Generalsekretär Kofi Annan bei der Vorstellung seines Berichts zur Reform der Vereinten Nationen, dass die multilateral vereinbarten Ziele und Vorgaben erreicht werden können - jedoch nur dann, wenn die UN-Mitgliedstaaten bereit sind, sich auf ein Bündel konkreter, zielführender Maßnahmen zu verständigen.
Nun, da wir uns dem Zeitpunkt der Entscheidung über eine Reform der Vereinten Nationen nähern, begrüßen wir es sehr, dass sich Kofi Annan unter anderem für "eine integriertere Struktur" des Umweltschutzes in den Vereinten Nationen ausgesprochen hat. 33 Jahre nach der Gründung von UNEP zeigt sich, dass die institutionellen Strukturen der UNO im Umweltbereich den wachsenden Herausforderungen nicht gerecht werden. Darunter leidet insgesamt die Glaubwürdigkeit internationaler Umweltpolitik - trotz der international hoch angesehenen und erfolgreichen Arbeit des amtierenden UNEP-Exekutivdirektors Professor Dr. Klaus Töpfer, dem keine andere Wahl bleibt, als unter den derzeitigen ungenügenden Bedingungen zu arbeiten.
Der hohe Anspruch der Millenniumserklärung und des Johannesburg-Gipfels kann nur dann eingelöst werden, wenn der globale Umweltschutz in den Händen einer internationalen Organisation liegt, deren Struktur mit denen für andere Politikbereiche vergleichbar ist. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen ist nicht auf gleicher Augenhöhe mit anderen internationalen Organisationen - von der Welthandelsorganisation, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds ganz zu schweigen. Die Architektur der internationalen Umweltordnung muss an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Institution, die für das Überleben unseres Planeten eintritt, in den Vereinten Nationen weiterhin klein gehalten wird. Die anspruchsvollen Aufgaben erfordern Autorität, gerade auch in institutioneller Hinsicht.
Der im September 2005 stattfindende UN-Gipfel, der die Umsetzung der UN-Millenniumserklärung und der Ergebnisse anderer wichtiger Konferenzen der Vereinten Nationen wie des Johannesburg-Gipfels überprüfen wird, ist der richtige Zeitpunkt für die Beseitigung des bestehenden Ungleichgewichts. Unterstützt von den Staats- und Regierungschefs Jacques Chirac, Gerhard Schröder und José Luis Rodríguez Zapatero schlagen wir deshalb die Umwandlung von UNEP in eine UN-Umweltorganisation mit Sitz in Nairobi vor. Dieser Vorschlag wird von einer wachsenden Zahl von Industrie- und Entwicklungsländern einschließlich China unterstützt.
Vergleichbar zur Weltgesundheitsorganisation (WHO) und zur Welternährungsorganisation (FAO) wird die UN-Umweltorganisation (UNEO) auf breiterer und stabiler finanzieller Grundlage viel besser als UNEP heute in der Lage sein,
- geeignete Regeln und Rahmenvorgaben zu entwickeln, um ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Globalisierung und globalem Umweltschutz herzustellen;
- Politikempfehlungen gegenüber den verschiedenen souveränen Entscheidungsstrukturen der multilateralen Umweltabkommen, gegenüber dem UN-System insgesamt sowie gegenüber den internationalen Finanzinstitutionen abzugeben;
- als Umweltsäule der nachhaltigen Entwicklung innerhalb des UN-Systems dafür zu sorgen, dass die Verpflichtungen des Rio- und des Johannesburg-Gipfels international ernstgenommen und ordnungsgemäß überprüft werden, da deren Umsetzung vorangebracht werden muss;
- die Entwicklungsländer in Zusammenarbeit mit den wichtigsten Entwicklungsorganisationen insbesondere durch Maßnahmen im Bereich Kapazitätsaufbau bei der Umsetzung internationaler, regionaler und nationaler Umweltpolitiken zu unterstützen;
- die drängenden Umweltprobleme wie etwa den Rückgang der biologischen Vielfalt, den Klimawandel, die Wasser- und Luftverschmutzung, Umweltkatastrophen, nicht nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sowie die Verhütung grenzüberschreitender Konflikte und Konfliktnachsorge in Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen, wie z. B. der Weltbank, dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP), der Globalen Umweltfazilität GEF und den zuständigen Gremien der multilateralen Umweltabkommen, anzugehen;
- das weltweite Bewusstsein für die prekäre Lage der Umwelt zu schärfen.
Die Zeit ist reif. Wir brauchen eine starke UN-Umweltorganisation.