Bundesumweltministerium lehnt Benachteiligung kleiner und mittelständischer Chemie-Betriebe ab

22.02.2005
Hinweis: Dieser Text stammt aus dem Pressearchiv.
Veröffentlicht am:
Laufende Nummer: Nr. 042/05
Thema: Wirtschaft
Herausgeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Leitung: Jürgen Trittin
Amtszeit: 27.10.1998 - 22.11.2005
15. Wahlperiode: 22.10.2002 - 22.11.2005
Trittin: Die Großen der Chemiebranche wollen sich Vorteile zu Lasten der Verbraucher verschaffen

Trittin: Die Großen der Chemiebranche wollen sich Vorteile zu Lasten der Verbraucher verschaffen

In der Diskussion um das neue europäische Chemikalienrecht hat sich das Bundesumweltministerium ablehnend zu einem gemeinsamen Vorschlag des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) und des europäischen Chemiedachverbands CEFIC geäußert. "Wir kommen zu dem Ergebnis, dass der Vorschlag der beiden Verbände einseitig darauf abzielt, die Grossen der Chemie-Branche auf Kosten der klein- und mittelständischen Unternehmen, aber auch anderer Wirtschaftszweige und des Umwelt- und Verbraucherschutzes von der überfälligen Sicherheitsprüfung ihrer Produkte frei zu zeichnen. Das ist inakzeptabel", sagte Bundesumweltminister Jürgen Trittin. Er forderte den VCI auf, zu der gemeinsamen Position zurückzukehren, die die Bundesregierung mit der Chemischen Industrie und der IG BCE seit 2001 in mehreren Positionspapieren entwickelt hat.

Der Vorschlag der EU-Kommission für das neue europäische Chemikaliengesetz REACH (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals) sieht eine systematische Prüfung der von der Chemischen Industrie hergestellten Chemikalien auf Umwelt- und Gesundheitsgefahren vor. Für die Prüfanforderungen ist eine Kombination aus mengen- und risikobezogenen Elementen maßgeblich. Damit wird sichergestellt, dass für die Entscheidung über den bei einem Stoff konkret bestehenden Prüfbedarf die bereits vorliegenden verwertbaren Erstinformationen einbezogen werden. Zugleich wird eine Überbelastung der Hersteller kleiner Stoffmengen vermieden.

Auch nach dem EU-Kommissionsvorschlag kann die Industrie auf die Prüfung von Langzeitwirkungen verzichten. Sie muss dann aber begründet darlegen, dass Mensch und Umwelt tatsächlich nicht mit dem Stoff in Berührung kommen. Bei Stoffen, die in großen Mengen produziert, in der Regel an viele verschiedene Abnehmer verkauft und von diesen zu den verschiedensten Zwecken verwendet werden, ist aber eine Exposition in der Praxis kaum auszuschließen. Mit ihrem Vorschlag wollen die Chemikalienhersteller die Beweislast umdrehen: Erst wenn die Verwender oder die Behörden nachgewiesen haben, dass Mensch und Umwelt einem Stoff tatsächlich ausgesetzt sind, wollen die Chemikalienhersteller sich mit möglichen Spätfolgen befassen müssen, sofern es ihnen nicht sogar gelingt, diese Aufgabe auf den betreffenden Verwender abzuwälzen. Dies ist das Ergebnis von Fachgesprächen, die das Bundesumweltministerium in den letzten Tagen sowohl mit dem VCI als auch mit den Bundesbehörden geführt hat, die in Deutschland mit Chemikalienbewertungsfragen befasst sind. Dies sind Umweltbundesamt und Bundesinstitut für Risikobewertung sowie die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Denn der Vorschlag der Chemikalienhersteller sieht vor, die Prüfanforderungen grundsätzlich von der Exposition, also dem Umfang, in dem Umwelt, Arbeitnehmer und Verbraucher dem Stoff ausgesetzt sind, abhängig zu machen. Dies ist aber auch mit Hilfe von Vergröberungen nur schwer zu ermitteln. Bestimmte Mindestdaten sollen nur für einige akute Wirkungen erhoben werden. Belastbare Einschätzungen zu den Spätfolgen einer Chemikalienexposition, wie zum Beispiel der Krebserzeugung, der Veränderung des Erbguts, der Verursachung von Missbildungen im Mutterleib oder der Schädigung von Organen wie Leber und Niere ermöglichen diese Mindestdaten nicht.

In dem Konzept der Chemie-Verbände soll sich die Chemische Industrie außerdem dadurch von weitergehenden Stoffprüfungen befreien können, dass sie so genannte "Abschneidekriterien" in Anspruch nimmt. Das sind Regelungen, wonach Stoffgefahren nicht geprüft werden müssen, wenn beispielsweise bestimmte Konzentrationsgrenzen im Endprodukt eingehalten werden. Die Verantwortung für die Einhaltung dieser Kriterien hätte aber nicht sie selbst, sondern der Verwender des Stoffes, also in erster Linie Wirtschaftsunternehmen anderer Branchen. Die Festlegung der Abschneidekriterien ist im Übrigen äußerst heikel: Eine sicherheitsbewusste Ausgestaltung würde nach dem VCI/CEFIC-Konzept zu Prüfbelastungen führen, die bei kleineren Stoffmengen weit über den Kommissionsentwurf hinausgehen. Dies würde vor allem kleine und mittlere Unternehmen treffen. Eine weniger sicherheitsbewusste Ausgestaltung ergäbe umgekehrt unvertretbare Datenlücken bei Stoffen, die in großen Mengen gehandelt und verarbeitet werden. Die Verbände haben hierzu bezeichnenderweise keine konkreten Vorschläge vorgelegt, sondern verweisen auf eine im weiteren Verfahren hierzu zu leistende Arbeit.

"Der expositionsbezogene Ansatz der Chemieverbände scheint nur auf dem ersten Blick einfach. In Wahrheit ist er für fast alle Beteiligten, auch der Wirtschaft, wesentlich komplizierter als der EU-Kommissionsvorschlag. Einfacher würde es nur für einige wenige Grossunternehmen der Chemischen Industrie", so der Bundesumweltminister.

22.02.2005 | Pressemitteilung Nr. 042/05 | Wirtschaft
https://www.bmuv.de/PM2557
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