Vor 25 Jahren, am 10. Juli 1976, ereignete sich im italienischen Seveso einer der folgenschwersten Störfälle in der chemischen Industrie. Bei der Produktion von Pflanzenschutzmitteln gelangte das später als "Seveso-Dioxin" bezeichnete Gift (2,3,7,8-Tetrachlor-dibenzo-dioxin) in grossen Mengen in die Umwelt. Arbeiter der Firma Icmesa und Bewohner des Ortes Seveso erlitten sichtbar in erster Linie Hautschäden. Aus Anlass des Jahrestages des Störfalls erklärt Bundesumweltminister Jürgen Trittin:
Der Störfall in Seveso war der Anstoss für eine europaweit verbesserte Chemikalienpolitik. Sie führte zum Chemikaliengesetz, zur Richtlinie über Anlagensicherheit (die sogenannte Seveso-Richtlinie) sowie zum Basler Übereinkommen über die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle. Trotz der erzielten Erfolge unternehmen wir weitere Schritte zur Chemikalien- und Anlagensicherheit, damit Mensch und Umwelt noch wirksamer vor giftigen Einträgen geschützt werden. Mit der angestrebten Novellierung der Seveso-II-Richtlinie soll die Anlagensicherheit weiter verbessert werden. Die Bundesregierung unterstützt das von der EU-Kommission vorgelegte Weissbuch zur Chemikalienpolitik, das ein neues, einheitliches System zur Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien vorsieht und eine bessere Beurteilung des Risikopotenzials der Altstoffe ermoeglichen soll. Kürzlich hat die Bundesrepublik die Konvention über persistente organische Stoffe (POP) unterzeichnet. Mit diesem Übereinkommen ist ein grosser Schritt zum weltweiten Verbot gefährlicher Chemikalien gelungen.
Solche verheerenden Störfaelle wie der von Seveso machten aber nur einen geringen Anteil an der Dioxinbelastung für Mensch und Umwelt aus. Weit grössere Mengen an Dioxinen wurden als Nebenprodukte zahlreicher chemischer und thermischer Prozesse freigesetzt, gelangten somit in die Umwelt und über Futter- und Lebensmittel letztendlich in den menschlichen Körper. Zu Recht trug Ende der 70er Jahre ein Buch den Titel "Seveso ist überall". Insbesondere Müllverbrennungsanlagen waren Quellen für die Freisetzung von Dioxin, aber auch Kabelverschwelungsanlagen vergifteten beim Verbrennen von PVC die Umwelt, die Chlorbleiche von Papier war Standard. Polychlorierte Biphenyle (PCB) und das Holzschutzmittel Pentachlorphenol (PCP) wiesen hohe Verunreinigungen mit Dioxinen auf. Die breite Diskussion führte zu Beginn der 90er Jahre zu einer Umorientierung der Politik.
Die Festlegung von Grenzwerten für Müllverbrennungsanlagen, das Verbot von PCB und PCP, die Senkung von Grenzwerten im landwirtschaftlich genutzten Klärschlamm und die Festlegung von Grenzwerten in bestimmten Futtermitteln waren entscheidende Schritte, die Freisetzung von Dioxin und den Eintrag in die Umwelt - und damit die Belastung von Futter- und Lebensmitteln - drastisch zu reduzieren. Die erzielten Erfolg lassen sich z. B. an der Muttermilch belegen. Der Gehalt an Dioxinen in der Frauenmilch nimmt seit Anfang der 90er Jahre kontinuierlich ab und ist auf etwa 50 Prozent der Werte aus den 80er Jahren gesunken.
Dank einer konsequenten Umweltpolitik ist das Problem der Dioxinbelastung in der Bundesrepublik weitgehend gelöst. Einzelne Fälle wie hohe Dioxinkonzentrationen in Futtermitteln gehen auf kriminelle Machenschaften zurück. So wurden in Belgien Futtermittel mit Altöl verpanscht. Das unterstreicht, wie notwendig strikte Kontrollen und Überwachung sind.