3,5 Millionen DM für neue Forschungsvorhaben vergeben
Seit einigen Jahren wächst die Sorge, daß bestimmte Industriechemikalien auf das Hormonsystem von Mensch und Tier einwirken. Unklar ist, ob diese Chemikalien bereits in den geringen Konzentrationen, die in der Umwelt zu finden sind, negative Auswirkungen haben und welcher Art die Schädigungen sind.
Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel: "Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Ursache-/Wirkungsbeziehung weder bewiesen noch widerlegt werden kann, sind mögliche Auswirkungen auf Mensch und Natur rasch auf nationaler und internationaler Ebene zu klären. Im Sinne einer verantwortlichen und vorsorgenden Umweltpolitik müssen wir schnell Antworten auf die zahlreichen noch offenen Fragen zur Wirkung hormonell wirksamer Substanzen auf Mensch und Umwelt finden. Hierzu sind zunächst zuverlässige Nachweis- und Prüfmethoden für hormonell wirksame Stoffe zu entwickeln. Das Vorkommen dieser Substanzen und die in der Umwelt auftretenden Konzentrationen sind zu ermitteln. Letztendlich ist die Wirkung dieser Chemikalien auf Mensch und Ökosysteme zu erforschen."
Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt haben hier einen Schwerpunkt ihrer Forschungsanstrengungen gesetzt. Bereits 1996 wurden fünf Vorhaben mit einem Finanzvolumen in Höhe von 1,2 Millionen DM vergeben. Für Neuvorhaben stellt das Bundesumweltministerium nun-mehr weitere 3,5 Millionen DM zur Verfügung. Neun neue Vorhaben werden in diesen Tagen über den Umweltforschungsplan des Umweltbundesamtes vergeben.
Weitere Einzelprojekte in Höhe von 1,7 Millionen DM - in Ergänzung zur Forschungsförderung in den Großforschungseinrichtungen - werden vom Bundesforschungsministerium gefördert. Auch die EU und die chemische Industrie beteiligen sich an dieser Aktion mit eigenen Forschungsvorhaben.
Wissenschaftler verschiedener Länder haben über Störungen der Fortpflanzung bei einer Reihe wildlebender Arten wie z. B. bei verschiedenen Wasserschnecken, Fischen, Reptilien oder Vögeln berichtet. Die beobachteten Phänomene waren Verweiblichung der Männchen, Verringerung der Fruchtbarkeit oder Änderung des Sexualverhaltens. Die im Tierreich nachgewiesenen Veränderungen sind weitgehend unbestritten. Eine Verknüpfung mit der gleichzeitig festgestellten, teilweise sehr hohen Schadstoffbelastung liegt nahe. Häufig ist es jedoch nicht möglich, die beobachteten Effekte bestimmten Stoffen zuzuordnen.
Diskutiert wird zudem, ob ein beim Menschen beobachteter Anstieg an Brust- und Hodentumoren einerseits sowie ein Rückgang der Spermienzahl in den letzten Jahrzehnten andererseits im Zusammenhang mit einer Exposition gegenüber Umwelthormonen steht. Das Bundesumweltministerium nimmt die Warnungen ernst und hält eine rasche Abklärung für erforderlich.
Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel: "Das Bundesumweltministerium will mit der Konzentration seiner Umweltforschungsmittel erreichen, daß mögliche Risiken der von Umwelthormonen ausgehenden Gefahren abgeschätzt werden können. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse sind gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen."
Zur Klärung offener Fragen haben Bundesforschungs- und Bundesumweltministerium Forschungsvorhaben ausgeschrieben. Auf den Aufruf im Bundesanzeiger gingen über 100 Forschungsanträge ein. Diese wurden von externen Sachverständigen hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Förderungswürdigkeit begutachtet. Die nun vergebenen neun Vorhaben dienen der Ermittlung
- des Vorkommens von Umweltchemikalien und einer Abschätzung der Exposition von Mensch und Umwelt (Umweltanalytik),
- der Wirkung dieser Stoffe auf Mensch und Tier (Toxikologie, Wirkungsforschung),
- der Wirkung auf Ökosysteme (Ökotoxikologie) sowie
- der Ermittlung der Inzidenz bestimmter Krankheiten des Menschen, die mit Umwelthormonen in Verbindung gebracht werden (Epidemiologie).
Zu den Chemikalien, die im Mittelpunkt der Diskussion stehen, gehören
- Tributylzinn, das als Antifoulingmittel (Schiffanstriche) Anwendung findet,
- Alkylphenolethoxylate (APE), die in Reinigungsmitteln eingesetzt werden,
- Phthalate, die als Weichmacher in Kunststoffen verwendet werden sowie
- Bisphenol A, das als Ausgangsprodukt in der Kunststoffherstellung eingesetzt wird.
Im Rahmen des EU-Altstoffprogramms findet derzeit eine Bewertung von Chemikalien statt, die im Verdacht stehen, das Hormonsystem zu beeinflussen. Berichte werden u.a. für Nonylphenol, Phthalate (DEHP, Dibutylphthalat und Benzylbutylphthalat) und Bisphenol A erstellt. Nach Vorlage der Dossiers werden die Mitgliedstaaten in Brüssel über die Notwendigkeit von Maßnahmen beraten. Für einige Stoffe zeichnet sich - dies ist z. B. dem im Entwurf vorliegenden Bericht zu Nonylphenol zu entnehmen - Regelungsbedarf zur Minderung der Umweltexposition ab. Für andere Stoffe wurden Wissenslücken und bestehender Forschungsbedarf aufgezeigt.
Derzeit werden in 15 Ländern Europas ca. 130 Forschungsprojekte zu diesem Thema bearbeitet. Um Doppelarbeit zu vermeiden hat das Umweltbundesamt kürzlich in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Umweltbehörde EPA und der Europäischen Union die laufenden Forschungsprojekte in einer Datenbank zusammengefaßt. Die Daten können im Internet abgerufen werden. Eine Netzverbindung zur EPA ermöglicht darüber hinaus einen Blick auf die Forschung in den USA.
Was bisher veranlaßt wurde:
- Das Umweltbundesamt hat im März 1995 ein Fachgespräch mit dem Titel "Umweltchemikalien mit endokriner Wirkung" durchgeführt. Erstmals wurden in Deutschland Wissenschaftler zusammengeführt, um das Thema zu diskutieren, den Sachstand zu ermitteln und Probleme aufzuzeigen.
- Eine gemeinsame Arbeitsgruppe bestehend aus Mitarbeitern der chemischen Industrie (VCI), des UBA und des BMU wurde eingerichtet, um Aktivitäten zwischen Industrie und Behörden abzustimmen.
- Das Umweltbundesamt baut zur Zeit eine Datenbank auf, die alle in Europa und den USA laufenden Forschungsvorhaben erfassen soll (wer was wo erforscht).
- Vom 2. bis 4. Dezember 1996 fand mit finanzieller Unterstützung des BMU ein EU-Workschop in Weybridge, UK, zur Vorbereitung eines europäischen Forschungsprogramms statt.
- Das Intergovernmental Forum on Chemical Safety (IFCS) hat die Inter-Organisation for the Sound Management of Chemicals anläßlich einer Konferenz in Ottawa vom 10. bis 14. Februar 1997 gebeten, die internationalen Forschungsaktivitäten zu koordinieren, den Austausch von Informationen sicherzustellen sowie dem IFCS über den Stand zu berichten.
- Neben diesen Forschungsaktivitäten findet auch eine Bewertung von bestimmten Einzelstoffen statt, und zwar im Rahmen des EU-Altstoffprogramms. Derzeit werden Berichte erstellt für die Stoffe Nonylphenol, Bisphenol A, Dibutylphthalat und Benzylbutylphthalat. Nach Vorlage der Berichte wird in Brüssel über die Notwendigkeit von Maßnahmen zu diskutieren sein.