Steffi Lemke "Wir haben die Wärmewende eingeleitet"

17.06.2023
Im Interview mit "Die Zeit" spricht Bundesumwelt- und Verbraucherschutzministerin über das sogenannte Heizungsgesetz, das Fischsterben in der Oder und die Investitionen in den Natürlichen Klimaschutz.

Zeit Online: Nach monatelangem Streit über das Heizungsgesetz hat sich die Ampel diese Woche endlich geeinigt. Was war Ihr erster Gedanke, als sie hörten, dass nun weitere vier Jahre neue Gasheizungen eingebaut werden können – die FDP sich also doch in einer zentralen Frage durchgesetzt hat?

Steffi Lemke: Ich finde nicht, dass die FDP sich durchgesetzt hat. Dass bei solch einem bedeutenden Gesetz hart gerungen wird, ist für mich nicht überraschend, insofern war und bin ich da ganz entspannt. Wir Grüne haben sicherlich kommunikative Fehler gemacht und mir wäre auch lieber gewesen, die Koalition hätte weniger gestritten und wäre schneller ans Ziel gekommen. Aber was zählt, ist doch das Resultat: Wir haben die Wärmewende eingeleitet.

Und was ist mit den Gasheizungen?

Dass man nun einige wenige Jahre neue Gasheizungen einbauen darf, finde ich verkraftbar und macht es für die Handwerksbetriebe vielleicht auch praktikabler. Aber wer noch auf Gasheizungen setzen will, muss sich das gut überlegen, denn er geht ein hohes finanzielles Risiko ein. Fossile Brennstoffe werden künftig teurer werden. Und genau deshalb werden wir auch eine Energieberatung für diese Fälle einführen.

Und doch wurde abermals viel wertvolle Zeit mit Streiten vertan – die wir angesichts des sichtbar voranschreitenden Klimawandels nicht haben. Ein unerträglicher Zustand, gerade für eine Umweltministerin, oder?

Ich konzentriere mich auf das, was ich bewegen kann. Ich stelle mich meiner Regierungsverantwortung und tue alles in meiner Macht Stehende, um unsere Bevölkerung vor den Folgen der Klimakrise zu schützen. Und ich finde, da haben wir trotz der schwierigen Weltlage, allem voran dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, doch viel geschafft. Nehmen Sie das Klimaanpassungsgesetz, das ich noch vor der Sommerpause ins Kabinett einbringen werde, oder das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, mit dem wir in den nächsten Jahren mit vier Milliarden Euro die Ökosysteme widerstandsfähiger machen wollen gegen Waldbrände, Dürren oder Starkregen. Das alles kann sich sehen lassen. Ich finde etwas ganz anderes befremdlich.

Was denn?

Dass inzwischen Konservative auf europäischer Ebene, aber auch ein Friedrich Merz von der CDU in Deutschland sagen: Gemach, gemach, wir haben noch 20 Jahre Zeit, um all diese Dinge zu erledigen. Das kann ich nur mit maximaler Irritation zur Kenntnis nehmen. Wer so etwas erzählt, verkauft die Menschen für dumm. Die Zeit drängt.

Sobald Klimapolitik an die Komfortzone und an den Geldbeutel der Bürger geht, stößt sie auf Widerstand. Und dann knickt die Politik am Ende doch ein, wie die Grünen jetzt beim Streit um das Heizungsgesetz.

Ich bitte Sie, genau das ist eben nicht passiert. Das Gesetz kommt und auch unabhängig davon haben sich viele Menschen doch längst auf den Weg gemacht. In meiner Heimat Sachsen- Anhalt zum Beispiel wurden im Neubau schon jetzt um die 80 Prozent Wärmepumpen eingebaut, einfach deswegen, weil es langfristig die günstigste Lösung ist, insbesondere wenn man noch eine Solaranlage auf dem Dach hat, die den Strom liefert. Die meisten Menschen wissen, was ansteht, die warten nicht auf die Politik. Dass andererseits alle politischen Kräfte bei einer so weitreichenden Entscheidung wie dem Gebäudeenergiegesetz miteinander um den richtigen Weg ringen, gehört in einer Demokratie doch dazu.

Umfragen zufolge würde fast jeder fünfte Wähler seine Stimme der AfD geben. Wie groß ist die Mitverantwortung der Grünen?

Aus Sachsen-Anhalt weiß ich, dass viele Menschen sich von den demokratischen Parteien abwenden, weil sie sich nicht mehr gehört fühlen. Dass Populisten und scheinbar einfache Lösungen in krisenhaften Zeiten vermehrt Zuspruch finden, ist aber kein Problem des Ostens und von Deutschland allein, sondern leider eine globale Entwicklung. Und ich warne vor einfachen Erklärungsmustern.

Ihre Ampel-Koalition trifft so gar keine Schuld?

Die größte Chance, Rechtspopulismus zu bekämpfen, besteht darin, dass Regierungen sich auf eine wissenschaftlich wie demokratisch fundierte Politik konzentrieren – und sich die Mühe machen, wieder und wieder zu erklären, warum bestimmte Dinge einfach notwendig sind. Außerdem geht es darum, die Solidarität in der Gesellschaft zu stärken und die Menschen nicht durch öffentlich ausgetragene Streitigkeiten zusätzlich zu verunsichern und so auseinanderzutreiben.

Welche Note geben Sie der Ampel in dieser Hinsicht?

Da gibt es noch einen gewissen Spielraum, aber angesichts der schwierigen Gesamtlage bin ich auch nicht unzufrieden. In Zeiten hoher Energiepreise und steigender Flüchtlingszahlen infolge des russischen Angriffskriegs haben wir es meines Erachtens sehr gut geschafft, die Gesellschaft solidarisch zusammenzuhalten. Meine Heimatstadt hat in den vergangenen Monaten viele Flüchtlinge aufgenommen, was auch Einschränkungen bedeutete. Aber das ist in unserer Stadt überhaupt kein großes Thema, die Solidarität ist einfach da. Ich würde lieber über solche Dinge reden als ständig über diejenigen, die versuchen zu spalten und unsere Demokratie zu zerstören.

Wenn es um den Schutz von Umwelt und Natur geht, stehen Sie im Kabinett oft ziemlich allein da. Ist das nicht wahnsinnig frustrierend?

Also dass man als Umwelt- und Naturschützerin allein dasteht, passiert einem im Laufe des Berufslebens öfter.

Nehmen wir das LNG-Terminal vor Rügen, das die Bundesregierung im Eilverfahren bauen will. Es gibt viel Protest, aus Sorge um die Natur und den Tourismus, aber auch um Heringe und Schweinswale in der Ostsee. Doch in der Bundesregierung sind alle außer Ihnen für das Flüssiggasterminal.

Der Ukraine-Krieg hat die Bundesregierung in einen schwierigen Spagat zwischen Energiesicherheit und Umstieg in eine fossilfreie Energieversorgung gezwungen. Viele Entscheidungen waren im Interesse der Energiesicherheit richtig und notwendig. Dazu stehe ich als Umweltministerin. Inzwischen hat sich die Lage am Energiemarkt wieder entspannt, sodass wir uns wieder stärker auf den Umstieg auf eine erneuerbare Energieversorgung konzentrieren sollten.

Mit anderen Worten: Das geplante LNG-Terminal vor Rügen halten Sie für falsch.

Ich persönlich würde mir aus Umwelt- und Naturschutzsicht wünschen, wir könnten darauf verzichten. Es muss sehr gut belegt werden, dass das Terminal einen solchen Eingriff in die Natur rechtfertigt. Ich beneide niemanden darum, der diese Entscheidung treffen muss, denn das ist eine ganz schwierige Abwägung.

Ähnlich ist es beim Gebäudeenergiegesetz. Um die FDP gnädig zu stimmen, sollen nun Holzpelletheizungen in Alt- und Neubauten erlaubt werden. Als Umweltministerin muss Sie das doch gruseln.

Wir hatten dafür mit dem Wirtschaftsministerium eine sehr gute Lösung gefunden: Pelletheizungen sollen möglich bleiben, müssen aber bestimmte Anforderungen zum Umwelt- und Gesundheitsschutz erfüllen. Wenn der Bundestag das ändern will, dürfte es schwer werden, den Schutz der Wälder ausreichend zu berücksichtigen. Das ist aber geboten. Und es würde sich auch die Frage der Luftverschmutzung stellen, denn unter Feinstaubbelastung leiden viele Menschen in unserem Land.

Konkret heißt das was?

Pelletheizungen müssen Staubabscheider haben und es muss sichergestellt werden, dass Primärholz nicht für die energetische Nutzung verwendet werden darf. Die zulässigen Holzbrennstoffe sind nachhaltig zu erzeugen und es muss geregelt werden, wie viel Holz für diese Heizart insgesamt verbraucht werden darf. Dafür muss der Bundestag Sorge tragen.

Es ist immer wieder Ihr Parteifreund Robert Habeck, der es Ihnen mit solchen Entscheidungen nicht leichtmacht. Hatten Sie solche Konflikte mit einem grünen Wirtschafts- und Klimaschutzminister erwartet?

Niemand hat diese Art von Krieg erwartet, der uns in diese Notwendigkeiten gestürzt hat. Unsere Idee einer Fortschrittskoalition ist in einer anderen Zeit entstanden. Doch wir haben in schwierigen Zeiten gemeinsam verdammt viel hinbekommen, auch im Umwelt- und Naturschutz. Ich sehe überhaupt keinen Grund, in Sack und Asche zu gehen.

Das Fischsterben in der Oder, die brennenden Wälder in Mecklenburg- Vorpommern, austrocknende Flüsse: Die Folgen des Klimawandels sind auch in Deutschland inzwischen allgegenwärtig. Hatten Sie persönlich einen apokalyptischen Erweckungsmoment?

Ich glaube, dass wir Ökologen da mit einer anderen Brille draufschauen. Ich habe schon die vielen frühen Warnzeichen wahrgenommen. Darbende Wälder, aussterbende Tierarten, die niedrigen Wasserstände der Flüsse – all das begleitet uns ja schon seit vielen Jahren.

Über Jahrhunderte hinweg haben die Eltern ihre Kinder in der Hoffnung aufgezogen, dass sie es mal besser haben als sie selbst. Sie selbst sind Mutter eines Sohnes, haben Sie die Hoffnung noch?

Ich habe selbst erlebt, was alles möglich ist. Prägende Bilder meiner Kindheit waren die ekligen Schaumkronen auf der Elbe, Überbleibsel der giftigen Stoffe, die die Industrie rund um Bitterfeld über Jahrzehnte hinweg in den Fluss leiten konnte. Niemand hat damals in der Elbe gebadet. Mein Sohn aber hat in der Elbe richtig schwimmen gelernt. Und so etwas macht mir Mut und zeigt: Wir können wirklich etwas bewegen.

Sie haben gesagt, die Umweltverschmutzung in Ihrer Heimat habe sie politisiert. Wie hart ist es für Sie, wenn heute Klimaaktivisten den Grünen vorwerfen, dass sie die gemeinsamen Ziele verraten und ihre Machtposition in der Ampel nicht ausreichend nutzen im Kampf gegen den Klimawandel?

Zunächst einmal bin ich der Klimabewegung unglaublich dankbar. Die weltweiten Demonstrationen von Fridays for Future haben uns bei den klimapolitischen Kämpfen Rückenwind verliehen und geholfen, den gesellschaftlichen Blick auf die Klimakrise zu verändern. Bei den Aktionen der Letzten Generation bin ich zwiegespalten. Einerseits kann ich die Ungeduld, den Frust und auch die Wut darüber verstehen, dass wir beim Klima nicht schneller vorankommen.

Und andererseits?

Nehme ich wahr, dass in der Gesellschaft der Frust über die Aktionen der Letzten Generation immer größer wird, was das Verständnis für Klimapolitik leider schwächt. Unter denjenigen, die sich über die Letzte Generation aufregen, sind immer mehr, die gar nicht mehr über Klimapolitik diskutieren wollen. Deswegen frage ich mich, ob diese Aktionen den Zielen der Protestbewegung wirklich dienen. Sie bekommen Aufmerksamkeit – aber wo führt diese Aufmerksamkeit hin?

Der Kanzler nennt die Aktionen "bekloppt". Und Sie?

Hm. Ich würde sagen: ambivalent. Eines ist mir aber wichtig: Sobald Protestaktionen sachlichen oder menschlichen Schaden anrichten, hört mein Verständnis auf. Sabotage von Pipelines oder das Beschmutzen von Kunstwerken verurteile ich.

Umweltschutz kostet Geld. Finanzminister Christian Lindner liegt aufgrund seiner Sparwünsche mit einigen Ressorts im Clinch, haben Sie auch schon ein Gespräch anberaumt?

Das Bundesumweltministerium hat mit rund 2,4 Milliarden Euro im Jahr 2023 einen der kleinsten Posten im Bundeshaushalt. Deshalb ließe sich selbst mit großen Einsparungen bei uns da wenig sanieren. Dank der zusätzlichen, auf mehrere Jahre verteilten vier Milliarden Euro für das Aktionsprogramm Klimaschutz – übrigens der größte Etat für natürlichen Klimaschutz, den es in Deutschland je gab – werde ich für die Sparforderungen verantwortliche Lösungen finden.

Auch für Ihr Klimaanpassungsgesetz beanspruchen Sie kein zusätzliches Geld? Experten zufolge könnten Deutschland durch Folgen des Klimawandels wie Ernteausfälle oder Gebäudeschäden Kosten von bis zu 900 Milliarden Euro entstehen. Das Gesetz soll Kommunen helfen, sich dagegen zu schützen. Auch das kostet Geld.

Natürlich müssen die Kommunen auch finanziell unterstützt werden, aber dafür haben wir noch keine generelle Lösung – wie zum Beispiel eine Gemeinschaftsaufgabe Klimaanpassung – umsetzen können. Im deutschen Föderalismus dauern solche Debatten. Das werden wir in dieser Legislaturperiode nicht mehr schaffen. Tatsächlich drängt auch hier die Zeit. Deutschland muss sich insgesamt viel stärker gegen Dürre, Hitze und Starkregen wappnen. Zunächst geht es aber vor allem um die regulatorischen Rahmenbedingungen. Auflagen für Städte, mit Bäumen bewachsene Flächen nicht zu versiegeln, oder Vorgaben, bei Neubaugebieten immer auch Grünflächen mitzudenken.

In Ihrer Partei wird heftig über den EU-Asylkompromiss gestritten, bei dem die Aufnahmeregeln für Geflüchtete verschärft wurden. Können Sie als Vertreterin des linken Parteiflügels diese Entscheidung gutheißen?

Was dort entschieden wurde, widerspricht dem Anspruch unserer Partei auf eine menschenwürdige Behandlung von Geflüchteten, die nach Europa kommen, aber das kann man nicht bei Außenministerin Annalena Baerbock oder Innenministerin Nancy Faeser abladen. Das eigentliche Problem ist, dass es momentan in Europa schlicht keine Mehrheiten für ein humanes Asylrecht gibt und im Bundestag wohl auch nicht. Es ist eine Auseinandersetzung, die wir als Gesellschaft führen müssen. Sie wird uns noch viele Jahre beschäftigen.

Informationen

Natürlicher Klimaschutz

Natur stärken – Klima schützen

17.06.2023 | Medienbeitrag Naturschutz | Berlin

Meldungen zum Thema

Weitere Informationen

https://www.bmuv.de/IV10648
  • Fotogalerie Videogalerie

    Mediathek

    Das Ministerium in Bildern

  • Fotogalerie Videogalerie Interviews

    Online-Tagebuch

    Aus der täglichen Arbeit des Ministeriums

  • Newsletter

    Newsletter

    Meldungen per E-Mail empfangen

Wege zum Dialog

Gute Politik für Umweltschutz und Verbraucherschutz gelingt, wenn sie gemeinsam gestaltet wird. Schreiben Sie uns oder beteiligen Sie sich an unseren Dialogangeboten.