Trittin: Einstweilige Stilllegung des AKW Philippsburg notwendige Entscheidung von EnBW

07.10.2001
Hinweis: Dieser Text stammt aus dem Pressearchiv.
Veröffentlicht am:
Laufende Nummer: 194/01
Thema: Nukleare Sicherheit
Herausgeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Leitung: Jürgen Trittin
Amtszeit: 27.10.1998 - 22.11.2005
14. Wahlperiode: 27.10.1998 - 22.10.2002
Fehler im Sicherheitsmanagement müssen vollständig aufgeklärt und beseitigt werden

Fehler im Sicherheitsmanagement müssen vollständig aufgeklärt und beseitigt werden

Als notwendigen Schritt hat Bundesumweltminister Jürgen Trittin die Entscheidung von EnBW bezeichnet, das Atomkraftwerk Philippsburg 2 einstweilig stillzulegen. "Dieser Schritt ist die richtige und unvermeidliche Konsequenz aus der Tatsache, dass die Atomaufsicht erhebliche Mängel im Sicherheitsmanagement der Anlage festgestellt hat", sagte Trittin. Ein meldepflichtiger Vorfall im August habe gezeigt, dass das Bedienungspersonal des Atomkraftwerks in Gefährdungssituationen nicht die richtigen Entscheidungen treffe. Die Entscheidung zur einstweiligen Stilllegung traf EnBW nach Gesprächen, die Trittin und Staatssekretär Rainer Baake am Wochenende mit Vertretern des Unternehmens und des baden-württembergischen Umweltministeriums in Berlin geführt hatte. Der Bundesumweltminister äußerte die Erwartung, dass der Betreiber nun sämtliche Ursachen der Fehlhandlungen aufklärt. Für einen zuverlässigen Betrieb muss eine Wiederholung ausgeschlossen sein.

Anlass für die einstweilige Betriebsstilllegung sind Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit einem meldepflichtigen Vorfall in dem Atomkraftwerk. Am 25.8.2001 war in Block 2 der Anlage festgestellt worden, dass in einem der vier Flutbehälter seit dem 12.8.2001 die spezifizierte Borsäure-Konzentration nicht vorlag -- eine entscheidende Voraussetzung für die Funktionstüchtigkeit dieser Sicherheitseinrichtung. Am 27.8.2001 war dann festgestellt worden, dass in insgesamt drei der Flutbehälter die Borsäure-Konzentration nicht auslegungsgerecht war.

Damit war für eine zeitlang nicht sichergestellt, dass der Reaktor bei einem Störfall hätte beherrscht werden können. Die Betriebsmannschaft hatte dieses Risiko in Kauf genommen und der Aufsichtsbehörde zugleich mitgeteilt, dass sie den Vorfall als sicherheitstechnisch bedeutungslos einschätze. Erst die sofort eingeleitete Nachforschung der Atomaufsicht des Bundes brachte die gravierende sicherheitstechnische Bedeutung ans Tageslicht.

Flutbehälter sind wesentliche Bestandteile des Sicherheitssystems von Atomkraftwerken. Sie werden insbesondere bei einem großen und mittleren Leckstörfall benötigt, um den Primärkühlkreislauf des Reaktors aufzufüllen und eine Kernschmelze zu verhindern.

Das Verhalten des Personals stellt das Sicherheitsmanagement der Anlage insgesamt in Frage. Es ist nicht auszuschließen, dass sich -- solange die Ursachen der Fehlhandlungen nicht geklärt und Abhilfemaßnahmen nicht realisiert sind -- derartige Vorgänge bei ähnlichen Sachverhalten in Zukunft wiederholen können. Das Bundesumweltministerium und die Atomaufsicht des Landes Baden-Württemberg haben dem Betreiber deshalb unmissverständlich erklärt, dass sie dies als eine Gefährdungssituation ansehen, die so lange fortbesteht, bis die Ursachen des Fehlverhaltens des Betriebspersonals und der sonstigen Verantwortlichen geklärt und Maßnahmen getroffen sind, die zukünftig ein solches Fehlverhalten ausschließen.

Hintergrund zum Hergang des Ereignisses in Philippsburg

Am 12.8.2001 wurde der Reaktor nach der Jahresrevision kritisch gemacht und mit dem Netz synchronisiert. In der Revision waren auch die vier Flutbehälterpaare neu befüllt worden. Eine Messung der Borsäurekonzentration erfolgte vor dem Anfahren nicht.

Am 25.8.2001 erfolgte eine Probenahme am Flutbehälterpaar JNK 10 entsprechend dem Betriebshandbuch (BHB). Dabei wurde ein Borsäuregehalt von 1950 ppm festgestellt. Der vom BHB vorgegebene Wert beträgt 2200 ppm. Obwohl anzunehmen war, dass auch bei anderen Flutbehältern die Borkonzentration nicht stimmte, veranlasste der Schichtleiter nicht sofort deren Messung. Er ließ die anderen drei Flutbehälter nicht auf ihre Borkonzentration prüfen.

Erst im Laufe des 27.8.2001 informierte der Schichtleiter den Bereichsleiter und den Teilbereichsleiter über den unzureichenden Borsäuregehalt. Messungen am 27. und 28.8. ergaben, dass auch zwei weitere Flutbehälterpaare zu geringe Borsäurekonzentrationen aufwiesen. Ab diesem Zeitpunkt war dem Betreiber klar, dass mindestens drei Behälterpaare zu wenig Bor enthielten. Daraufhin hätte er die Anlage abfahren müssen.

Am 28.8.2001 wurde der Borsäuregehalt des Behälterpaares JNK 30 mit 1738 ppm abgeschätzt. Daraufhin wurde dessen Füllstand abgesenkt, Borsäure nachgespeist und anschließend 48 Stunden umgewälzt. Am 30.8.2001 wurde eine Borsäurekonzentration von 2280 ppm ermittelt.

Am 30.8.2001 ergab eine Probenahme am Behälterpaar JNK 40 einen Wert von 1975 ppm. Bis zum 31.8.2001 wurde der Füllstand abgesenkt, Borsäure nachgespeist und anschließend 48 Stunden umgewälzt. Am 03.09.2001 wurde eine Borsäurekonzentration von 2234 ppm festgestellt und der Behälterinhalt anschließend 48 Stunden umgewälzt. Im Behälterpaar JNK 20 war keine Korrektur erforderlich.

Spätestens am 6.9.2001 standen alle Flutbehälterpaare wieder mit der erforderlichen Borsäurekonzentration zur Verfügung.

07.10.2001 | Pressemitteilung 194/01 | Nukleare Sicherheit
https://www.bmuv.de/PM1671
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